Chapter 1

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„Maddy, komm schon", fordert Henry aufmüpfig. Er übersieht, dass ich meine Augen verdrehe und sammelt weiter die gefallene Frucht des Ahorns, um sie sich dann auf die Nase zu kleben.
„Das ist ihr peinlich!" Val schaut besserwisserisch von Henry zu mir und nickt selbstzufrieden.

„Ist es nicht", streite ich ab, obwohl ich genau weiß, dass sie recht hat.
„Dann erklär uns doch mal deine Gründe." Vio streicht sich ihre dunkelblonden Haare aus dem Gesicht und richtet sich auf. Gespielt erwartungsvoll mustert sie mich. Das kleine Biest.

Ich zucke ergeben die Schultern, nur um gleich darauf die gepflückten Pusteblumen anzuheben und sie in Vals Gesicht auszuschütteln. Diese springt kreischend auf. Henry sieht einen Moment begeistert zu bis er sich dazu entschließt selbst aktiv zu werden. Ohne Rücksicht auf Verlust wirft er sich gegen mich.

Doch da er ein vierzehnjähriges Fliegengewicht von wahrscheinlich nicht mal 30kg ist, halte sogar ich dem Stand. „Daddyyyy", brüllt Val lautstark als sie einsieht, dass die Verteidigung ihres Bruders nicht ausreicht. Doch da ist der Schaden schon angerichtet.

Ihr Gesicht, ihre Haare, ihr schwarzes Catwoman T-Shirt, alles ist voll mit den kleinen Schirmflieger-Samen. Sie rappelt sich wütend auf und stapft in die Richtung unserer Eltern, die etwas entfernt auf einer Decke liegen.

Es ist erst Mai und deshalb noch nicht allzu warm. Obwohl Schweden ja generell nicht gerade dafür bekannt ist, dass hier im Mai sommerliche Temperaturen herrschen. Aber schöner als in England ist es allemal.

„Maddy, du grübelst schon wieder", beschwert sich Henry und wedelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht rum. Obwohl er drei Jahre jünger ist als ich, sind wir gleich groß. Nur Val ist noch über einen Kopf von unseren 1,68 entfernt.

Er schiebt mich in die Richtung unserer Eltern und ich hole mein Handy heraus, um kurz einen Blick zu riskieren. Penny hat versucht mich anzurufen und Sage hat mir mehrere Nachrichten geschickt, in denen sie mich genau davor warnt. Ein kleines Schmunzeln erkämpft sich den Weg auf meine Lippen, als ich ihre Nachrichten überfliege ohne WhatsApp zu öffnen.

Maddy! Alarmstufe rot! 🚨

Penny dreht schon wieder voll durch.

Hilf mir. 😭

1. Nate hat sie nicht um ein Date gebeten. (Womit sie aber fest gerechnet hat!)
2. A provoziert sie. Außerdem redet er die ganze Zeit über dich, was sie natürlich noch wütender macht.
3. Du musst zurückkommen. Es ist die Hölle ohne dich!
4. ASAP
5. Wehe du liest diese Nachrichten und antwortest mir nicht!😡

Sie kennt mich einfach zu gut.
„Na, mein Schatz. Gute Neuigkeiten?" Dad beobachtet mich aufmerksam, während meine Mum damit beschäftigt ist, Val von den Schirmfliegern zu befreien. Sobald sie sich unbeobachtet fühlt, streckt sie mir die Zunge raus. Um Beherrschung bemüht, verberge ich den gestreckten Mittelfinger unter meinem Handy.

„Naja", antworte ich nur und lasse mich neben Dad auf die Decke plumpsen. Seine Stirn ist beunruhigt in Falten gelegt und ich zucke reflexartig, betont lässig mit den Schultern. Ich hasse es, wenn er sich Sorgen macht. Und irgendwann in den letzten Jahren habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht meine Probleme für mich zu behalten, um ihnen nicht noch mehr Sorgen zu bereiten.

„Sage will, dass ich zurückkomme", füge ich dann doch hinzu, als ich den besorgten Blickwechsel zwischen meinen Eltern auffange. 

"Und da ist sie doch bestimmt nicht die einzige, oder?" Mum zwinkert mir zu und Dads Blick wechselt von besorgt zu ärgerlich. Ich kann seine Gedanken fast hören. Sie ist zu jung. Sie ist noch nicht so weit. Solange du unter meinem Dach wohnst...

Obwohl der letzte Satz schon allein daran seine Wirkung verliert, weil ich von Oma zum 16. Geburtstag ein Appartement in London geschenkt bekommen habe. Ein anderer Grund wäre auch der, dass ich mir problemlos eine Wohnung leisten könnte. Meine Eltern verwalten zwar den Großteil meines Vermögens, aber ab und an habe ich einen Job auf mein eigenes Konto überweisen lassen. Unauffällig, versteht sich.

Meine Mum ignoriert den ärgerlichen Blick meines Dads und öffnet die Kühltruhe. „Wir haben Obst, Kekse und Wackelpudding." Nach Begeisterungen heischend sieht sie sich um. „Wahrscheinlich ist sie auch zu cool, um grünen Wackelpudding zu essen", stichelt Val und greift sich eine Schüssel. Tatsächlich graut es mir ein bisschen vor der wabbeligen Zuckermasse.

„Achwo! Früher war es Maddys absolute Lieblingsnachspeise." Dad lächelt, verteilt großzügig Vanillesoße und reicht mir dann eine Portion. „Sie war fast so verrückt danach wie eure Mama nach Erdbeerpancakes." Er schmunzelt und Vio kichert amüsiert.

Henry schnappt sich genau die Erdbeere, die ich gerade anvisiert habe und grinst spitzbübisch als er meinen wütenden Blick bemerkt. Schnell suche ich die nächstbeste und esse sie bevor dieser gierige Vielfraß alle Guten in sich reinstopft.

„Das war doch eine tolle Idee, oder?" Mum sieht glücklich von einem zum anderen. „Wir mussten alle mal raus aus England", bestätigt Dad und ich nicke zustimmend. „Der Abstand tut uns allen gut", fügt sie noch hinzu.

Ja, aber langsam reicht es. Wir sind schon über vier Monate hier. Was ursprünglich als Kurzurlaub geplant war, dauert jetzt schon fast das halbe Jahr. Bis auf wenige Telefonate mit Sage beschränke ich den Kontakt auf ein Minimum. Denn ich weiß genau, sobald ich zu viel erzähle oder zu viel Zeit mit meinem Handy verbringe, werden sie es mir ganz wegnehmen. Selbst an meinem Geburtstag durfte ich nur eine halbe Stunde mit ihr facetimen.

Sie sind so übertrieben in ihrer Sorge um mich und fühlen sich so fest bestätigt in der Annahme, dass „dieses Leben" nichts für mich ist. Aber sie denken nicht an mich. Nicht wirklich. Sie wissen nicht, dass es umso schwerer wird, wieder zu kommen, desto länger ich weg bin. Penelope hat meinen Platz in der Sekunde eingenommen, in der ich von der Bildfläche verschwunden bin.

Sage betreut, weil sie die einzige ist, der ich wirklich vertraue, ganz sporadisch meinen Instagram Account und postet ab und zu einen Beitrag oder eine Story. Etwas Gutes hat meine begrenzte Social Media Aktivität aber. Ich kann einfach so tun, als hätte ich keine Möglichkeit ihm zu antworten und da Sage ihm grob auf dem Laufenden hält, hält sich mein schlechtes Gewissen zum Glück in Grenzen.

Auf dem Rückweg legt Dad seinen Arm um mich. Normalerweise schüttle ich ihn schnellstmöglich unauffällig ab. Eltern verstehen nicht, dass es einen Zeitpunkt gibt, ab dem es Kindern unangenehm ist mit ihren Eltern zu „kuscheln". Aber gerade habe ich das Gefühl, es ganz gut gebrauchen zu können.

„Jeder Tag mit dir ist wundervoll." Er lächelt und ich erwidere sein Lächeln, ohne mich bemühen zu müssen. Diesen Satz hat er mir, seit wir hier sind, nahezu jeden Tag gesagt. Kurz nach meiner Geburt hat er damit angefangen und erst im letzten Jahr aufgehört.

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Für welchen Namen könnte das A stehen?❤️

Was denkt ihr über Maddy und ihr Verhältnis zu ihren Eltern?

Royal Gossip - pausiert Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt