Kapitel 10

332 11 0
                                    

Sams POV:

Hätte ich für meine Gefühle der letzten Tage Worte finden müssen, so hätte mir genau ein Wort ausgereicht: Glück. Ich hatte Glück, am Leben zu sein. Damit, dass ich mich – zumindest räumlich – meinem Mann entziehen konnte. Und die Tatsache, dass sich Julians und meine Wege an diesem gewissen Punkt gekreuzt haben, war für mich mit Abstand das größte Glück, das ich mir nur vorstellen konnte. Nicht einmal im Entferntesten wollte ich mir ausmalen, was wohl passiert wäre, wenn es nicht so gekommen wäre. Mit diesem Gedanken startete ich in diesen neuen, sonnigen Tag. Ich tapste in die Küche, wo mich ein Zettel auf der Arbeitsfläche erwartete, welcher mir verriet, dass Julian noch kurz unterwegs war, um ein paar Besorgungen zu machen, was wiederum bedeutete, dass ich die Wohnung für's Erste für mich allein hatte. Diese Zeit würde ich nutzen, um hier und da etwas aufzuräumen. Ich schaltete das Radio ein und summte zu dem laufenden Song mit, während ich die Küche in Ordnung brachte und meinen Gedanken nachhing. So sehr es mir bei Julian gefiel und so schön es auch war, ihn bei mir zu haben, genauso wenig wollte ich jedoch seine Gastfreundschaft überstrapazieren. Zwar hatte er mehr als nur einmal beteuert, dass ich so lange bleiben konnte, wie ich wollte, aber dennoch war es aus meiner Sicht besser, auf kurz oder lang etwas Eigenes zu haben. Was allerdings noch viel wichtiger war und wovor mir mehr als nur mulmig zumute war: In den nächsten Tagen würde ich noch einmal in meine Wohnung zurückkehren müssen, um Klamotten und noch ein paar weitere Dinge rauszuholen – schließlich war ich seinerzeit lediglich mit meinem Handy und dem, was ich in diesem Moment unmittelbar an meinem Körper trug, aus dem Haus geeilt.

Plötzlich klingelte es. Verwundert sah ich auf. Hatte Julian etwa seinen Schlüssel zu Hause liegen lassen? Sichtlich ratlos machte ich mich auf den Weg zur Tür, doch als ich diese öffnete, hätte ich sie am liebsten direkt wieder zugeschlagen, was mir jedoch nicht gelang, weil die Person am anderen Ende eben dieser schneller war und ihren Fuß dazwischenschob. „E-Emil!", stotterte ich ängstlich meinem Mann entgegen. „Was willst du hier?" Dieser lachte hämisch auf und meinte: „Na, damit hast du nicht gerechnet, was? Es war ein Leichtes, dich zu finden – ich musste nur auf die richtige Gelegenheit warten, bis wir, sagen wir mal, ungestört sind!" Entgeistert starrte ich ihn an. Er hatte Julian und mich die ganze Zeit im Park beobachtet und – schlimmer noch – er war uns bis hierher gefolgt? Das durfte einfach nicht wahr sein! Der Ort, an dem ich mich so sicher wie schon lange nicht mehr fühlte... und er wusste die ganze Zeit Bescheid? Mein anfängliches Entsetzen, all die Angst in mir drin wandelte sich um in unbändige Wut, die immer mehr in mir hochkochte. Was meinte dieses Arschloch eigentlich, wer er war? Er würde mein Leben nicht noch mehr zerstören, als er es eh schon getan hat!

„Hau ab – ich will dich nicht mehr sehen und wage es ja nicht, dich noch einmal hierher zu verirren!", knurrte ich und versuchte mit aller Kraft, meinen Mann aus dem Türrahmen zu stoßen, wofür ich mit einer schallenden Ohrfeige, gefolgt von einer schmerzenden Wange bezahlte. „Ah-ah, Schätzchen – so habe ich mir unser Wiedersehen aber nicht vorgestellt. Freust du dich denn überhaupt nicht, dass ich da bin?", säuselte er mit gespielt zuckersüßer Stimme und schob sich an mir vorbei in den Korridor. „Du willst mir doch bestimmt euer schönes Liebesnest zeigen oder etwa nicht? Wie ist er denn eigentlich so? Taugt er überhaupt etwas im Bett?"
„Das geht dich einen verdammten Scheiß an und jetzt raus hier!", zischte ich, was Emil jedoch nicht davon abhielt, mich weiter zu verhöhnen: „Hmm, wo ihr es wohl überall macht? Ob du überhaupt die Einzige für ihn bist, mit der er sich vergnügt? Ich bin mir sicher, dass er neben dir noch mindestens fünf andere Weiber hat, denen er das Blaue vom Himmel verspricht und du für ihn nicht mehr als eine kleine Nummer für zwischendurch bist." Jetzt hatte er den Bogen eindeutig überspannt! „Es reicht!", schrie ich ihn an und innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde hob sich meine Hand, beschrieb eine scharfe Kurve durch die Luft und knallte meinem Gegenüber mit voller Wucht ins Gesicht. Emils Kopf war durch den Schlag zur Seite gedreht und sein Mund war vor Überraschung über das eben Geschehene weit aufgerissen. Perplex starrte ich auf meine Hand und konnte nicht begreifen, was gerade passiert war. Hatte ich ihm gerade tatsächlich eine geknallt?

Er betastete ein letztes Mal seine Wange, ehe sich sein Blick wieder mir zuwandte. Anstelle des überrascht anmutenden Gesichtsausdrucks trat nun dieses eklige Grinsen, das ich von ihm schon zu gut kannte. „Das hast du kleines Miststück nicht umsonst getan.", entgegnete Emil in einem außergewöhnlich ruhigen Ton, der mir jedoch ebenso wenig fremd war, denn wenn er diesen anschlug, kam es meistens umso dicker. „Offenbar hat dich dein Stecher nicht so wirklich gut im Griff, denn so benimmt sich keine Frau einem Mann gegenüber. Nun gut, dann muss ich hier wohl Abhilfe schaffen und dir mal wieder zeigen, wo du hingehörst!" Mit diesen Worten packte er mich an meinen Haaren und zerrte mich die Treppe nach oben in Richtung Schlafzimmer, wobei ich ihm eher hinterherstolperte und mehr als nur einmal fast hinfiel. „Weißt du, ich bin echt enttäuscht von dir.", tadelte er mich. „Eigentlich solltest du es ja wissen, was passiert, wenn du mich derart reizt, aber offenbar lernst du es einfach nicht."
„Lass mich los – bitte! Ich habe dir nichts getan!", winselte ich, während mir die Tränen wie Sturzbäche über die Wangen strömten. All der Mut, den ich die letzten Minuten in mir trug, hatte mich so schnell verlassen, wie er gekommen war und zurück blieb mein schwaches und wehrloses Ich, wie ich es die letzten Monate schon von mir kannte. So sehr hatte ich dagegen angekämpft, aber Emil hatte es mal wieder auf ein Neues geschafft, mich komplett zu brechen und jetzt betete ich nur noch inständig, dass es so schnell wie möglich vorbei war. Mein Kopf schmerzte fürchterlich und ich hatte das Gefühl, dass er mir mein langes, brünettes Haar, welches ich von allen Dingen an meinem Körper mitunter am meisten mochte, Strähne für Strähne ausriss.

Als wir unmittelbar vor dem Bett zum Stehen kamen, hielt er kurz inne. Würde er vielleicht – wenn auch wider Erwarten – doch von mir ablassen? Ein kleiner Hoffnungsschimmer machte sich in mir breit. „Emil.", schniefte ich und wischte mir rasch die Tränen aus dem Gesicht. „Sei doch bitte vernünftig. Das mit uns hat einfach keine Zukunft mehr, weil viel zu viele Dinge passiert sind und zwischen uns stehen, als dass ich zu dir jemals nochmal so etwas wie Vertrauen aufbauen könnte. Ich meine, versetze dich doch mal in meine Lage: Könntest du etwa noch für jemanden Zuneigung empfinden, der dir nichts als Gewalt in jeglicher Form zufügt? Allein dein Auftritt von gerade eben hat mich mehr als alles andere darin bestärkt, dass es die beste Entscheidung war, zu gehen. Darum bitte ich dich ein letztes Mal, dass du sofort dieses Haus verlässt und dich von nun an von mir fernhältst. Julian kommt wahrscheinlich jeden Moment nach Hause und ich möchte nicht, dass er ein solches Tohuwabohu hier vorfindet. Übrigens, weil du mir das ja vorhin mehrmals an den Kopf geworfen hast: Wir sind nicht zusammen und haben auch sonst nichts am Laufen."
„...außer dieses eine Mal.", fügte ich in Gedanken hinzu.

Überrascht darüber, dass mir vor allem die letzten Worte doch einigermaßen flüssig über die Lippen kamen, riskierte ich einen vorsichtigen Blick nach oben in Emils Gesicht, welches jedoch kaum eine Regung zeigte. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, ihn zumindest ein Stück weit mit dem erreicht zu haben, was eigentlich schon vor längerer Zeit hätte gesagt werden müssen, doch auch diese Hoffnung verstand Emil, innerhalb von ein paar Sekunden zu zerschlagen. Tadelnd schüttelte er den Kopf, während sich ein leises Lachen aus seiner Kehle schlich. „So so, Julian heißt also der Gute.", entgegnete er. „Soll ich dir mal was verraten? Dein Julian ist mir komplett egal und genauso egal ist es mir auch, ob er im nächsten Moment um die Ecke gebogen kommt oder nicht! Ich bekomme immer, was ich will und zwar genau dann, wenn ich es will!" Mit diesen Worten warf er mich auf's Bett, fixierte mich auf diesem mit seinem Körper und drückte mir mit aller Kraft den Hals zu. Wie eine Ertrinkende schnappte ich nach Luft, doch es wollte mir nicht so recht gelingen, bei Atem zu bleiben. Um mich herum drehte sich alles und mit jeder Minute, die verstrich, verschwamm meine Sicht immer mehr. Ich versuchte zu schreien, aber so sehr ich mich auch bemühte: Ich brachte keinen Laut hervor. Panisch blickte ich um mich, was jedoch bewirkte, dass sich meine Umgebung nur noch schneller zu drehen begann und nach und nach alles um mich herum schwarz wurde.
„Julian, hilf mir! Wo bist du?", flehte ich innerlich und kämpfte mit aller Kraft gegen die drohende Ohnmacht an, als sich plötzlich eine kalte Hand auf meine Wange legte, diese zärtlich streichelte und mich damit langsam wieder zu Bewusstsein kommen ließ. Wem gehörte sie bloß?

Mit diesem mehr oder weniger fiesen Cliffhanger begrüße ich euch hiermit zurück zu diesem neuen Kapitel von „Fix you", in dem Sam ziemlich überraschenden, aber auch genauso unschönen Besuch bekommen hat. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ich freue mich schon jetzt auf eure Spekulationen, zu wem diese mysteriöse Hand wohl gehören möge – die Auflösung folgt dann im nächsten Kapitel. Bis dahin wünsche ich euch noch einen schönen Abend und genießt die Zeit, so gut es momentan möglich ist.

Alles Liebe, auf Wiederlesen und bis zum nächsten Mal

eure Ina

Fix youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt