Auseinandersetzung

587 53 34
                                    




6. Kapitel

Kjell

In meinem ganzen Leben haben sich gewalttätige Auseinandersetzungen auf einen Kampf im Sandkasten um eine Schaufel und einer Rangelei im Sommercamp beschränkt, die ich beide verloren habe.

Nun bin ich weniger als eine Woche in einem fremden Land und nur noch ein paar Stunden davon entfernt von einem Typen vermöbelt zu werden, der ein Date als genug Motivation für mich empfindet, mich mit ihm anzulegen. Der erste Moment von huh? ist bei mir jedoch schnell verflogen, als mir klar wird, dass er ebenso wie ich davon ausgeht, dass ich die Wette verliere. Das wiederum bedeutet, dass ich kündigen und mich nie wieder in seiner Nähe aufhalten werde.

Die Date-Idee war also wieder einmal ein Spaß auf meine Kosten. Nur: Wie kommt er darauf, dass das ein guter Gewinn für mich wäre? Habe ich zu viel gestarrt? Zu offensichtlich gestarrt? Ich weiß doch selbst nicht einmal, warum ich Milan so anziehend finde.

Vielleicht hat Milan auch recht und ich überdramatisiere die Situation.

Er will mir zeigen, wie ich mich selbst verteidigen kann, wenn es darauf ankommt. Bedeutet das gar nichts? Vielleicht meint er es ernst. Möglicherweise ist das so ein Kampfsportler Ding, dass man das Bedürfnis dazu hat schmächtige Kerle wie mich wenigstens dazu fähig machen nicht in den ersten Sekunden einer Prügelei draufzugehen.

Wobei: Meine körperliche Schwäche liegt nicht an meinem Körperbau, sondern an der winzigen Stimme in meinem Kopf, die nichts dagegen hätte, mehr zu fühlen, als bloße Anwesenheit. Und vielleicht ist es mir auch mehr als einmal schon egal gewesen, ob ich den Sonnenuntergang am nächsten Tag erleben werde.

Als ich merke, dass meine Gedanken in eine Richtung abdriften, die ich nicht mehr einschlagen möchte, stehe ich auf. Ich liege seit etwa zwei Stunden wach und starre an die Holzdecke über mir. Als ich vor zwei Tagen in mein Zimmer gezogen bin, bestand dieses Zimmer nur aus einem Bett, Schrank und Kommode in einem orange-braunen Holzton - und das tut es auch jetzt noch. Aber mit meinen Sachen in dem Schrank, in der Kommode und meiner Bettwäsche auf dem Bett - also bin ich wirklich hier angekommen.

Ich stehe also auf und ziehe mir ein Shirt über den Kopf, einen Pullover dazu, weil es verdammt kalt ist. Nachts werden die Heizungen ausgeschaltet, was im Januar verdammt übel sein kann. Vor allem bei den schlecht isolierten Fenstern in dieser Wohnung. Wahrscheinlich kostest diese Bleibe mehr, als das Haus meiner Eltern damals an Raten gekostet hat und gibt nicht annähernd so viel Komfort her.

Denn auch die Küche, die ich wenige Minuten später betrete, ist spartanisch. Es gibt in dem kleinen Raum eine schmale Küchenzeile mit einem Herd, der zwei Platten beherbergt und eine kleine Spüle. Auf dem kleinen Tisch am Fenster steht ein Ofen-/Mikrowellengerät, das sicher die besten Tage schon hinter sich hat und das einzige, was ich an dieser Situation vor Ort als herausstechend hervorheben kann ist die Sauberkeit.

Mein Mitbewohner Otis hat einen Putzfimmel, der mich bisher zum Glück verschont hat. »Mir ist egal wie dein Zimmer aussieht, aber pinkle bitte im sitzen« hatte er zu mir gesagt, nachdem er mir die Schlüssel überreicht hat.

Ich werfe einen Blick in den Kühlschrank und auch das ist eines der guten Dinge hier: Er ist voll. Otis kümmert sich um den Einkauf, weil er ein Auto hat. Er hat mir angeboten ihm wöchentlich einfach mein Budget an Kostgeld zu geben, damit er für mich mit einkauft. Zwei Fliegen mit einer Klappe, denn ich hasse a. Einkaufen und b. mir zu überlegen, was ich essen will. Letztlich läuft es immer darauf hinaus, dass ich mir einen Joghurt und Brot mit Erdnussbutter rein schaufle.

Ich schließe den Kühlschrank wieder, weil ich nichts essen kann. Deshalb lehne ich mich gegen die Schmale Küchenzeile und ziehe mein Handy hervor. Noch zwei Stunden. Thorvi hat mir eine Nachricht gesendet und etwa fünfzehn auf Instagram, was vermutlich alles Reels sein werden, die ich längst auf TikTok gesehen habe. Sie erkundigt sich, wie auch in den letzten drei Tagen, nach meiner Verfassung bezüglich meines Kiefers. Meine Lippe ist immer noch blau und leicht geschwollen, aber nicht mehr der Rede wert. Nichts vom letzten Samstag ist der Rede wert, oder sollte es weiter sein.

To be RecklessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt