five

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10/31/19

Ich saß auf dem Sofa in Daniels Zimmer und ließ mich von ihm und seiner Schwester, Anna, beraten. Doch nichts gefiel mir. Es war eine Art von Mottoparty, wo alle aufeinander abgestimmt einliefen. Mario Kart oder so. Aber Daniel hatte erklärt, dass alle Rollen schon besetzt waren und er selber auch nicht reinpassen würde. Da kam mir eine Idee.

"Sag mal Daniel, als was verkleidest du dich denn?", unterbrach ich die Beiden.

"Als Cowboy, wieso?", antwortete er und gähnte. Er konnte kaum aufhören zu gähnen, so stark war sein Jetlag. Als er mich abgeholt hatte, hatte ich die ganze Fahrt lang Angst, er würde einschlafen.

"Seht ihr, so einfach geht das!", rief ich erleichtert.

Daniel sah mich verpeilt an, doch Anna schein zu verstehen.

"Wir müssten noch irgendwo...", murmelte sie und kramte in einer der vielen Kisten, die hier im Zimmer herum standen. "Da!"
Sie zog einen Hut heraus, kam zu mir und setzte ihn mir auf.
"Perfekt!", stahlte sie und ich grinste Daniel an.

"Ahh!", machte er und nickte langsam.
"Aber jetzt hau ich mich noch für ein paar Stunden auf's Ohr. Weckt mich, wenn wir los müssen."

Mit diesen Worten ließer sich auf sein Bett fallen und Anna zog mich in ihr Zimmer, um mein Kostüm zu vervollständigen.

Sie war mir so viel sympathischer, als die anderen Menschen, die ich bis jetzt hier getroffen hatte. Zwar war sie nur Influencerin und reiste viel, aber sie war trotzdem so bodenständig, freundlich und normal. Und sie glaubte auch an Gott und zeigte das auch offen, was bei mir enorme Pluspunkte brachte.

Ich hatte auch Daniels einen großen Bruder kennengelernt. Christian war ein richtiger Sonnenschein und genauso sympathisch, wie seine Schwester.
Was die beiden mit Daniel gemeinsam hatten, waren diese krassen blauen Augen. Ich dachte immer, dass ich braune Augen am liebsten hatte, doch die Seaveys hatten mich davon überzeugt, dass blaue Augen auch wunderschön waren.

Sehr wahrscheinlich wünschte ich mir einfach auch blaue Augen. Ich wollte nicht die gleiche Augenfarbe wie die meisten Menschen der Welt haben. Und ich wollte auch nicht, wie die meisten Menschen der Welt, blaue Augen anhimmeln. Bei beiden Punkten war ich gescheitert.

~

"Daniel, steh jetzt sofort auf!", rief ich verzweifelt.

"Nur noch ein paar Minuten.", grummelte dieser in sein Kissen. So langsam wurde ich wütend.

"Das hast du die letzten drei Male auch gesagt!", meckerte ich und zog ihm kurzentschlossen die Decke weg. Natürlich hatte er kein Oberteil an. Der Typ war echt ein lebendes Klischee. Ich räusperte mich.
"Jetzt steh auf. Und wenn du schonmal dabei bist, zieh dir etwas an."

Mit den Worten verließ ich den Raum und setzte mich wieder ins Wohnzimmer. Daniel und ich waren die einzigen im Haus. Der Rest seiner Familie war nicht da. Also stand ich auf und sah mich etwas im Haus um. Und da war ein Klavier. Natürlich. Und ich natürlich konnte ich nicht anders, als mich hinzusetzen und zu spielen.

Das Stück hieß »Nuvole Bianche« und war von Ludovico Einaudi. Ich war so versunken in mein Tun, dass ich Daniel nicht bemerkte.

"Du spielst gut."

Erschrocken sprang ich auf und stieß mit meinem Fuß gegen die Kante des Klaviers. Ich verzog mein Gesicht vor Schmerz und knallte mit voller Wucht gegen Daniel. Dieser packte mich und fing mich auf. Sofort schoss mir das Blut in meine Wangen und ich stellte mich wieder gerade hin. Prüfend sah Daniel mich an, als wollte er sichergehen, dass ich mein Gleichgewicht halten konnte. Dann ließ er mich los. Doch ich konnte noch immer seine Berührung auf meinen Armen brennen spüren und mir wurde immer wärmer. Dann bekam ich meinen Körper langsam wieder unter Kontrolle.
Was war nur los mit mir?

"Danke.", sagte ich, straffte meine Schultern und ging wieder ins Wohnzimmer. Er folgte mir.

"Wie lange spielst du schon?"

"Seit sechs Jahren."

Er sah mich überrascht an.

"Was denn?", fragte ich verwirrt.

"Nun ja...", stammelte er. "Ich hätte gedacht, dass du schon seit deiner Kindheit spielst, so gut wie du bist. Deine Eltern können echt stolz auf dich sein."

"Sie wissen es nicht.", sagte ich kühl, um die Fassade um mich herum aufrecht zu erhalten.

"Wie meinst du das?"

"So, wie ich es sage. Meine Eltern wissen nicht, dass ich Klavier spielen kann."

"Und wie und wo hast du es dann gelernt?"

Seufzend sah ich ihn an.

"Meine beiden großen Schwestern hatten beide Klavierunterricht. Deswegen haben wir eins zuhause. Ich wollte es auch lernen, also hab ich es mir selber beigebracht."

"Wow. Hast du ein absolutes Gehör, oder so?"

"Sehr wahrscheinlich. Musik hat mir schon immer Spaß gemacht und viel bedeutet, aber meine Eltern haben mich nie gefördert.", sagte ich bitter.

"Das tut mir leid." Er machte eine kurze Pause. "Ich habe auch ein absolutes Gehör. Deswegen kann ich auch so viele Instrumente spielen."

Das brachte mich zum Lachen. Ja, ich lachte. Ich lachte ihn aus.

"Was ist denn jetzt schon wieder?"

"Du bist so dumm, Daniel.", spottete ich amüsiert. "Du hast ein absolutes Gehör, riesen Talent, Potenzial für etwas Großes, eine Familie, die zu 100% hinter dir steht und was machst du? Du wirst Mitglied einer Boyband!" Ich lachte wieder, als Daniel mich bedröppelt ansah. Dann wurde ich wieder kalt und ernst.
"Weißt du was? Ich würde alles dafür geben, wenn mich meine Eltern nur ansatzweise in meinen Träumen unterstützen würden. Ich liebe sie und sie sind toll, aber auch leider der Ansicht, dass man sein Leben durchplanen und keine Risiken eingehen soll. Dabei würde ich so gerne Musik machen. Einfach nur Klavier spielen. Mich ausprobieren. Reisen. Das machen, was ICH möchte. Aber nicht jedes Leben ist, wie im Film. Du hast Glück, Daniel James Seavey. Und du weißt es nicht."

Plötzlich waren all die aufbrausenden Gefühle verschwunden und ich sah ihn erschöpft an. Alles was ich gesagt hatte, war wahr und ich meinte es auch so, trotzdem rollten mir ein paar Tränen über meine Wangen in meine traurigen Mundwinkel. Ich schmeckte die salzigen Tränen und wischte sie mir weg.

"Komm.", sagte ich und stand auf. "Lass und gehen."

1004 Wörter

mad at you | d. s.Where stories live. Discover now