Eine unerwartete Begegnung

1K 61 1
                                    

Die beiden Mädchen verhielten sich wirklich so, als hätte es Isabellas Gefühlsausbruch nie gegeben. Sie hatten sich nun doch auf den Heimweg gemacht, damit Isa am Montag nicht zu müde war, da eine Exkursion geplant war. Sie würden mit der Schule im Burgenland zelten gehen, wovor Isa ein wenig Angst hatte, da sie ja die Mädels aus ihrer Klasse nicht wirklich mochte. Doch was sollte sie tun? Bei den Jungs im Zelt zu schlafen wäre höchstwahrscheinlich schwer zu erklären, auch wenn sie, wie sie nun ziemlich sicher war, kein sexuelles Interesse an ihnen hatte. Auf der Heimfahrt war alles wie immer, Isabella hatte schon fast vergessen, dass sie sich vorhin zum ersten Mal geoutet hatte, als Diana von der Autobahn abfuhr, um zu tanken. Während die beste Freundin gerade auf dem Weg zum Zahlen war, erspähte Isabella vom Auto aus zwei Frauen. Eine davon kam ihr irgendwie vertraut vor, doch als die beiden sich plötzlich küssten, wurde Isa klar, dass sie sie nicht kennen konnte. Sie kannte immerhin keine Gleichgesinnten, aber dieser Kuss gab ihr Kraft. Er zeigte ihr, dass es okay war, zu fühlen, wie sie fühlte und dass sie damit nicht allein war. Als Diana wieder ins Auto stieg, konzentrierte sie sich wieder ganz auf ihre Aufgabe, einen guten Song reinzugeben. Sie entschied sich für „Future On Hold" von der Metal-Band „Amaranthe", da ihr bewusst war, dass Diana zum Glück den gleichen Musikgeschmack hatte wie sie.

Die beiden waren nun angekommen. Nachdem Isa sich mit einer langen und intensiven Umarmung bei ihrem Lieblingsmenschen verabschiedet hatte, atmete sie nochmal tief durch, bevor sie sich auf den Weg zum Internatseingang begab. Es war mitten in der Nacht, wie spät genau, wusste sie nicht, da ihr Handy keinen Akku mehr hatte, doch sie vermutete, dass es etwa halb drei sein würde. Zum Glück war sie in das geheime Versteck des Internatsschlüssels eingeweiht, sonst hätte sie die Nacht nämlich im Freien verbringen müssen und es war nun doch ziemlich kalt geworden, je weiter sie sich aus dem Süden entfernt hatten und je später es wurde. Außerdem sagte man ja, sternenklare Nächte wären kälter und um genau so eine Nacht handelte es sich heute. Isa hastete, sichtlich müde und halb erfroren, um das riesige Gebäude zum einzigen Busch, der eine kleine, heimelige Hütte umgab. Man musste durch das Gestrüpp klettern, um zu ihrem Eingang zu gelangen. Das tat das Mädchen nun auch, denn der Schlüssel befand sich unter einer Metallmülltonne, die auf der kleinen Veranda platziert war. Hier musste schon ewig niemand mehr gewesen sein, denn das Plätzchen war wirklich extrem verwachsen, so kannte sie diesen Ort gar nicht. Sie versuchte, so leise wie nur möglich die Tonne anzuheben, um den Schlüssel darunter hervorzuholen. Dies gelang ihr leider nicht wirklich. Sie brauchte ganze vier Versuche, wobei das Metall bei jedem einzelnen der drei Fehlversuche aufgrund des Gewichts der Mülltonne laut scheppernd am Boden aufschlug. Isa sah sich besorgt um. Wenn sie jemanden weckte, wäre das nicht sehr vorteilhaft. Sie wollte einfach niemanden treffen, sie hatte einfach nur das Bedürfnis nach Schlaf. Der vierte Anlauf glückte ihr dann Gott sei Dank und sie bahnte sich den Weg zurück durch das Gestrüpp. Die junge Frau trat durch die große Eingangstür, schloss hinter sich ab und tastete sich im Dunkeln Richtung Treppe, die zu ihrem Zimmer führte. „Fast geschafft", dachte sie, als sie plötzlich eine warme, vorsichtige Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie wollte sich gar nicht umdrehen, denn sie würde, wäre es ein Schüler oder eine Schülerin, erklären müssen, warum sie schon wieder Wochenendausgang bekommen hatte. Die anderen erhielten diese Erlaubnis nämlich komischerweise viel seltener als sie. „Hey junge Dame, was machst du denn zu so später Stunde hier am Gang? Wohin die Reise?", fragte eine Frauenstimme, die Isa überhaupt nicht zuordnen konnte. Immer noch nicht zu der Quelle der Worte umgedreht, folgerte sie, dass es sich weder um eine Mitschülerin, noch um eine Lehrerin handeln konnte, was ihr plötzlich Angst einjagte. „Überfall? Verbrechen? Entführung? Mord?" All das schoss ihr durch den Kopf, als sie sich dann doch dazu entschied, sich einfach umzudrehen. Sie sah die Umrisse einer jungen Dame, die sie mit Sicherheit noch nie zuvor gesehen hatte. Oder? Isabellas Herz rutschte ihr in die Hose. Das konnte doch nicht wahr sein, das war nicht möglich. Doch, scheinbar schon. Als ihr Gegenüber nämlich das Licht aufdrehte, erkannte sie, wer ihr da gegenüberstand und wissen wollte, was sie hier trieb. Es war doch tatsächlich die Frau aus Caorle, die Isa gefragt hatte, wie sich ihre Brüste im Bikini machten! Das konnte jetzt nicht wahr sein! Sofort stieg der Schülerin die übliche Röte ins Gesicht. Sie konnte nun nur noch hoffen, dass diese wunderschönen, braunen Augen sie nicht wiedererkannten. Fehlanzeige. „Aber hallo! So sieht man sich wieder, hm?", fragte die junge Frau kichernd. Isabella schämte sich in Grund und Boden. Plötzlich war sie hellwach. „Ahm... hallo...", stammelte sie sichtlich beschämt. So genau hatte sie im Strandshop nicht Zeit gehabt, die Frau zu mustern, also holte sie das jetzt nach. Sie hatte lange, gewellte, braune Haare, die zum Farbton ihrer Augen passten und ein wirklich hübsches, wohlgeformtes Gesicht. Sie wirkte überhaupt nicht streng, sondern sehr herzlich, was Isa sofort sympathisch war. Die Frau trug eine enganliegende Jeans, die ihre Figur betonte. Sie war nicht übertrieben dünn, aber dennoch schlank und ihr schwarz-weiß gestreiftes, langärmliges Shirt stand ihr ausgezeichnet. Außerdem trug sie eine Art Schal um den Hals. „Wieso denn so verlegen?", hakte sie nach, wieder mit diesem Grinsezwinkern, das sie Isabella schon in Italien zuteilwerden hatte lassen. Das Mädchen wusste selbst nicht genau, was der Auslöser für ihr komisches Verhalten war. Vielleicht die Tatsache, dass sie die Person noch nie in ihrer Schule gesehen hatte, oder die Sache mit ihrem Busen? Vielleicht war es auch einfach nur die positive Ausstrahlung, die ihr entgegenleuchtete und all ihre klaren Gedanken überlagerte und ihr Herz schneller schlagen ließ. „Darf ich fragen, wer Sie sind?" Die Frau lachte nun freundlich, was Isabella ein wenig verwirrte, antwortete ihr dann aber: „Das darfst du natürlich. Ich bin ab morgen an dieser Schule Lehrerin, oder besser gesagt, Unterrichtspraktikantin. Ich habe gerade mein Studium abgeschlossen und werde jetzt für ein Jahr hier unterrichten." Isa war sprachlos. Wie wahrscheinlich war es, dass man eine wildfremde Person, die man wenige Stunden zuvor im Ausland kurz getroffen hatte, mitten in der Nacht in der eigenen Schule antraf und dass sich zu allem Überfluss auch noch herausstellte, dass sie eine Lehrerin war? „Das glaub ich nicht!", entfuhr es ihr entgeistert, „Wie schlimme Zufälle kann es geben?!" Die Lehrerin lachte nun noch belustigter: „Also ich persönlich habe die Situation hier nicht als schlimm empfunden, aber ja, Zufälle sind oft sehr amüsant." Isa ärgerte sich nun wieder über ihre Wortwahl. Sie stellte unter unbeholfenem Stottern klar, dass sie die Situation auch nicht schlimm fand, nur eben verwunderlich, wobei die Lehrperson sie dann beruhigte und ihr erklärte, dass ihr das schon klar sei. „Was unterrichten Sie denn?", fragte Isabella interessiert. Sie hoffte auf der einen Seite, die Unterrichtspraktikantin würde sie unterrichten, andererseits sagte ihr irgendetwas in ihrem Innersten, dass das keine gute Idee war, warum, war ihr selbst ein Rätsel. „Mathematik und Musik", ließ die junge Frau sie wissen. Isa dachte kurz nach, entschied sich dann aber dagegen, die Sache im Shop anzusprechen und nickte nur interessiert. „Und übrigens, du kannst mich duzen, wenn du möchtest. Eigentlich kannten wir uns ja schon, bevor ich hier unterrichte, das heißt, ich könnte bei anderen Kollegen grundsätzlich damit argumentieren, dass wir befreundet sind, da ich ja sogar schon die Form deiner Brüste in Schwimmkleidung beurteilt habe", lachte sie. Dieses Lachen war das wärmste, das Isa je gehört hatte. Es löste ein wohles Gefühl in ihr aus, obwohl sie sich eigentlich hätte schämen müssen. „Das klingt super!", lächelte Isabella nun deutlich mutiger. „Eine Freundin in der Schule zu haben, war schon immer mein Traum", fügte sie kleinlaut und ihrer Meinung nach unhörbar hinzu. Bevor die Lehrerin nachfragen konnte, die offenbar trotzdem jedes Wort verstanden hatte, lächelte Isa sie dann jedoch an: „Würdest du mir noch sagen, wie du heißt? Damit das mit der Freundschaft glaubwürdiger rüberkommt." Die Lehrerin schien überhaupt noch nicht daran gedacht zu haben und musste nun wieder grinsen. Dieses Mädchen wurde ihr offensichtlich immer sympathischer. „Mein Name ist Anna. Anna Khom. Und du? Wer bist du?" Isa antwortete: „Ein schöner Name. Ich bin Isabella Koch." „Sehr erfreut", zwinkerte Anna, „Und damit ich meinen Job schon mal üben kann: Du solltest jetzt wirklich in dein Zimmer gehen, es ist schon ziemlich spät."

Und ja, ich glaube an SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt