Kapitel 10: Wie dringend eine Videofreundin gebraucht wurde

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-WINCENTS SICHT-

Nach einer guten halben bis dreiviertel Stunde hatten wir alle Kartons aus Octas Büro nach unten in sein Auto gebracht. "Mein Flug geht in drei Tagen. Vielleicht sehen wir uns vorher nochmal.", sagte er mir, als er den Kofferraum schloss. Ich nickte und umarmte ihn stürmisch. "Auf jeden Fall! Ich freu mich für dich, dass du so eine krasse Chance bekommst!" Er lächelte leicht und befreite sich von meiner festen Umarmung. "Und danke... Ich weiß, ich hab wirklich Mist gebaut, ich hoffe du kannst mir das irgendwann verzeihen!" Octa nickte nur und klopfte mir auf die Schulter, bevor er in sein Auto stieg und davonfuhr. Ich ging zurück ins Gebäude und traf auf dem Weg in die Kaffeeküche erneut auf Patty. "Wincent gut dass ich dich treffe! In zwanzig Minuten ist ein Meeting in Konferenzraum B. Es geht um dein Video- Torben hatte für morgen eigentlich erstmal nur die Außenaufnahmen geplant, aber jetzt wo du wieder da bist...", sie ließ den Satz unvollendet, aber mir war klar worauf sie hinaus wollte- und ich hatte richtig Bock! Nach dem ganzen Hin und Her der letzten Tage wäre ein Videodreh genau das richtige! "Alles klar, danke Patty, ich werde da sein.", meinte ich deshalb und Patty ging nach kurzem Nicken zurück in ihr Büro. Nachdem ich mir einen Kaffee gemacht hatte und ein wenig auf Instagram gewesen war war es auch schon fast Zeit für das Meeting. Ich machte mich also auf den Weg in Konferenzraum B, in dem bereits einige Leute saßen. "Wincent! Setz dich, dann können wir ja direkt beginnen.", Torben zeigte auf einen der freien Stühle und begann mit seiner Powerpoint Präsentation. Ich setzte mich, öffnete mir eine Cola und lauschte ihm. Er erklärte den Ablauf für den morgigen Dreh, besprach die verschiedenen Szenen, die geplant waren und beantwortete Fragen aller Beteiligten. "Wo ist eigentlich Jenny? Sie sollte doch beim Meeting dabei sein?", fragte Torben irgendwann in die Runde. Ich sah von meinem Handy auf. "Na ist ja auch egal.", meinte er als keine Antwort kam, "Dann kriegt sie morgen eben direkt ein kurzes Briefing."

Torben kramte in seinen Unterlagen. "So dann steht jetzt eigentlich nur noch die Frage aus wie wir das mit deiner Video-Freundin machen Wincent. Alana hatten wir zwar gebucht, allerdings haben wir ihr wieder abgesagt, als das mit deinem Unfall passiert ist. Wir könnten das Video einfach ohne die Teile drehen, das funktioniert vom Konzept her auch, das musst jetzt du entscheiden wie dir das am liebsten ist.", auffordernd sah er mich an. Puh, wie sollte ich das denn jetzt so spontan entscheiden? "Ach weißt du Torben, ich glaube da bist du deutlich kompetenter als ich, überrasch mich einfach morgen...?" - "Überraschen? Wincent ist dir klar wie viel Planung in so ein Video einfließt? Überraschen ist da nicht. Aber gut, ich werde das bis morgen geklärt haben und dir Bescheid geben. Dann aber keine Beschwerden morgen." Ich nickte zustimmend, besser so als wenn ich diese Entscheidung treffen müsste. Es würde schon nicht so schlimm werden, im Endeffekt würde es sowieso darauf hinauslaufen, dass ich die Szenen allein drehen würde. Nicht einmal Torben konnte ein Mädchen aus dem Hut zaubern, das so spontan Zeit und Lust hatte und noch dazu ins Konzept passte. "Oh Gott! Ihr habt schon angefangen?", da riss mich Jenny, die in den Raum platzte, aus meinen Gedanken. Torben verdrehte leicht die Augen: "Wir sind so gut wie fertig, Jenny, aber schön, dass du dich auch noch mit dazu gesellen möchtest." Sie legte ihm die Autoschlüssel und die Kopien hin. "Die kannst du direkt verteilen...", murmelte er. Sie entschuldigte sich und verteilte die Handouts. "Hat dann sonst noch irgendjemand Fragen zum Dreh morgen?", fragte Torben ein letztes Mal in die Runde. "Nein? Gut, dann sehen wir uns morgen in aller Frische." Er stand auf und verschwand aus dem Konferenzraum. Jenny gab mir das letzte Handout in die Hand und ließ sich, als der Großteil der Leute aus dem Raum verschwunden war, seufzend auf den Stuhl neben mich fallen.

"So ein Mist!", fluchte sie leise und spielte mit ihrem Armband. Ich nahm ihre Hand in meine und küsste ihren Handrücken. "Ist doch halb so wild, das kann jedem mal passieren, ich bin sonst auch immer zu spät." Sie schüttelte nur den Kopf: "Bei dir ist das auch kein Stress, wenn du zu spät kommst. Ich bin erst seit Kurzem hier, da fällt sowas doch direkt negativ auf." Sie seufzte, doch ich grinste nur. "Was ist so lustig?", fragte sie und legte den Kopf schief. "Du bist süß, wenn du nachdenklich bist. Oder eigentlich immer.", ich grinste noch mehr als Jenny nur die Augen verdrehte und mich belustigt ansah. "Also gut,", mit einem weiteren Seufzer stand sie auf, "zurück an die Arbeit. Ich hab noch ein bisschen was für morgen zu tun." Fragend sah sie mich an, dann auf ihre Uhr, dann zurück zu mir: "Bleibst du hier oder was machst du heute noch? Ich glaube nicht, dass ich vor sechs hier rauskomme, Torben schiebt dezent Stress wegen morgen." Ich dachte kurz nach; wirklich etwas vor hatte ich nicht. "Ich denk ich geh ein bisschen spazieren und dann nach Hause. Komm doch später zu mir, ich koch uns was Schönes", schlug ich dann vor. "Oh ja, das klingt gut, aber nicht wieder Pizza.", ich lachte leicht. "Nein, ich versprechs dir, ich lass mir was anderes einfallen!", erwiderte ich. Sie gab mir einen kurzen Kuss und düste dann auch schon wieder los.

Ich wusste gar nicht so richtig, was ich mit mir und meiner freien Zeit anfangen sollte bis mein Handy klingelte. Es war eine Nachricht von Torben: "Komm bitte in mein Büro. Ich muss dir jemanden vorstellen!" Also machte ich mich auf den Weg in sein Büro, ich holte mir noch einen Kaffee und betrat schließlich Torbens Reich. Der Duft von frischem grünen Tee stieg mir in die Nase. "Ohje, Torben, trinkst du dieses Zeug etwa immer noch?" Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich am Fenster auf die Couch. "Pscht!", zischte er und lächelte dann wieder Richtung Laptop. "Ja, also Wincent ist jetzt hier, wenn du ihn kurz sprechen möchtest für morgen wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt, Chantal!"

Ich zuckte zusammen als er diesen Namen sagte und sah zu ihm. "Ja, total gerne! Nur um kurz zu besprechen wie das morgen vonstatten gehen wird." Ich erkannte die Stimme sofort, stand auf und lief auf die andere Seite des Schreibtischs. Als ich neben Torben stand konnte ich sie im Bildschirm sehen. Chantal. Torbens ehemalige Sekretärin, mit der ich schon einige Nächte verbracht habe. Mir wurde ganz heiß und kalt bei dem Gedanken morgen ihren Freund spielen zu müssen. "An sich ist das alles nichts Wildes, das wird dir Wincent bestätigen können.", begann Torben und sah mich auffordernd an. "Jaa...ähm...genau.", mehr brachte ich einfach nicht zu Stande- warum auch ausgerechnet Chantal? Klar, die Nächte, die wir zusammen verbracht hatten waren quasi ewig her und hatten auch sicher nichts bedeutet, trotzdem hatte ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. "Wir fangen morgen um 5 Uhr an- wir wollen noch ein bisschen was von der Sonnenaufgangsstimmung einfangen- es wäre also gut, wenn du gegen 4:30 Uhr am Set wärst für Maske und Kostüm. Die ersten Szenen hat Wincent sowieso alleine, bis du dran bist reicht das zeitlich also locker. Ich denke das wärs dann auch. Hat einer von euch beiden noch Fragen?", Torben guckte abwechselnd zwischen Chantal und mir hin und her. Während ich nur den Kopf schüttelte klimperte Chantal verneinend mit ihren Wimpern und bedankte sich dann überschwänglich bei Torben. An mich gewandt bekundete sie wie sehr sie sich freute und dann beendeten wir das Gespräch. Torben klappte seinen Laptop zu und sah mich begeistert an. Mist. Ob ich aus dieser Nummer je wieder herauskommen würde war wohl sehr unwahrscheinlich. Wie soll ich das nur anstellen? Ohne dass der morgige Tag komplett seltsam wird. "Wincent? Hallo?", Torben fuchtelte mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum. "Ja? Äh, ja! Sorry, war kurz in Gedanken.", ich drehte mich zu ihm und lächelte verkrampft. "Hab ich gemerkt. Hauptsache du bist morgen komplett da, wir brauchen volle Konzentration, sonst zieht sich der Dreh nur unnötig in die Länge!"

Er erzählte mir noch von Chantal und wie stolz er doch war, dass sie endlich als Schauspielerin Fuß fassen konnte, nachdem sie jahrelang bei ihm im Vorzimmer saß. "Sie steht total auf dich, sie betont wirklich bei jedem Telefonat wie süß sie dich findet, die Chemie zwischen euch ist einfach perfekt!", schwärmte er vor sich hin. Na klasse! Wird ja immer besser! "Du... Torben, ich weiß nicht, ob das so ne gute Idee ist...", fing ich kleinlaut an. "Was? Wie? Natürlich ist das ne gute Idee! Eine sehr gute sogar! Das wird super!" Er strahlte förmlich vor Begeisterung und packte mich an der Schulter. "Das Video wird der Hammer! Die Fans werden ausrasten so gut wird das!" Ich rang mir ein Lächeln ab und nickte. "Gut, dann sehen wir uns morgen. Dieter holt dich wie besprochen um 3:30 Uhr bei dir zu Hause ab und fährt dich zum Drehort. Zum Glück ist für morgen Sonnenschein gemeldet, da werden die Aufnahmen einfach super!" Mit diesen Worten bugsierte Torben mich auch schon wieder aus seinem Büro hinaus und schloss mit einem letzten "Also wir sehen uns!" die Tür hinter mir. Durchatmen Wincent, ganz tief durchatmen. Ich schüttelte meinen Kopf, so ganz glauben konnte ich das alles noch nicht, schöne Bescherung. Dann kam mir auch gleich der nächste Gedanke: ich musste mal wieder dringend mit Jenny reden. So ein Streit wie gestern durfte nicht direkt wieder passieren. Ich machte mich auf den Weg aus dem Gebäude und auf in den nächsten Supermarkt, immerhin hatte ich versprochen zu kochen und bisher keine Idee womit ich Jenny überraschen könnte. Vielleicht auch noch eine Flasche Wein, ein paar Kerzen- ich hatte sicher keine Kerzen zu Hause- damit die Atmosphäre stimmt. Die Aussicht auf ein schönes Abendessen mit Jenny ließ meine Laune etwas besser werden und leise summend betrat ich den Supermarkt.

Das Praktikum - Wincent Weiss FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt