Kapitel 6

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Julians POV:

Leise vernahm ich Sams ruhigen und gleichmäßigen Atem neben mir. Ich drehte mich zu ihr um und stellte fest, dass sie eingeschlafen war. Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen und ihre brünetten Haare lagen wie ein Fächer auf dem Kopfkissen verteilt. Sie wirkte so wahnsinnig friedlich – fast schon so, als sei sie mit sich selbst voll und ganz im Reinen! Im Gegensatz zu ihr bekam ich allerdings kein Auge zu. Tausende von Gedanken schossen mir durch den Kopf, allen voran drei Fragen: Was war da gerade passiert? Wie konnte es nur so weit kommen? War es ein Fehler? Gerade die letzte Frage ließ mich einfach nicht los. Bereute ich das, was zwischen Sam und mir passiert war? Ich brauchte dringend ein bisschen frische Luft, um meinen Kopf freizubekommen.

Vorsichtig und darauf bedacht, Sam nicht aufzuwecken, löste ich mich aus ihrer Umarmung, zog mir schnell etwas über und ging hinaus auf die Dachterrasse. Wie es zu erwarten war, war es natürlich schon dunkel und ein dementsprechend kühler Wind wehte mir um die Nase. Ich ließ mich auf einen der Balkonstühle sinken und zündete mir eine Zigarette an. Eigentlich war ich Nichtraucher – lediglich wenn ich viel Stress hatte oder, so wie gerade eben, intensiv über etwas am Grübeln war, genehmigte ich mir ab und zu eine Zigarette. Das war eins meiner Laster, von denen im Grunde genommen nur meine engsten Freunde etwas wussten. Naja gut, und mein Bruder Jannis, der mir jedoch versprechen musste, es nicht unseren Eltern auf die Nase zu binden, da gerade unser Vater sonst einen riesen Terz von wegen Gesundheitsgefährdung und Sonstigem veranstalten würde.

Nachdenklich sah ich in die Ferne, nahm einen Zug von meiner Zigarette und blies langsam den Rauch wieder aus. Mittlerweile waren bereits die Straßenlaternen angesprungen und vereinzelt waren noch Autos auf den Straßen unterwegs. Von hier oben aus betrachtet schien die Welt in Ordnung zu sein – quasi so, als seien sämtliche Sorgen ganz weit weg. In meinen Gedanken ließ ich die vergangenen Stunden Revue passieren: Von unserem Zusammentreffen im Park über unser Gespräch, in dem mir Sam ihre Lebensgeschichte anvertraut hatte, bis hin zu der Tatsache, dass ich Sex mit einem Mädchen hatte, das ich im Grunde genommen so gut wie gar nicht kannte. Ach ja, und dann war da noch Emily, die mich schon seit längerer Zeit wie den größten Idioten behandelte. Die mir jedes Mal auf's Neue mit ihrem Verhalten das Herz brach und mich immer mehr an ihren Gefühlen zu mir zweifeln ließ. Sam war jedoch das genaue Gegenteil: Aufrichtig, ehrlich, liebevoll – einfach wie ein Mensch mit dem Herz am rechten Fleck. Einfach genau so, wie ich mir das Mädchen an meiner Seite immer gewünscht hatte. War das vielleicht der Grund, warum Sam und ich uns so nahegekommen waren? Einfach weil sie all das ausstrahlte, was ich bei Emily so sehr vermisste?

Im Grunde genommen war ich nicht so der Typ für One-Night-Stands – ganz im Gegenteil. Wenn andere meiner Teamkollegen sich die Mühe machen wollten, jeden Abend ein anderes Mädchen mit nach Hause zu nehmen, dann sollten sie das gerne tun, aber ich persönlich hielt davon überhaupt nichts. Klar hatte ich an sich mehr als genug Auswahl, wenn man sich so unsere weiblichen Fans anschaute, aber ich war schon immer von der Sorte, dass wenn ich mich auf ein Mädchen einließ, dann voll und ganz und nicht nur so halbherzig. Ebenso gingen mir in einer Beziehung Vertrauen und Treue über alles. Genau diesen Grundsatz hatte ich nun allerdings gebrochen, was im Grunde schon schockierend genug war. Was mich aber noch viel mehr erschreckte, war, dass ich Emily gegenüber nicht einmal im Entferntesten Schuldgefühle empfand. Im Gegenteil: Ich hatte sogar das Gefühl, dass das, was ich getan habe, richtig war. Sam hatte mir das erste Mal seit langer Zeit wieder das Gefühl gegeben, geliebt und gebraucht zu werden. „Sie hätte deine Liebe tausendmal mehr verdient als Emily!", schoss es mir durch den Kopf.

Da war er wieder: Dieser Moment, an dem ich – wie so oft – darüber nachdachte, der ganzen Sache mit Emily ein für alle Mal ein Ende zu setzen und mich von ihr zu trennen. Einerseits war es nur ein allzu nachvollziehbarer Schritt, da es ehrlicherweise nichts mehr gab, was noch dafür sprechen würde, an unserer Beziehung weiter festzuhalten. Andererseits waren da noch diese vielen schönen Erinnerungen, die mich einfach nicht loslassen wollten. In den ganzen Jahren, die wir nun schon zusammen waren, haben Emily und ich so wahnsinnig viel zusammen erlebt und auch durchgestanden: Von meinen Anfängen im Fußball bei kleinen Vereinen in Bremen über meine Zeit im Internat des VfL Wolfsburg bis hin zu meinem Wechsel nach Leverkusen – neben meiner Familie war sie die Person, die bei all meinen Vorhaben stets an meiner Seite war und mich genauso sehr unterstützt hatte, wie ich sie auf ihrem Weg als Hockeyspielerin. Trotz der relativ großen Entfernung, die sich durch meine Wechsel ergeben hatte, hatten wir dennoch immer daran geglaubt, dass unsere Liebe eine Chance haben würde. Bis vor ein paar Monaten war dem auch noch so, bis Emily anfing, sich zunehmend von mir zu distanzieren, oftmals tagelang nicht zu erreichen war und wenn sich mal die Gelegenheit ergab, dass wir uns sehen oder wir zumindest miteinander reden konnten, das Ganze jedes Mal in einen riesigen Streit ausartete. Auch wenn ich es mir nach außen hin nicht anmerken ließ, aber: Die Situation mit Emily lastete schwer auf mir und so, wie mich meine Mannschaftskollegen nur als den fröhlichen Julian erlebten, der immer gut gelaunt war und es liebte, seinen Kameraden Streiche zu spielen, so traurig und einsam fühlte ich mich, wenn ich nach einem Spiel oder Training nach Hause kam und plötzlich alles um mich herum ganz still wurde.

Plötzlich entfloh mir ein leises Gähnen. Ich wusste zwar nicht, wie lange ich schon hier draußen saß, aber ich sollte wohl mal ans Schlafengehen denken. Auf die Frage, ob und wenn ja, wie es mit Emily und mir in der Zukunft weitergehen sollte, hatte ich schon so viele Tage und Nächte zuvor keine Antwort gefunden und die würde ich wohl aller Wahrscheinlichkeit nach auch diese Nacht nicht finden. Somit machte ich mich wieder auf den Weg zurück ins Schlafzimmer und legte mich ins Bett, in dem Sam nach wie vor tief und fest schlief. Sie sah einfach so wahnsinnig schön aus – fast schon engelsgleich! Vorsichtig hob ich meine Hand und streichelte ihr über die Wange. Ihre Haut fühlte sich so zart und weich an. Ich wollte gerade meine Hand wieder wegziehen, als Sam sich plötzlich anfing, neben mir zu regen. Sie griff nach meiner Hand, drückte sie einmal kurz und murmelte leise meinen Namen, was mir einen wohligen Schauder über den Rücken jagte und mir zugleich ein Lächeln auf die Lippen zauberte, das jedoch ebenso schnell verschwand, wie es gekommen war. Ich strich Sam kurz über den Kopf und hauchte ihr einen Kuss auf den Haaransatz, ehe ich die Augen schloss und mit folgendem Gedanken in einen traumlosen Schlaf fiel: „Was auch immer kommen mag, Sam: Ich werde immer für dich da sein und dich beschützen, so gut ich nur kann. Tu mir aber einen Gefallen: Mach es mir bitte nicht zu schwer."

Und hiermit ein ganz herzliches Hallo von mir zu diesem neuen Kapitel, das zugegebenermaßen nicht gerade viel Handlung enthält, aber dafür umso mehr einen Einblick in Julians Gedanken und Gefühle gibt. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ihr haltet mir auch weiterhin die Treue :)

Abschließend würde mich interessieren, was ihr denkt: Was meint Julian damit, dass Sam es ihm nicht „zu schwer machen" soll? Auf eure Meinungen bin ich schon jetzt gespannt :)

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