Zahnbürsten

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17. kapitel

Milan

Ich habe die gesamte Nacht über kein Auge zu gemacht, weil der Regen unentwegt an die Schreiben trommelt. Möglicherweise ist der Grund aber auch Kjell, der sein Gesicht in der Kuhle zwischen Kissen und meinem Oberarm vergraben hat, während er schlafend lauter atmet, als ein Scheunendrescher. Und ganz vielleicht bin ich mir sicher, dass keiner dieser beiden Gründe das ist, was mich wach hält. Nicht wirklich.

Es ist die Tatsache, dass mein Herz längst beschlossen hat, wogegen sich mein Hirn wehrt. Dass wir hier beieinander liegen, als sei dies das selbstverständlichste der Welt. Mir ist bewusst, dass ich jedes Mal in seiner Nähe vergesse, wer ich bin. Ich vergesse all die Scheiße um mich herum und vergesse, dass es ausreichend Gründe gibt, das hier nicht durchzuziehen.

Wie hat Kjell es eigentlich so schnell geschafft mich für sich einzunehmen? Das ist mir noch nie passiert.

Ich bin müde und meine Augen brennen, doch starren sie unentwegt an die weiße Decke über uns, weil mein Kopf keine Ruhe gibt. Ich habe so ein verdammtes Gedankenchaos, das sich aus so vielen positiven Assoziationen und verdammten Ängsten zusammensetzt. Unaussprechlich, weil jeder einzelne Gedanke nur etwas ist, das entweder der Realität entspricht, entsprechen wird oder einfach nur ein lächerlicher Gedanke bleibt, der mich nachts wachhält.

Das, was wir diese Nacht geteilt haben, war irgendwie besonders. Und ich nutze bewusst das Wort irgendwie, weil es mir schwer fällt das zwischen uns in Worte zu verpacken. Immer wieder muss ich daran denken, wie ein angenehm schmerzvoller Stromschlag durch meinen Körper gewandert ist, als Kjell auf mein »Das ist Folter« ein simples »Gut« erwidert hat, um dann Sekunden später seiner Lippen um meinen Schwanz zu legen. Ich werde bereits wieder hart, als ich nur daran denke. An seine rosigen Wangen, die Feuchtigkeit auf seiner Haut, das Glänzen in seinen hellblauen Augen. Alles an ihm hat mich binnen weniger Momente, die wir zwei bisher hatten, in seinen Bann gezogen. Es verunsichert mich, dass ich schwer einschätzen kann, ob es ihm genauso geht. Kjell ist niemand, den man einfach lesen kann. Man glaubt er trüge den größten Teil seiner Persönlichkeit wie ein Aushängeschild mit sich herum und überrascht einen dann. Diese desinteressierte, düstere Fassade ist nichts. 

Ich will mehr von Kjell, als bloß diese eine Nacht. Jedes Mal, wenn ich ihm im Pix begegne, macht mein Herz einen Salto und mir ist jetzt egal, wieso das so ist. Ich gehe der Frage nach dem Warum nicht mehr nach sondern habe just in diesem Moment beschlossen es hinzunehmen. So gut ich kann. So lange es geht. Und vielleicht schafft Kjell es ja gerade gut genug sich aus meinen Angelegenheiten rauszuhalten, dass wir gar nicht in die Bredouille kommen uns mit diesen Dingen auseinander setzen zu müssen. Dann sind es nur noch ein paar Monate die ich durchhalten muss und dann kann ich wieder Milan Hastings sein, der sich die Nächte Zuhause auf der Couch um die Ohren schlägt anstatt im Ring.

»Deine Gedanken sind verdammt laut«, brummt Kjell und vergräbt sein Gesicht noch tiefer im Kissen.

Ich schnaube und muss grinsen. »Hast du mal gehört wie du atmest?«

Sein Kopf schnellt so rasant in die Höhe, dass ich zusammenzucke. Kjell sieht mich verstört und verschlafen und verflucht bezaubernd an. Sein dunkles Haar ist so zerwühlt, dass ich erneut an das, was letzte nach passiert ist, zurückdenken muss und sich das warme Gefühl in meiner Körpermitte verfestigt. Er sieht so gut aus, stelle ich fest. Sogar direkt nach dem Aufstehen und ohne Dusche.

»Ich schnarche?«, fragt er dunkel und derart unschuldig, dass es goldig ist. Als ich lache, lässt er sein Gesicht zurück im Kissen verschwinden und murmelt Flüche hinein. Das Beben, das durch seinen Körper geht, spüre ich 1 zu 1, weil wir uns noch immer so nah sind. Wir tragen beide nichts weiter, als unsere Unterwäsche. Haut an Haut, während sich alles daran so selbstverständlich anfühlt.

To be RecklessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt