12. Kapitel - Die Wahrheit über Staraja Riba

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Leon ging schließlich zusammen mit Deniz als seinen besten Freund und moralisch Unterstützung zur Nebelburg, um Vanessa den Liebesbrief zu überreichen. Zwar hatte ich anfangs eigentlich vor gehabt, zurück zu den Flammenmützen zu gehen; doch jetzt, nach dem vorhin, dachte ich anders.
Ich wollte nicht mehr weg, ich mochte die Jungs schließlich. Und ich mochte es, wieder bei Markus zu sein. Er war ein verdammt cooler Bruder und ich war froh, ihn wiederzuhaben.
Wir redeten und machten quatsch, bis die zwei anderen wieder zurückkamen. Besonders glücklich sahen sie aber nicht aus. Vielleicht hatte Vanessa ja auch nur nicht direkt geantwortet? Denn eigentlich war selbst ich recht zuversichtlich gewesen, dass es dieses Mal klappen würde. Als wir sie schließlich aufforderten, zu berichten, wie es lief, fing Deniz an zu erzählen: „Oha, es war gar nicht so schlecht… Für den Anfang“.
War das jetzt gut oder schlecht? Etwas ratlos sah ich in der Gegend rum und war damit nicht alleine. Leon währenddessen schmiss sein Fahrrad ins Gras und rannte davon. „Leon! Wir müssen nur ein bisschen warten“, rief die 'Lokomotive' dem Anführer hinterher. Die Antwort bestand aus der Frage, worauf er denn warten sollte. Und dann kam wieder das Fußballspiel gegen den SV 1906, welches morgen stattfinden würde, zur Sprachen. Natürlich, es war eben wichtig für die Kerle, und ich konnte nicht für Vanessa
spielen. Ich war immerhin kein Teil der Mannschaft, und auch auf keiner Meldeliste.

Markus hatte das Ganze vorhin zur Sprache gebracht, doch Juli musste ihn enttäuschen. Er meinte, in den Regeln stand, dass ich Mitglied sein müsste und ich war nun einmal kein Wilder Kerl, und schon gar keine Vanessa. Denn das Leon mich hätte spielen lassen, bezweifelte ich durchaus. Immerhin würde ich seine Vanessa ersetzen. Ein anderer Grund meinerseits war allerdings auch, dass es gewiss nicht der Situation zwischen den Jungs und der Blonden an Spannung nehmen würde. Eher im Gegenteil.

Leon trat inzwischen mit einer Mischung aus Enttäuschung und Wut wahllos Gegenstände, die in der Gegend verstreut lagen.
Deniz begann wieder auf Leon einzureden und versuchte, ihm Vanessas Situation zu verdeutlichen. Immerhin waren die vorangegangen Aktionen nun wirklich weder die besten, noch die ehrlichsten gewesen. Und dann gab es ja noch Dreadlöckchen Gonzales…

Wir setzten uns schließlich alle wieder ins Baumhaus und Leon war gerade dabei, uns gewissermaßen seine Kapitulation zu erklären, als Joschka reingestürmt kam. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er weggewesen war. Er unterbrach Leon mitten in seinem Satz: „Wenn der 15 ist, bin ich 33. Hier“, er zeigte uns ein Buch. „Das hab‘ ich in unserer Spielzeugkiste gefunden. Doch der ‚große‘ Gonzales glaubt immer noch daran. Das ist absolut bebisch! Das ist ab acht!“ Wir fingen an loszuprusten und die angespannte Stimmung fing an sich zu lockern.
Raban schnappte sich das Buch und begann vorzulesen: „Die Hexe Staraja Riba lebte am Ende der Welt, auf den Aligatorenrotzklippen“. Marlon versuchte, das Ganze mit entsprechenden Lauten zu untermalen. „Sie hatte vier Arme und Beine. Und jetzt passt mal auf: sie hatte eine so lange Nase, dass sie die, wenn sie erkältet war, in den Mund stecken konnte", fuhr der Rothaarige fort. Maxi versuchte, die Situation pantomimisch darzustellen und Joschka schüttelte sich vor ekel. „Igitt und fy fan¹!“, entkam es mir. Was in Satans Namen war das denn für eine Geschichte?
Der Brillenträger unterbrach das Gelächter, welches entstanden war: „Jetzt seid doch mal still, es wird nämlich ernst. Jeden Tag schickte die Hexe ihre Federkatzen hinaus in die Welt. Biestige Biester. Sobald es dunkel wurde, flatterten sie durch die Nacht“. Derweilen drangen sonderbare Geräusche von außen ins Baumhaus, welche erschreckend gut zur Geschichte passten. „Sie flatterten und suchten nach Kindern. Nach solchen, die sich nicht trauten; die nur so taten, als seien sie wild. Ihren Angstschweißgeruch sammelten sie ein", die Jungs rochen doch jetzt bitte nicht wirklich an sich selber nach! Solche Angsthasen, das war doch nur ein Buch!
„Das gibt es doch nicht wirklich, oder?“, fragte Deniz mit einem Hauch von Schiss in der Stimme. Was dachte der denn bitte? Die Geräusche waren sicherlich nur irgendein blöder Zufall. „Na klar, dass ist doch alles bloß erfunden“. Juli versuchte zwar, standhaft rüberzukommen, doch seine Köperhaltung sprach für sich.
„Den brachten sie zu der Hexe; zu Staraja Riba", Raban genoss sichtlich die Wirkung , die er mit Hilfe der Geschichte verbreitete, „Schreiend und kreischend taten sie das, und die lachte ihr grässliches Lachen“ Im selben Moment erklang tatsächlich ein grässliches Lachen, sodass auch ich vor Schreck zusammenzuckte.
„Sie wusste sofort, von wem der Schweiß kam", fuhr der Brillenträger fort, „und mit ihren vier Armen und Beinen packte sie die kreischenden Katzen und flog in die Nacht. Sie flog los, um sich die Kinder zu holen“
Im selben Moment hörten wir wieder dieses grässliche Geräusch von außen, nur dieses Mal deutlicher. Die sonst so wilden Kerle hatten deutlich Schiss und ich – ich war nicht besser.

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Schwedisch für…
¹ „Pfui Teufel“

Tess und der Beginn ihres wilden Lebens  (DWK FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt