6 | Narben

355 42 8
                                    

Louis war mit seiner Familie noch nie in diesem Teil von London gewesen. Sie hatten sich einen Weg gebahnt, durch Gassen und kleine Straßen, an kleinen Shops vorbei und auch an dem ein oder anderen Cafe. Nach den ersten zwei Abbiegungen hatte Louis schon keine Ahnung mehr, wie er wieder zurück zum Piccadilly Circus finden sollte. Es war alles verwirrend und verzweigt, aber er vertraute Harry, der die Hand immer noch fest um Louis' Handgelenk geschlossen hatte. Der Lockenkopf schien genau zu wissen, wo er hinwollte und konnte anscheinend gar nicht schnell genug dort ankommen. Als Harry dann endlich Halt machte, knallte Louis gegen seinen Rücken und stieß den Größeren beinahe um. Mit roten Wangen befreite er sich aus Harrys Griff an seinem Arm und sah sich um.

Sie standen auf einem kleinen Platz inmitten alter Häuser. Zwischen zwei Häusern war genug Platz um die untergehende Sonne zu sehen, die alles in ein orange-rotes Licht tauchte. Die Blätter des Baums in der Mitte wehten leicht und es herrschte eine Ruhe, die Louis zuvor noch nie in einer Stadt wie dieser erlebt hatte. Das einzige, dass die Stille ein wenig unterbrach war das zarte Wehen des Windes und Louis' schweres Atmen nach dem Rennen. Es war ein simpler Ort, der jedoch in eine Stimmung gehüllt war, die Louis vollkommen fremd und trotzdem so angenehm erschien. Blumen waren um den Baum herum gepflanzt und Louis begann, den Platz mit einer irdischen Oase zu vergleichen, die einfach nur kein Wasser um sich herum hatte. "Es ist wunderschön, oder?" Harrys Stimme war leise, beherrscht, bevor er die Augen schloss und Louis ihn nur still beobachtete.

"Es ist so ruhig hier", merkte er nach einer Weile an und zauberte damit ein Lächeln auf Harrys Gesicht. "Ich liebe es so sehr hier. Ich fühle mich nicht alleine, aber ungestört genug, um zu entspannen", erklärte der Größere und öffnete die Augen wieder um Louis anzusehen. "Verstehe", stimmte Louis schlussendlich zu und kramte sein Handy hervor, um ein paar Bilder zu schießen. Er musste nicht einmal einen zweiten Versuch starten. Die Bilder waren schon direkt perfekt und würden dem kahlen Flur in Harrys Wohnung mehr Leben einhauchen. "Können wir ein bisschen länger bleiben?" Harry klang wieder unsicher, die Angst, dass Louis vielleicht so schnell wie möglich wieder zurück gehen wollen würde, war zu groß. "Natürlich", versicherte ihm aber der Blauäugige und ließ sich auf den kleinen Fleck Gras fallen, den man unter dem Baum finden konnte. Harrys Lächeln tauchte wieder auf, als er sich neben seine Begleitung fallen ließ. Konnte er ihn als einen Freund einstufen? War es zu früh dafür? Louis hatte ihm jetzt schon mehr geholfen, sich wohlzufühlen, als es andere jemals getan hatten. Und was hatte Harry getan? Den armen Mann böse angesehen und ihm einen Schock am Morgen verpasst.

Harry konnte eher die Stille zwischen ihnen seinen guten Freund nennen. Wieder rettete sie Harry davor, etwas dummes zu sagen, da er es nicht wagte, diese Wand aus unausgesprochenen Worten zu durchbrechen. Louis musste genau dies wieder tun. "Tun die Narben manchmal weh?" Der Lockenkopf war sich fast sicher, dass Louis schon vergessen hatte, worüber sie geredet hatten. Aber auf der anderen Seite hatte er schon gemerkt, dass es nicht Louis wäre, wenn er sich nicht um irgendetwas sorgen würde. "Nein", schüttelte Harry den Kopf und sah in den Himmel, der sich immer dunkler färbte. "In den ersten zwei Monaten haben sie fürchterlich gejuckt, aber jetzt spüre ich sie nicht mehr. Die Tattoos haben geholfen, dass ich überhaupt wieder meinen Arm zeigen kann", gab er zu und schon seinen Ärmel weit genug wieder nach oben. "Die Rose sollte-"

"Sollte etwas schönes über die Narben legen." Harry sah Louis perplex an, nachdem dieser den Satz so beendet hatte, wie Harry es ebenfalls getan hätte. Louis entwich ein leises Kichern und sorgte dafür, dass der Lockenkopf ebenfalls leise lachte. Der kleinere der beiden stand langsam wieder auf und zog die Jacke aus, bevor er den Pullover am Kragen weit genug herunter zog, dass man ein wenig einen Hirsch und ein Herz auf seinem Oberarm erkennen konnte. "Hab mich mal ziemlich beim Fußballspielen verletzt und dachte, dass ich die Narbe einfach ein wenig überdecke. Volle Kanne an einem rostigen Stahlbalken vorbei", erklärte Louis und ließ sich dann wieder ins Gras fallen, wo er seinen Pullover noch einmal richtig anzog. In Harrys Körper breitete sich eine angenehme Wärme aus, ließ ihn lächeln und gegen den Baum lehnen. Alles in ihm schien sich zu entspannen, während der Wind zart wehte und er sich einfach mit Louis unterhalten konnte. Der Gedanke, dass Louis in seine eigene Wohnung verschwinden würde, sobald sie wieder zu Hause angekommen waren, hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund, aber er versuchte, diesen Gedanken so weit wie möglich von sich zu schieben, so lange sie noch hier unter dem Baum saßen und er hoffte, dass Louis sich ebenfalls entspannen konnte.

"Wann treffen wir uns wieder?", fragte Harry nach einer Weile und sah zu Louis herüber, der mit den Schultern zuckte. "Wenn es dir eben in den Zeitplan passt", bekam der Lockenkopf als Antwort. "Ich habe nie wirklich etwas zu tun. Wie wäre es mit Freitag?" Am liebsten hätte er gefragt, ob er schon gleich morgen vorbeikommen wollte, aber er wusste nicht, ob das zu aufdringlich sein würde. Louis nickte zustimmend und reichte ihm sein Handy, in dem Harry seine Nummer einspeicherte. Sein Herz machte einen Sprung bei dem Gedanken, dass er Louis jetzt auch so schreiben könnte. Ob der Blauäugige das wollte, musste Harry aber erst noch irgendwie in Erfahrung bringen.

Mit der Zeit wurde der Himmel schwarz und die Sterne begannen zu leuchten. Harry wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber er wusste, dass Louis ruhig neben ihm atmete und die Sterne beobachtete. Der Tag war so chaotisch gestartet und Harry hatte sich schon darauf eingestellt, dass er eine Anzeige am Hals haben würde und nicht einen Menschen kennenlernen, der so einfühlsam war und dabei auch noch gute Gesellschaft. Vielleicht genau das, was Harry gebraucht hatte, nach allem, was passiert war.

Beiden fiel es nicht leicht, diesen ruhigen Platz hinter sich zu lassen und gemeinsam mit der U-Bahn wieder zurück dem Mehrfamilienhaus zu fahren, das sie beide Zuhause nannten. Als sie vor Louis' Wohnungstür standen, wusste niemand der beiden, wie sie sich verabschieden sollten. Louis räusperte sich, sah Harry an und hielt ihm langsam die Hand hin. "Wir sehen uns dann Freitag, ich schicke dir noch die Bilder." Harry schüttelte die Hand seines Gegenübers, vielleicht etwas zu stark. "Danke für den Tag heute", merkte er zögerlich an und Louis schenkte ihm ein Lächeln. "Nichts zu danken. Wenigstens weiß ich jetzt, dass du kein Psychopath bist."

Louis zwinkerte und verschwand schneller in seiner Wohnung als Harry es wollte, aber er ließ den Lockenkopf mit einem Grinsen zurück, das er lange nicht mehr so getragen hatte. Genauso schnell wie Louis verschwunden war, leuchtete auch das Display von Harrys Handy auf.

Hier sind die Bilder. Bis Freitag! Louis x

____________________

Ich liebe die Beiden, okay? Sie sind einfach zu süß und auch das, was sich zwischen ihnen entwickelt ist einfach zuckersüß :)

Bleibt gesund!

Love and Tattoos | Larry [pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt