Raul zwinkerte mir aufmunternd zu und ging dann zu seinem Bass, der wie immer als einziges Instrument nicht eingepackt war. Grummelnd wischte er ein bisschen Staub von der Oberfläche. Riku lachte. „Du, Raul, wenn du deinen Bass mal einpacken würdest, würdest du nicht jedes Mal da stehen und ihn abwischen.", riet er. Raul sah zu ihm auf. „Als ob ich mir die Arbeit mache, du kennst mich doch!", grinste er, nachdem er Riku eine Weile lang verständnislos angesehen hatte.
Riku ging zu ihm in die Ecke, in welcher auch seine Gitarre stand, und gab ihm einen Stoß in die Seite. Als auch die beiden ihre Instrumente spielbereit hatten, fragte ich in die Runde: „Was wollen wir heute eigentlich genau machen? Wir sitzen hier, reden kaum und die Stimmung ist angespannt. Ganz ehrlich, wir können nicht einfach irgendwelche Lieder runter spielen, den ganzen Tag lang.".
Die ganze Runde starrte mich an. Sie merkten, dass ich Recht hatte. Wir saßen hier in unserem Studio, ohne irgendeinen Plan und taten so, als hätten wir einen solchen. Und die Stimmung war schlecht, was bei uns eigentlich so gut wie nie der Fall gewesen war, bis vor einigen Monaten.
„Wie wäre es, wenn wir einfach mal alle unsere Instrumente weglegen, und mal reden? So wird das nichts, weder mit dem Proben, noch mit den genialen Konzerten.", brach Sami die Stille in der Runde, in der alle weiterhin auf mich starrten wie hypnotisierte Kaninchen. Ohne ein Wort zu sagen, stellten wir alle unsere Instrumente in die Ständer und setzten uns in die große Sofaecke.
„Leute, es tut mir leid, dass ich euch gestern einfach sitzen gelassen habe und auch, dass ich euch andere Male einfach sitzen gelassen habe. Aber ganz ehrlich - ich mache das ja auch nicht aus Spaß. Denkt ihr eigentlich, mir geht es gut dabei? Ich liege entweder zu hause auf dem Sofa und kann praktisch nicht aufstehen, oder bin anderweitig so am Arsch, dass ich es nicht einmal für nötig halte euch, die Menschen, denen ich eigentlich meine Existenz zu verdanken habe wenigstens abzusagen. Könnt ihr nicht auch ein Mal versuchen, das zu verstehen?", sprudelte es aus mir, sobald wir alle saßen.
Als ich fertig gesprochen hatte, bereute ich, überhaupt etwas gesagt zu haben. Ich wusste nicht mehr genau, was ich gesagt hatte, war mir aber sicher, dass irgendetwas darin gewesen war, was jetzt eine Diskussion auslösen würde. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände und vergrub mein Gesicht in ihnen. Bloß nicht die Gesichtsausdrücke der anderen jetzt sehen, bloß nicht. Aber vor allem durfte ich nicht weinen, nicht wegen so einer Sache. Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und dachte an alles mögliche, nur nicht an die Situation, in der ich dachte zu stecken.
Ich hörte Geraschel neben mir, Schritte und jemand setzte sich neben mich. Auf einmal tippte dieser jemand mir an die Schulter und legte dann seinen Arm um mich. Raul. „Hey, Samu, was ist denn los?", er zog meine Hände aus meinem Gesicht und zwang mich mit einem gezielten Stoß, der meine Ellenbogen von meinen Knien rutschen ließ, aufzuschauen.
Ich erwartete alle drei Jungs, wie sie mich anstarrten, sah jedoch nur Raul neben mir. Als dieser meinen verunsicherten Blick sah, erklärte er: „Die anderen beiden sind kurz raus gegangen, Riku versucht Sami zu erklären, dass du kein schlechter Mensch geworden bist, glaub ich. Der ist ja in letzter Zeit am angepisstesten. Darum geht es jetzt aber nicht. Samu, sag mal, willst du mir mal erzählen, was wirklich los ist in letzter Zeit, mit dir?". Die Überleitung zum eigentlichen Thema war für Rauls Verhältnisse erstaunlich gut.
„Weißt du doch. Du weißt ganz genau, dass das alles nach der Sache mit Arttu angefangen hat. Ich war total am Ende, konnte Wochenlang keinen klaren Gedanken mehr fassen, habe nur noch getrunken, das habt ihr ja auch mitbekommen. Dann hat ein paar Wochen später auch noch, unabhängig davon, Maria mit mir Schluss gemacht. Und als ich irgendwie über all das hinweg war, gab es Stress mit euch, weil ihr nicht eingesehen habt, dass ich das alles nicht einfach mal eben so wegstecke, dass er von einer Sekunde auf die nächste einfach für immer weg war und sie mir einfach so, aus heiterem Himmel erklärte, dass sie einen neuen hätte. Er war schließlich auch nicht nur irgendjemand, sondern mein bester Freund, den ich seit dem Kindergarten kannte und mit dem ich auch in der Grundschule war.", ich stockte kurz und schluckte. Arttu. Raul legte seinen Arm wieder tröstend um mich, als wären wir kleine Kinder im Sandkasten. Aber es half, es war ein tolles Gefühl. Nach einer kurzen Pause und fünf Tränen, die energisch von mir weg gewischt worden waren, fuhr ich fort. Es tat gut, einfach einmal zu reden.
„Und durch den Stress ging es mir dann halt auch beschissen, richtig beschissen, und ich habe halt einfach da weitergemacht, wo ich wegen der Trauer gewesen war, du kennst mich schon eine halbe Ewigkeit, du weißt, wie schnell es mir wegen so etwas schlecht geht. Dann bin ich halt aus dem Loch nicht mehr raus gekommen, oder nur so halb. Und seit zwei Monaten hab ich immer diese Tage wie gestern, an denen alles an meinem Körper auf Wiedersehen sagt, das ist eigentlich alles.", verdammt klang das albern. Ich ärgerte mich darüber, dass ich solch ein Weichei war.
„Das klingt albern, als wäre ich ein pubertäres Mädchen.", bemerkte ich, als nichts von Raul kam. Er schüttelte energisch den Kopf.
„Samu, du weißt, dass ich auch mal so eine Phase hatte, in der ich mich nicht unter Kontrolle hatte und ihr wart auch stinksauer auf mich. Und die anderen beiden waren auch damals viel saurer, als du es warst, du hast den anderen beiden gesagt, dass sie sich ein bisschen entspannen sollen. Und genau das möchte ich jetzt auch bei dir tun. Und es klingt nicht albern, er war immerhin dein bester Freund und nicht irgendjemand, den du nur flüchtig kanntest.", Raul sah mich ernst an. Beim zweiten Satz musste ich lächeln, ich wusste wieder, weshalb ich Raul damals nicht aus der Band geworfen hatte, weshalb ich mich für ihn eingesetzt hatte.
„Wenn wir jetzt Mädchen wären, würde ich sagen, dass du süß bist.", scherzte ich, fuhr dann aber sofort ernst fort: „Danke. Wirklich - so jemanden braucht man, wenn derjenige, der so etwas und noch viele andere Dinge früher immer getan hat, auf einmal weg ist. Ach ja, das neueste habe ich dir noch nicht erzählt. Ich habe vorgestern eine Frau kennen gelernt, Alissa. Sie ist ungefähr so alt wie ich, vielleicht ein paar Jahre jünger, hat eine Tochter und reitet beruflich Pferde ein.".
Raul war der erste, dem ich von Alissa erzählte. Es fühlte sich gut an darüber zu sprechen, so richtig. Nicht, als würde ich nur hoffen, dass es sich gut entwickeln würde, sondern als würde ich es fühlen. „Und mit der triffst du dich?", erkundigte Raul sich. Ich nickte. „Wir haben uns bisher zwei Mal getroffen und sehen uns übermorgen wieder, morgen bin ich ja in Berlin.", erwiderte ich.
Raul schien zufrieden, als wäre er der Meinung, dass es so eine Nachricht nun wirklich gebraucht hätte, als wäre er sicher, dass das vieles lösen würde.
„Sami und Riku kommen in fünf Minuten wieder.", bemerkte er auf sein Handy schauend. „Dann reden wir alle zusammen. Keiner will von dir, dass du alles so ausführlich erzählst, wie du es bei mir vorhin gemacht hast. Aber sag einfach, dass es dir richtig beschissen ging. Ich glaube, dass auch Sami sich bei dir entschuldigen wird.", meinte er dann. Er sah aus, als würde er sich wie beim Streitschlichten in der Grundschule fühlen, womit er ja auch nicht ganz Unrecht haben würde. Viel erwachsener, als Grundschulkinder benahmen wir uns nicht.
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"Here we are, a pair of hearts, feeling complete." {Sunrise Avenue FF}
FanfictionSamu und Alissa treffen sich in einem Café. Alissa ist eine selbstständige junge Frau, hat eine Tochter und einen Ex-Mann. Samu ist Sänger einer Band, beschäftigt und berühmt - außerhalb von Finnland, wo sich diese Geschichte abspielt. Halten sie t...