Kapitel 4

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Kapitel 4

Zögernd klopfte ich an die hölzerne Tür. Dabei bemerkte ich, wie sich meine Nervosität auf meine Hände übertragen hatte. Sie zitterten und waren rot und heiss von der hohen Durchblutung. Das letzte Mal, als ich meinen Bruder sah, war vor 5 Jahren. Es war nicht so, dass wir uns nicht gut verstanden hatten. Vor dem Unfall von Mama und Papa, war er mein Held.

Doch als unsere Eltern starben, zog sich mein Bruder immer mehr zurück. Er war nicht mehr richtig ansprechbar, als wir ins Heim kamen. Bald kamen erste Symptome einer Depression auf, welche sich sehr stark ausprägte. Sein soziales Verhalten schwand auf den Punkt zurück, wo er mich bei meinen Besuchen in seinem Zimmer anschrie, mich mit Beleidigungen und allen erdenklichen Schimpfwörtern überhäufte. Zu diesem Zeitpunkt wurde er in eine Einrichtung gesteckt, welche uns versprach, dass er bald wieder der Alte war.

Doch es wurde noch schlimmer.

Er bekam die Prognose einer PTBS. Posttraumatische Belastungsstörung. Er weigerte sich am Morgen immer aufs Neue aufzustehen, ass nicht mehr und schliesslich sprach er auch nicht mehr. Das schlimmste war, das er durch den raschen Muskelschwund, verlernte zu gehen. Er wollte nicht mehr. Er liest mich mit 10 Jahren einfach alleine. Ohne daran zu denken wie es mir ging. Also vergas ich immer mehr meine regelmässigen Besuche. Mit Zwölf beschloss ich ihn nicht mehr zu besuchen.

Jetzt tat es mir furchtbar leid. Ich hatte ihn ebenso im Stich gelassen.

Nach 5 Jahren stand ich also wieder vor seiner Türe. Ich hörte einen Rollstuhl näher rollen. Hinter der jetzt offenen Tür erkannte ich meinen älter gewordenen Bruder Tommi, geschockt von meiner Erscheinung. Ich wusste, dass er sich nicht gerade freuen würde mich zu sehen, doch das er geschockt war, tat weh. „Hey Fremder" begrüsste ich ihn unsicher, unbehaglich, da ich nichts falsches sagen wollte. Er starrte mich weiter an. „Wie geht es dir?" versuchte ich die harte Spannung etwas  auf zu lockern.

„Gut" antwortete mir eine unbekannte Stimme. Sie war rau und brüchig und so gar nicht das, was ich erwartet hatte. Seine dunklen Augen musterten mich von Fuss bis Kopf. „Was macchhst du hiier?" fragte er dabei. Brüchig wie gesagt. Meine Wut auf ihn kroch immer schneller in mir auf. Ja! Was verdammt noch mal machte ich hier? Tommi konnte mir die Entscheidung nicht abnehmen, ob ich bei der Familie wohnen wollte oder nicht. Tommi hat in den letzten paar Jahren nichts für mich gemacht. Ich spürte erneut die Nervosität und die Wut in den Händen und die Hitze in meinem Kopf. Ebenso nervös wie mein ganzer Körper, beantwortete ich seine Frage. „Ich wollte sehen wie es dir geht. Aber anscheinend geht es dir ja besser." Ich sah ihn wütend an. „Schön dass du dich gemeldet hast." Ironie hatte mir bei Problemen immer geholfen. Doch meine eigenen Worte, stachen wie ein Zahnstocher auf mein Herz ein. Ich schluckte und sah ihn traurig an, dann drehte ich mich um und ging so schnell wie möglich nach draussen.

Das Kaminfeuer wärmte meine kalten Füsse, während ich in die nervösen Flammen starrte. Der Besuch bei meinem Bruder war noch ein grösserer Reinfall gewesen, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich war hin und her gerissen das Angebot der Familie abzusagen. Aber wer hatte etwas davon? Meinem Bruder war das egal. Ich wäre Familienlos und für die restliche Zeit als Kind und Jugendliche an das geliebte Waisenhaus gebunden. Also fiel mir der Entscheid nicht sehr schwer.



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