Hirn

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2. Kapitel

Kjell

Mich zu betrinken, gehört nicht zu meinen Stärken und das wird mir klar, als mich Josh am nächsten Morgen um halb elf aus dem Bett klingelt und bittet ins Pix zu kommen. Wieder mit dieser unterschwelligen Art in seiner Stimme, die nach Drohung klingt und klarmacht, dass ich keine Wahl habe.

Mit einem ausgedehnten Seufzen lasse ich mich nach dem knappen Telefonat zurück in die Kissen meines Bettes fallen und starre an die mit Holzschindeln beklebte Decke über mir. Bis vor wenigen Minuten habe ich noch von Fox Clancy und seinen sexy Tattoos geträumt. Und ich beginne mich zu fragen, wann ich begonnen habe Tattos sexy zu finden - noch bevor ich mich überhaupt frage, wann ich begonnen habe Männer heiß zu finden. Das ist neu. Kommt überraschend und ist nichts, dass mit verwirrt zurücklässt. Also nicht gänzlich, weil es so aus dem nichts kommt. Und es stellt eine weitere Herausforderung dar, denn wenn ich Joshs Worte von gestern richtig deute, werde ich den Großteil meiner Zeit in den nächsten Wochen mit Milan himself verbringen. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich mich in Gegenwart von attraktiven Menschen nicht gerade souverän verhalte.

Als ich mich schließlich aus dem Bett schäle, pocht mein Schädel. Ich werfe eine Ibuprofen ein und hasse mich dafür, dass ich die Teile wie Smarties konsumiere. Nach einer Dusche und frischer Kleidung, schultere ich bereits wieder meine Tasche. Zu meinem Glück schläft Thorvi noch, sodass ich ihr keine Erklärung schuldig bin, weshalb ich mich quasi aus dem Haus schleiche. Aus dem Haus ihrer Eltern. Als seien wir zwei Teenies, die ohne Erlaubnis beieinander übernachtet haben. Im Grunde ist es auch so, oder wäre so gewesen, wenn sie es nicht geschafft hätte ihrem Vater glauben zu lassen wir beide würden uns schon jahrelang kennen und seien nichts weiter als beste Freunde. Ich schlafe auf der Couch in ihrem Zimmer, was für ihren Dad zwar nicht okay, aber immerhin stillschweigend hingenommen wird. Und ich bin dankbar überhaupt einen Platz zum schlafen zu haben, die Wohnungssuche zeigte sich bis vor zwei Tagen wenig gutmütig. Nun heißt es noch eine Woche durchhalten, bis mein WG-Zimmer einzugsbereit ist.

Gestern Abend habe ich ihr erzählt, dass ich bloß Luft schnappen war, um sie nicht zu beunruhigen. Danach haben wir den restlichen Abend dazu genutzt uns zu betrinken. Denn sie hätte mich definitiv gelyncht dafür, dass ich entgegen ihrer Warnung gehandelt und mich in eine Situation manövriert habe, die mich dazu zwingt an einem Samstagmorgen halb verkatert aus dem Bett zu steigen und durch halb Seattle zu fahren, während ich mich wie ein Irrer an mein Handy inklusive Navi klammere. Die Sonnenbrille auf meiner Nase dient nicht dem Schutz der Sonne - welche nicht scheint - sondern verhindert, dass man mir ansieht wie fertig ich bin.

Deshalb setze ich sie auch nicht ab, als ich den Eingang vom Pix passiere und mich in der lichtdurchfluteten Eingangshalle wiederfinde. Im Tageslicht sieht alles anders aus. Weniger einladend. Mehr unspektakulär.

»Kann man dir helfen?«, fragt jemand. Ich drehe mich um und auf mich zu kommt ein Mann, vielleicht ein paar Jahre älter als ich, lockere Jogginghose auf den Hüften und ein weißes Shirt, das definitiv viel zu eng über seinen Oberkörper spannt.

»Wenn du mich zu Josh bringen kannst, dann: Ja«, gebe ich zurück. Das Grinsen, das sich daraufhin auf die Lippen des Fremden legt, ist beängstigend. Nicht er ist beängstigend und es ängstigt mich irgendwie doch, dass ich so denke. Immerhin ist er bestimmt einen Kopf größer als ich, gut gebaut und ich sollte ihn vielleicht beängstigend finden. Doch automatisch fange ich an ihn mit Fox .. Milan zu vergleichen und komme zu dem Schluss: Milan ist beängstigend. Nicht dieser Typ. Doch es ist die Art, wie er mich ansieht. So wissend und gleichzeitig, als läge ihm nichts ferner, als mir zu helfen. Mir macht das keine Angst. Trotzdem spüre ich etwas. Ich kann nur nicht in Worte fassen, was es ist.

To be RecklessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt