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• f r e d •
~Tag der Abreise
Schnell stopfe ich die restlichen T-Shirts in meine Reisetasche. Der Reißverschluss klemmt etwas, doch auch das ist schließlich gemeistert. Mit einem letzten Blick durch meine Wohnung schnappe ich mir meinen Gitarrenkoffer. Ich nehme zwei Stufen auf einmal und schon bin ich draußen vor dem Haus. Unser kleiner Bus, aus dem die Jungs lehnen und mir ungeduldig zuwinken, parkt schon auf dem Gehsteig. Eilig gehe ich zu ihnen, lade alle meine Habseligkeiten ein und lasse mich auf das leicht staubige Polster neben Finn fallen.
"Jetzt fehlt nur noch Allie!", ruft Luca vom Beifahrersitz her.
Oh, die hatte ich ja schon fast wieder vergessen.. Das hört sich tatsächlich gemeiner an, als es gemeint ist. Ich hatte einfach in den letzten Tagen noch zu viele Entscheidungen und Proben um die Ohren, um mich auf sowas zu konzentrieren. Das Rumpeln des anfahrenden Busses holt mich postwendend in die Realität zurück und ich warte gespannt darauf, wo wir jetzt hinfahren.
Lockenkopf-Finn lenkt uns mit Ach und Krach um eine schmale Kurve und schon sind wir in einem leicht heruntergekommenen Wohnviertel. Vor einer Tür, die ich selbst aus dieser Entfernung als angelaufen und ramponiert ausmache, wirft uns ein Mädchen ein breites Grinsen entgegen. Mir fährt ein Schauer über den Rücken, so unangenehm ist mir die Umgebung, doch Allie wirkt, als wäre für sie die Welt in Ordnung.

• a l l i e •
"Hiiiiiii!", brülle ich über den Gehweg und schwinge mich mit meinem großen Reiserucksack zum Kofferraum des kleinen Busses. Schnell quetsche ich diesen zwischen all die anderen Taschen und schmeiße die Tür mit einem lauten Knall wieder zu. Im Bus setze ich mich auf den letzten leeren Platz zwischen Johnny und Fred. Ich werfe ihnen ein breites Grinsen zu.
"Hey! Lange nicht gesehen. Nochmal danke! Ich.. Ach egal. Danke." Fahr ein bisschen zurück Allie, deine gute Laune gemischt mit deiner Aufregung könnte sie schnell nerven.. Ich wende meinen Blick dem Fenster neben mir zu und beobachte, wie sich meine Haustür immer weiter von uns entfernt. Es kann nur besser werden! Tatsächlich fesselt mich der Ausblick aus dem Fenster sehr schnell und ich versinke in meinen tiefen Tagträumen.

• f r e d •
Jeder aus dem Bus scheint nun seinen eigenen Gedanken zu folgen. Für mich bedeutet das nun wohl auch, aus dem Fenster zu starren. Wenn ich etwas Anderes tue, als mich zu unterhalten oder die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten, wird mir in wackelnden Fortbewegungsmitteln schlecht. Eine relativ ungemütliche Angelegenheit, wenn man durch seinen Beruf so oft Auto fährt. Touren. Fahren. Konzert spielen. Fahren. Konzert spielen. Ein ewiger Kreislauf.. Doch während ich so die vorbeirauschenden Bäume und Äcker betrachte, bleibt mein Blick unfreiwillig an Allie hängen. Ein zaghaftes Lächeln zuckt an ihren Lippen. Ich frage mich kurz, warum sie eigentlich ausgerechnet uns gefragt hat und woran sie gerade denkt, doch dann stopfe ich die kleinen Kopfhörer in mein Ohr und lausche dem rhythmischen Bass. Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns..

• a l l i e •
Irgendwie fühlt sich das an wie eine große Klassenfahrt. Nicht so viele Leute, aber dafür umso mehr Zeit. Was ist, wenn wir uns gar nicht verstehen? Klar haben wir ab und zu ein wenig Zeit zusammen verbracht, aber das ist ja schon Jahre her. Und was ist, wenn sie mit deiner Arbeit unzufrieden sind? Wenn wir mal ehrlich sind, ist eh schon alles durch. Ich werde es sicherlich nicht mehr auf die Reihe bekommen, meinen Mietrückstand pünktlich zu bezahlen. Und auf die Schnelle einen neuen, besser bezahlten Job zu finden scheint mir gerade auch unmöglich. Die Jungs haben bestimmt solche Probleme nicht. Die verdienen sicherlich schon massig an Geld und wissen gar nichts mehr damit anzufangen. Danke, dass mir kein Talent mit in die Wiege gelegt worden ist. Langsam treibt mich die Stille in den Wahnsinn. Eigentlich hätten wir uns so viel zu erzählen. Aber eigentlich auch nicht. Nachdem ich mich in meinem Gedankenschwall fast verloren hätte, lasse ich meinen Blick durch den Bus fallen. Finn fährt unglaublich konzentriert und scheint gar nicht zu bemerken, dass ich ihn beobachte. Luca scheint ebenso konzentriert und starrt durch die große Windschutzscheibe auf die vorbeirauschende Straße unter uns. Der zweite Finn liegt auf der Sitzbank hinter uns und schläft. Er scheint die beste Entscheidung hier im Bus getroffen zu haben. Johnny scheint in ein Buch vertieft zu sein, was für mich allerdings sehr langweilig scheint, als ich einen Blick auf die Seite geworfen habe, die er aktuell liest. Fred starrt, scheinbar eben so gedankenverloren, nach draußen. Komisch, dass er dir damals nie aufgefallen ist. Im Nachhinein kann ich mir nicht vorstellen, dass er besonders schüchtern und unauffällig war. Woran er wohl gerade denkt? Wahrscheinlich daran, dass es total bescheuert ist, dass DU hier bist und wie verzweifelt ich doch auf alle wirken muss und-
Plötzlich trifft mich sein verwirrter Blick. Warum kannst du nicht aufhören zu starren?!!
Hastig wende ich mich zurück zum Fenster und krame in meiner Jackentasche nach meinem Handy. Allie. Dummkopf.

• f r e d •
Ist alles klar bei ihr? Sie wirkt irgendwie.. eingeschüchtert, niedergeschlagen, traurig..?
"Hey, alles klar bei dir?", frage ich in einem komischen, fürsorglichen Tonfall und schaue zu ihr. Entweder sie findet meine Frage total abwegig oder mich schlichtweg bescheuert, denn ihre Augen zucken nur kurz zu mir, dann tippt sie wie wild auf ihrem Handy herum. Ooookaaay.. Leicht runzle ich die Stirn, doch schließlich ist mir das Ganze doch zu doof. Ich will mich gerade wieder Billies Album widmen, da sieht sie schon wieder zu mir.. Mit diesen traurigen Augen. Was ist denn bitte los mit ihr? Ich lege den Kopf etwas schief, doch wieder scheint sie meine Reaktion für völlig blöd zu empfinden, denn sie starrt lieber auf die nahende Raststätte. Irgendwie ist sie mir suspekt.. Sie wirkte eigentlich immer ganz nett, aber jetzt.. Was bildest du dir eigentlich ein, sie beurteilen zu können? Du hast sie seit Jahren nicht mehr zu Gesicht zu bekommen und selbst früher kanntest du sie nicht richtig.. Ich streiche mir meine langgewordenen Haare aus der Stirn und spüre stetig ihre zuckenden Seitenblicke.

warm colours 🍂 (giant rooks ff) [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt