11. Kapitel - Sonnenschein und Springflut

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Nachdem sich unsere Wege an der Eisdiele vorerst trennten, trafen wir uns schließlich auf Camelot wieder – einem großen Baumhaus im Garten von Juli und Joschka.
Währenddessen hatte mir Markus berichtet, dass sie tatsächlich den Umbau des Teufelstopfes gemeistert hatten; besonders begeistert schien er dabei nach wie vor von der Baustrahlerflutlichtanlage.
Wir kamen zeitgleich mit Maxi am zweistöckigen Baumhaus an und gingen über die Hängebrücke zu den anderen. Die letzten, die eintrafen, waren Raban und Joschka. Beiden hatten je einen riesigen Bücherstabel in den Armen. Auf die Frage, was er denn da dabei hatte, antwortete Raban: „Bücher. Ratgeberbücher; die hab' ich von meiner Mutter stibitzt. Hier“, Raban teilte die Bücher aus und las dabei einige Titel laut vor: „Liebe die Liebe. Wage das Wagnis. Leb nicht allein“. Verdutzt schauten wir ihm dabei zu. „Aha. Und die hat deine Mutter alle gelesen?“, musste ich nun doch nachfragen. „Ja klar“, meinte der Held nur schulterzuckend. „Und warum lebt sie dann noch allein?“, fragte Maxi und sorgte damit für Gelächter. Aber er hatte ja Recht, da fehlte irgendwie der Erfolg. Was sollten wir damit?
„Hier, hört euch das an: Die drei goldenen Regeln für einen richtigen Kuss“, las Deniz den Titel sei Buches vor. Ich glaubte kaum, dass einem in diesem Fall Bücher helfen konnten. Es wirkte nicht … richtig. „Igitt, kotz und bäh“, gab Joschka seine Meinung dazu ab.
„Hey, stopp. Seid still“, unterbrach Leon schlussendlich die heitere Stimmung. „Wir sind nicht zum Spaß hier. Ich muss einen Brief schreiben. Ich meine, einen Brief, einen … Ach kacke verdammte!“ Leon raufte sich verzweifelt die Haare. „Ich habe keinen blassen Schimmer, wie das überhaupt geht“. Tja, den hatte definitiv keiner von uns.
„Also los. Wer traut sich als Erster?“, fragte Deniz in die Runde. Und dann wandte er sich ausgerechnet an Markus. Ich meine – an Markus! Wie hatten vielleicht alle keine Ahnung von Liebe, aber er definitiv am wenigsten. Und ich musste es schließlich wissen.
„Markus, du bist er coolste von uns!“, versuchte Deniz, ihn zu ermutigen. „Ich glaube, mir wird schlecht“, antwortete der Unbezwingbare bloß. Das war ja malmsowas von klar, bei der heiligen Göttin des Mondes! Doch Deniz ließ nicht locker und so antwortete mein Zwilling schließlich: „Mein … netter Freund Vanessa?“ Leon schrieb das Gesagte auf. Ich prustete zusammen mit den anderen los – Markus war einfach ein hoffnungsloser Fall! Doch Leon ging noch weiter und faselte irgendwas von ihrem Hinterradreifen. Marlon fasste das ganze noch einmal zusammen: „Mein netter Freund Vanessa, ich liebe deinen Hinterradreifen“. „Deinen extra breiten Hinterradreifen“, ergänzte Maxi, „Ich meine: wenn, dann schon richtig!“ Den letzten Halbsatz sagten beide synchron und schlugen dabei ein. Das Lachen wurde durch die Aktion nicht weniger, doch der Anführer meinte bloß: „Verflixt, was lacht ihr denn so. Das war doch gar nicht so schwer!“ Das war doch jetzt bitte nicht sein Ernst! Stumm schauten wir ihn an, bis auch er checkte, dass das keine gute Idee war und das Papier mit dem ersten Versuch zusammenknüllte.
„Tess, du bist doch ein Mädchen“, bemerkte Juli, der Blitzmerker. „Du weißt doch bestimmt, wie sowas geht“. Auf einmal richteten sich alle Augen auf mich. „Förbaskad¹, wie kommst du bitte auf sowas! Ich bin genauso im Tal der Ahnungslosen, wie ihr. Ich bin mit Markus verwandt, falls dir das entgangen sein sollte. Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass die Bücher nicht helfen werden“. Nach einer kurzen Denkpause fügte ich noch hinzu: „Aber… Doch, das müsste Funktionieren!“
Ich stand von der Kiste, auf der ich bisher gesessen hatte, auf, und ging auf Leon zu. „Denk doch mal nur an Vanessa. Lass alles andere mal außen vor und denk nur an sie“. Leon schloss die Augen. „Und? An was denkst du?“ Nach seiner Antwort „Fußball“ ging ein Aufstöhnen durch die Kerle, doch zum Glück meinte Juli, dass sie still sein sollten. Das war echt kontraproduktiv!
„An was noch?“, fragte 'Huckleberry' nun Leon. „An… ihre Augen? Ja, an ihre Augen!“ „Und was fühlst du dabei?“, übernahm ich nun wieder das Gespräch. Leon antwortete, dass er wolle, dass sie bei ihm sei. „Versteht ihr das?“, fragte er in die Runde. „Wenn Vanessa da ist, dann ist das so, als würde die ganze Welt bunter sein“. „Los, schreib das auf“, meinten Juli und ich daraufhin einstimmig.
Und dann schrieb Leon einen Liebesbrief, zusammen mit unserer Hilfe. Denn nun gingen alle in sich und überlegten, was sie mit der Unerschrockenen verbanden.

„Liebe… Nein, dass ist falsch. Geliebte Vanessa. Ohne dich ist die ganze Welt nur noch schwarz und weiß“, machte Leon den Anfang.
Deniz ergänzte: „Weil deine Augen, wenn du gehst, die Farben mitnehmen“
„Und ohne dein Lachen, die Sonne nicht scheint“
Aus irgendeinem Grund, vermutlich aber Zufall, schaute Juli mich dabei an und mir lief ein Schauer über den Rücken. Dachte er dabei etwa an mich? Quatsch, so ein Blödsinn! Und überhaupt, wieso sollte ich das wollen?
„Das Meer wird ohne dich zur Springflut“, trug auch ich meinen Teil bei. Wieso fielen mir ausgerechnet jetzt Julis meerblaue Augen auf?
„Und der Wind zum Sturmregen“, fügte Maxi hinzu.
Als Markus aufgefordert wird etwas zu sagen, meint er bloß, jetzt sei ihm schlecht. So typisch, wirklich.
„Ohne dich fehlt jedem Kampf, den ich kämpfe, der Grund“, antwortet stattdessen Marlon und dann setzte Markus doch noch nach: „Und meinem Herzen das Feuer“. Ich war richtig stolz auf ihn.
„Ich kann dich nicht zwingen, dass du zu mir zurückkommen sollst, aber“, begann der „Slalomdribbler“.
„Ich bitte dich“, ergänzte Raban. „Mit allem was ich habe“, machte der Anführer weiter, „und was mir etwas bedeutet“
„Für immer“, schloss der rothaarige, dann unterschrieb Leon.

„Terrortoristische Monsterschleimbacke“, durchbrach Joschka, der bis jetzt gar nichts gesagt hatte, die Stille. „Und davon ist gar nix gelogen?“

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Schwedisch für…
¹ „Verflixt"

Tess und der Beginn ihres wilden Lebens  (DWK FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt