Rüpel

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24. Kapitel

Kjell

Ich trage eine Blue-Jeans.

Es ist Sonntagmorgen und ich trage eine verdammte Blue-Jeans und mein Oberkörper steckt in einem beige-farbenem Shirt. Mich glotzt ein Kerl gegenüber aus dem Spiegel heraus an, den ich nicht kenne. Das bin nicht ich. Aber ich sollte dieses Outfit tragen, weil es okay aussieht. Es strahlt Wärme aus und Freundlichkeit und Fröhlichkeit. Als könnte ich irgendwem etwas vormachen, denn mein Gesicht ist immer noch dasselbe.

Sollte ich mein Piercing aus dem Nasenflügel wieder entfernen?

Ich habe es wieder reingemacht, nachdem Milan so fassungslos auf meine Nase geschielt hat. Ich glaube er mag es. Aber, was, wenn seine Mutter es nicht mag?

Ich werde wahnsinnig. Also tausche ich das beige Shirt gegen ein schwarzes und ziehe meine grau-schwarze Jeansjacke darüber. Es reicht, dass meine Hose blau ist.

Und, wenn sie mich für einen schlechten Umgang hält?

Was, wenn sie Milan verbietet mich weiter zu treffen, weil ich ein Rüpel mit einem Piercing in der Nase und schwarzen Klamotten bin?

Was zur Hölle denke ich da eigentlich?

Milan – ein tätowierter, professionell Kämpfender, Erwachsener wird bestimmt nicht von seiner Mutter gemaßregelt, weil er einen Rüpel mit Babyface zum Frühstück mitbringt. Ich werfe noch einen seufzenden Blick in den Spiegel. Fahre mir durch das dunkle Haar und versuche nicht ganz out of bed auszusehen.

Ich habe mir wieder den Wagen von Otis geliehen und musste mich dieses Mal nicht einem neuen Test unterziehen. Lediglich ein paar Fragen zu meinem Alkoholkonsum und einer möglichen Medikamenten-Sucht, weil er mich ungewöhnlich oft Wasser trinken sieht. Als bestünde die Möglichkeit, dass ein Mensch seinen Bedarf an Flüssigkeit nur durch Leitungswasser deckt, nicht. Jedenfalls führt mich das Navi in einen Vorort. Kleine, niedliche Wohngegend mit bunten Bungalows und kleinen Vorgärten. Die Sonne scheint und am Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen. Im Rückspiegel checke ich noch einmal meine Frisur, an der sich in den letzten fünfzehn Minuten nichts geändert hat und steige dann aus.

Plötzlich bemerke ich, dass meine Hände leer sind.

Sollten sie leer sein? Hätte ich fragen sollen, ob ich etwas mitzubringen habe?

Es ist ohnehin zu spät. Ich bringe den kleinen Steinweg bis zur Veranda hinter mich und zögere kaum, bevor ich klingle. Es ist beinahe, als hätte Milan direkt hinter der Tür auf mich gewartet. Denn es dauert nur den Bruchteil eines Augenblicks, bis er die Tür öffnet und ich von seinem Lächeln dahinschmelze.

Und er fackelt nicht lange. Seine Hand greift in meinen Pullover und er zieht mich an sich, um mich zu küssen. Es ist kein leichter Kuss, sondern ein fester, stürmischer, den ich gar nicht wirklich verarbeiten kann, denn Milan entscheidet mir keine Zeit für Nervositäten zu lassen. Als er von mir ablässt, tritt er beiseite, um mich hineinzubitten. Dann wirft er die Tür hinter uns zu und ich bemerke jetzt erst, dass er mal wieder verdammt gut aussieht. Obgleich er wie so oft eine graue Jogginghose und dazu ein helles Langarmshirt trägt. Nicht mehr. Oder weniger.

„Du siehst sehr gut aus", sagt er matt. „Aber blaue Jeans? Bist du krank?"

Ich sehe ihn an und er grinst. Daraufhin verdrehe ich die Augen und beschließe auf seine Schikane nicht einzugehen. Er weiß vermutlich ganz genau, wie nervös ich bin. Und da hilft es nicht, dass er die Wahl meines Outfits kommentiert. Ich schiebe mir schweigend meine Vans von den Füßen und stelle sie neben die Chucks, von denen ich weiß, dass sie Milan gehören.

To be RecklessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt