Kapitel 9: Wie Wincent mit Octa redete

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-WINCENTS SICHT-

Am nächsten Morgen hielt mir Jenny die Tür zum Büro auf. "Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?", besorgt schaute sie mich an, "Ich glaub kaum, dass Streit schlichten die Definition von Bettruhe ist...". Irgendwo hatte sie ja recht, aber ich konnte die Worte von gestern nicht einfach so im Raum stehen lassen, das war ich Octa einfach schuldig. "So schlecht geht es mir nun wirklich nicht, aber süß, wie du dich um mich sorgst." Ich legte meinen Arm um sie und küsste ihre Schläfe. Octa saß bereits an seinem Schreibtisch und würdigte uns keines Blickes als wir hereinkamen. "Guten Morgen", sagte Jenny freundlich, doch er nickte nur abwesend. "Ich bin dann mal in meinem Büro.", meinte Jenny leise zu mir. Sie legte eine Hand auf meinen Arm und strich kurz darüber bevor sie das Büro verließ und die Tür hinter sich zu machte. Da stand ich nun. Ich betrachtete meine Füße interessiert, dann räusperte ich mich kurz. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Octa nicht einmal von seinem Bildschirm aufsah. "Octa ich...", setzte ich an, endlich hob er seinen Blick, ich verstummte. Die gestrigen Worte waren mir im Nachhinein doch sehr unangenehm. Sein Blick war prüfend: "Du? Lass mich raten... Du willst dich entschuldigen? Bist du da nicht ein kleines bisschen zu spät dran?", fragte er mich. Bevor ich antworten konnte klopfte es an der Tür. Patty betrat den Raum mit zwei Tassen Kaffee in der Hand. "Wir haben nicht genug Milch für nen Latte, hab dir einen normalen Kaffee mitgebracht...", sagte sie und lief fast gegen mich. "Huch! Ach... Wincent! Hey! Wie geht's dir? Alles wieder fit?", sie sah mich überrascht an.

Bevor ich antworten konnte war Octa aufgestanden, auf uns zugelaufen und hatte sich seine Tasse Kaffee aus ihrer Hand geschnappt. "Danke dir Patty, allerdings hab ich beschlossen meinen Kaffee heute lieber vor der Tür zu trinken, Wetter genießen und so.", bei den letzten Worten sah er mich an, wandte sich dann ab und wollte zur Tür hinaus. Das war doch jetzt nicht sein Ernst?! "Octa jetzt lass den Mist! Hör mir wenigstens kurz zu, das mit gestern tut mir wahnsinnig leid, keine Ahnung was da los war!", meine Stimme war automatisch lauter geworden, wodurch Octa kurz stehen blieb und mich ansah. Dann aber drehte er sich wieder um und machte zwei Schritte zur Tür hinaus. "Ist das jetzt dein Ernst? Octa, das ist doch kindisch!" Doch er ignorierte mich gekonnt. Patty sah mich an und schlürfte dann an ihrem Kaffee. "Sag nichts... wir klären das." Teilte ich ihr mit bevor ich selbst durch die Tür ging. "Tür zu!" rief Patty mir hinterher. Ich verdrehte die Augen, schloss die Tür und folgte dann entschlossen Octa auf den Balkon. Ich stellte mich neben ihn und genoss die Aussicht. "Du hast mich gestern wie Dreck behandelt, Wincent. Bros before Hoes, schonmal gehört?" Er sah mich immernoch nicht an. "Du kennst sie nicht einmal eine Woche und machst schon so einen Aufstand wegen ihr?" Endlich sah er mich an, mit versteinerter Miene. "Octa ich..." - "Octa ich...meine Fresse kannst du auch was anderes sagen?! Kann doch echt nicht sein, dass irgendein Mädel ankommt und uns völlig kaputt macht, man Wincent!", Octa sah mich immer noch an, aber seine Miene war nicht mehr ausdruckslos eher wütend und verzweifelt. "Es tut mir leid." Es klang kleinlaut, aber das war ich auch und es war okay. Octa hatte recht, seit Jenny in unser Leben gekommen war ging irgendwie alles drunter und drüber. "Du hast recht Octa und es tut mir leid. Ich weiß nicht warum das zurzeit alles so schnell geht und ich hab keinen Plan wie wir zwei hierhergekommen sind, aber ich weiß, dass Jenny nicht einfach nur irgendein Mädchen ist. Ich mag sie. Sehr sogar. Aber das heißt nicht, dass du mir nicht mehr wichtig bist." Nach meinem Monolog war es erstmal still zwischen uns. Ich hatte meinen Blick in die Ferne gerichtet, Octa sah ebenfalls überall hin außer zu mir. Wie war es nur soweit gekommen? Und das in so kurzer Zeit? Irgendwie hatte sich alles überschlagen. "So kann es jedenfalls nicht weitergehen, Wincent. Dass sie dir wichtig ist ist die eine Sache, aber dass du mir von einem auf den anderen Tag nicht mehr vertraust, ist echt ein starkes Stück. Ich mein, ich soll mich an sie rangemacht haben? Sie ist nicht mal mein Typ! Und das weißt du!" Er war nicht nur sauer, sondern auch bitterlich enttäuscht und das ließ er mich mit jedem seiner Worte spüren. Ich strich mir mit meinen Fingern frustriert durch die Haare und drehte mich dann zu ihm. "Du hast ja Recht. Ich hab mich falsch verhalten, aber können wir die ganze Sache nicht einfach vergessen? Du kannst doch nicht ewig sauer auf mich sein.", flehte ich ihn an. "Du machst es dir echt verdammt einfach." Er schüttelte den Kopf und erwiderte dann meinen Blick. "Ich kann das nicht einfach vergessen Wincent. Das gestern hat mich verletzt. Ich glaube du kannst dir nicht vorstellen wie sehr. Ich pack das hier grade nicht mehr.", kurz schwieg Octa, "Deswegen hab ich heute Morgen das Angebot vom Matthes angenommen."

Die Stille war beinahe greifbar. Ich konnte nichts dagegen tun, mir klappte die Kinnlade herunter und ich konnte Octa nur entgeistert ansehen. "Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist.", flüsterte ich schließlich. Octa nickte nur: "Ich geh nach London für ein halbes Jahr. Das ist eine riesige Chance und seit gestern nicht nur für mich- sondern auch für uns glaub ich." Wow. Ich war wirklich sprachlos. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und sah wieder in die Ferne. "Wenn ich ganz ehrlich bin, Jenny hat genau zum richtigen Zeitpunkt hier angefangen. Sie kann dich jetzt tatkräftig unterstützen und meine Stelle im Büro einnehmen." Er drehte sich zu mir, klopfte mir auf die Schulter und ging wieder hinein. Ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Ich war wie gelähmt von seiner Ankündigung. Das konnte doch nicht wahr sein, hatte ich wirklich so großen Mist gebaut? "Alles okay?", Jenny hatte den Balkon betreten und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ich schüttelte nur stumm den Kopf, sie seufzte und begann meinen Arm auf und ab zu streichen. Eine ganze Weile war es still, dann begann sie leise zu erzählen: "Octa hat mir drinnen alles erzählt. Er meint du sollst dir keinen Kopf machen, er kommt klar. Und dass es nicht an dir liegt. Jedenfalls nicht nur. Das gestern war für ihn einfach der Moment, in dem er die Entscheidung endlich getroffen hat. Das mit London schleppt er anscheinend schon länger mit sich rum..." - "Ich weiß.", meine Stimme brach und ich räusperte mich, "Ich weiß. Er hats mir gleich am Anfang erzählt, als der Matthes ihm das Angebot gemacht hat. Ich hätte nur nie...nie gedacht, dass er wirklich geht. Und dann auch noch wegen mir." Da hatten wir es: wegen mir.

"Hey Wincent sieh mich an, es ist nicht wegen dir.", Jenny hatte mein Gesicht in ihre Hände genommen und sah mich ernst an, "Er hat noch viele andere Gründe zu gehen und so wie ich ihn verstanden habe wird sich bis auf die Entfernung nichts bei euch ändern. Glaub mir, er braucht dich doch genauso wie du ihn." Sie küsste mich sanft und lächelte mir dann aufmunternd zu. "Kopf hoch, du kannst ihn doch jederzeit besuchen.", fügte sie hinzu bevor ich sie fest in den Arm nahm. "Danke dir, ich brauch einfach kurz einen Moment um das zu verdauen." So standen wir da am Balkon für einen Augenblick. "Sollen wir wieder reingehen? Es ist echt zugig hier oben.", fragte Jenny schließlich. Wir lösten uns aus der Umarmung und gingen dann Hand in Hand wieder ins Büro. Da kam uns direkt Torben entgegen. "Jenny, hier, das bräuchte ich zehn mal in Kopie und das hier ist der Schlüssel für den Wagen mit dem Equipment, bitte schau nach ob alles eingepackt ist für den Dreh morgen." Er gab ihr eine Mappe mit Unterlagen und den Autoschlüssel in die Hand, "Perfekt, dank dir!" Und weg war er. Jenny sah mich entschuldigend an: "Tja ich muss dann mal wieder weiter machen..." Ich nickte nur, gab ihr einen kurzen Kuss und weg war auch sie. Ich seufzte. Dann atmete ich einmal tief durch und überlegte was ich jetzt mit dem angebrochenen Tag anfangen sollte. Schließlich ging ich dorthin zurück woher ich gekommen war: In Octas Büro war Chaos. Und mittendrin stand mein bester Freund. Kurz sahen wir uns an, dann nahm ich einen der herumstehenden Kartons in die Hand. "Dann wollen wir mal...?", vorsichtig sah ich Octa an. Ein leichtes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. Er nickte und nahm selbst einen Karton in die Hand: "Mach mir bloß nichts kaputt und Finger weg von meinen Büroklammern! Die pack ich selber ein." Ich lachte nur und nickte ebenfalls. Es war vielleicht nicht alles gut, aber es war okay und für den Moment konnten wir einfach schweigend unserer jeweiligen Arbeit nachgehen. Ein bisschen Normalität, die sich fast anfühlte, als wäre alles noch beim Alten.

Das Praktikum - Wincent Weiss FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt