Vergessen - Laternenbilder

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"You're the ones who taught me that you can make your own destiny,
you don't have to be ruled by fate, you can choose freedom.
I still believe that's something worth fighting for."
Castiel zu Dean und Sam


Die Stille einer beschaulich anmutenden Straße am frühen Abend, allein durchbrochen vom Rauschen des Windes in den umliegenden Bäumen. Allein stand der Engel in dem flackernden Licht einer Straßenlaterne. Dean hatte es für besser gehalten, nicht mitzukommen. Castiel konnte es verstehen, denn wahrscheinlich war es das. Es war besser so. Er drückte den Klingelknopf an der Tür des kleinen Einfamilienhauses. Ein melodisches Geräusch war zu hören, dann Schritte im Flur, einen Moment Stille, dann das Klicken von drei Schlössern und das Rasseln einer Sicherheitskette.

Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Blaue Augen schauten vorsichtig heraus umrahmt von zerzausten dunklen Haaren.
„Hallo, Melanie."

„Kennen wir uns?" Ihre Hand umklammerte das Pfefferspray ein wenig fester.

„Hab keine Angst. Ich bin nicht hier um dir zu schaden. Ich werde dir helfen."
Er würde sie vergessen lassen, was in jener Neumondnacht geschehen war. Das hatte er zumindest Dean gesagt. Aber das ging nicht. Traumatische Erfahrungen waren Verletzungen der Seele. Sie konnten nicht ungeschehen gemacht werden. Der Engel konnte nicht mehr für Melanie tun als er damals für Sam getan hatte. Er würde ihren Schmerz übertragen, auf sich selbst.
Er tat es nicht aus einem Schuldgefühl heraus, nicht um Buße zu tun, nicht um sich selbst zu geißeln. Er tat es, weil es richtig war.


Die Grabsteine reflektierten fahl das Licht, das durch den dicht bewölkten Himmel drang. Manche von ihnen waren schon sehr alt, manch noch ganz neu. Der Titel 'letzte Ruhestätte' schien wie Hohn in Anbetracht der Tristesse dieses Ortes. Man sollte meinen der Jäger hätte sich nach all der Zeit an Plätze wie diesen gewöhnt, aber das würde er wohl nie. Massachusetts war noch immer kalt, selbst jetzt im Frühjahr. Dean fröstelte. Für gewöhnlich kehrte er nicht an die Orte einstiger Jagden zurück, sondern war bemüht zu vergessen, all die Bilder voll von Schmerz, Blut und Tod. Doch hier war er nun.
Sie hatten Dorothys Asche an der Gedenktafel der Hexenprozesse von Salem verstreut, nachdem sie ihren toten Körper verbrannt hatten. Auf dem Granit konnte er die Namen ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester lesen. »Sarah Good, geboren 1653, gehängt 1692. Mercy Good, geboren 1692, gestorben 1692.« Sie war vier oder fünf Jahre alt gewesen, genau wie Dean damals, als er seine Mutter verloren hatte, mit dem Unterschied, dass er Sammy hatte retten können, Dorothy hatte auch Mercy verloren.
„Ich hoffe, du kannst jetzt bei ihnen und deinem Jim sein." Vielleicht, ja, vielleicht war sie das. Vielleicht hatte Dorothy Frieden und Erlösung gefunden. Dean legte Blumen nieder, violette und blaue Vergissmeinnicht mit einigen Wachholderzweigen. Wahrscheinlich schuldete er ihr seinen Dank. Ohne sie wäre er noch immer der ignorante Zyniker, der er gewesen war, verbittert, voller Selbsthass und ohne Hoffnung. Ohne sie hätte er nie zu Castiel gefunden.


Melanie zog den Ausschnitt ihrer Bluse näher um ihren Hals. Ich war doch selbst schuld, ich habe mich ihm ja praktisch an den Hals geworfen, ich habe ihn in mein Haus gebeten...
Sofort bereute Castiel, einen Blick in die Gedanken der Frau geworfen zu haben. Manchmal gab es keine Schuldigen für die schlimmen Dinge, die geschahen.

Was vorher nur eine wage Idee, ein harmloses Gedankenspiel gewesen war, wurde nun zu einem Entschluss. Sobald er Melanies Last auf sich genommen hatte, würde er zu Tom Miller gehen und sie an ihn weitergeben. Tom Miller, ein Triebtäter, der nie angezeigt, nie inhaftiert worden war. Nun würde er bald aus tiefster Seele spüren, was er all seinen Opfern angetan hatte. Manchmal gab es keine Schuldigen für die schlimmen Dinge, die geschahen. Manchmal schon.

„Nimmst du mir etwa meinen Job weg?", ertönte plötzlich eine vertraute Stimme hinter Castiel. Oder war sie nur in seinem Kopf? „Aber wie ich sehe, du und Deano..., ihr habt eure Lektion gelernt." Und begleitet von dem Knistern eines Bonbonpapiers: „Bin stolz auf dich, Bruderherz."


"All I did on Earth was run. I'm not running anymore."
Gabriel zu Sam 13x22



SPN-Zitat zum Kapitel:
Dean: "Cas, listen to me. There's some stuff you just got to let go. The people you let down, the ones you can't save... You got to forget about them. For your own good."
Cas: "Is that what you do?"
Dean: "That's the opposite of what I do. But I ain't exactly a role model."
Cas: "That's not true." 10x09

Ein loser Faden. Eine ungeregelte, unerledigte Angelegenheit. Etwas, das noch getan werden musste. Ein Tribut in all seiner Ambivalenz. Denn das Glück zweier Männer forderte das Opfer zweier Frauen.

(Es wird noch ein alternatives Ende folgen, dann ist diese Geschichte auch ganz offiziell beendet.)

Cursed or not (Destiel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt