Chapter 7

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Wir waren noch nie länger allein. Und trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb fällt mir sofort auf, wie anders er ist. Seine Gesichtszüge, dessen markante Konturen mit bisher nie aufgefallene sind, wirken weniger verkniffen und seine dichten Wimpern umrahmen seine schönen Augen.

„Hast du Sage und den anderen Bescheid gesagt?", fragt er in die Stille, die merkwürdigerweise so gar nicht unangenehm ist. „Wieso ich?" Ich sehe ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und streiche eine Locke hinter mein Ohr. Er verfolgt meine Bewegung und ich schlage schnell den Blick nieder, als er mir ins Gesicht sieht.

„Ich habe nur dir geschrieben," antwortet er leise. Und für einige Herzschläge ist es wieder komplett still. Ich frage mich, ob hinter dieser Aussage eine bestimmte Bedeutung steckt, oder ob er mich zufällig gewählt hat. Und dann erwische ich mich dabei, wie ich hoffe, dass es ersteres ist.

„Ich habe Sage einen Zettel geschrieben, aber ich weiß nicht, wann sie nach Hause kommt und ihn liest." Nach einem Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass ich hier kein Netz habe.

„Willst du trotzdem bleiben?", fragt er schließlich mit einem vorsichtigen Blick in meine Richtung. Ich nicke, denn ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht zu gehen.

„Okay", antwortet er schlicht und zaubert eine Tüte mit Marshmallows aus dem Rucksack, den ich jetzt erst bemerke, obwohl er genau neben mir steht. „Hast du zufällig auch noch was essbares dabei?" Interessiert beäugt er meine Tasche. Schmunzeln beuge ich mich über sie und krame mich durch Cremes und Lippenstifte. Zwischen meinem Kalender und dem neusten Fantasy Roman von Sarah J. Maas, den ich gerade lese, entdecke ich eine Tafel Schokolade.

Triumphierend halte ich diese Ian vor die Nase. „Perfekt", murmelt dieser und packt die Schokolade aus. Er bricht ein Stück ab und wickelt das Marshmallow drum herum. Dann spießt er seine Kreation auf einen Stock und reicht ihn mir. Er wiederholt das Ganze für sich.

Mein Blick wandert wie von selbst über den See und den sich langsam verdunkelnden Himmel. „Was für ein schöner Ort", flüstere ich nach einer Weile ehrfürchtig. Ians Mundwinkel hebt sich und die Andeutung eines Lächelns kommt zum Vorschein. „Ich war früher oft hier. Das letzte mal mit Val und Chloe. Ist allerdings schon eine Weile her." Unsere Schwestern sind genau gleich alt, gehen auf dieselbe Schule und verstehen sich die meiste Zeit auch sehr gut. 

„Wie geht's ihr?", erkundige ich mich und halte den Blick auf den See gerichtet, der ein perfektes Spiegelbild des orangeroten Himmels bildet. „Anfangs war es relativ schwer für sie. Nach einer Weile hat sie sich mit einem Mädchen aus der Parallelklasse angefreundet. Dann wurde es besser." Ich nicke, habe ich doch gerade erst erlebt, wie schwer es ist, seine beste Freundin plötzlich nicht mehr zu sehen.

„Wie kam es denn eigentlich, dass du von einem Tag auf den anderen wieder hier aufgeschlagen bist?"
Ich seufze. „Dieser eine Artikel hat mich irgendwie wütend gemacht. Ich dachte, wenn ich zurückkomme, würde mir automatisch eine Lösung einfallen. Und außerdem habe ich es hier vermisst. Nicht Penelope. Logischerweise. Aber alles andere." Ian testet fachmännisch die Konsistenz unserer Marshmallows, indem er ein Stück abreißt und isst.

„Kann man essen", bestätigt er dann zufrieden und macht die nächsten fertig. Die Stöcke spießt er in den Boden, damit wir sie nicht halten müssen.

„Trotzdem hat dir der Abstand doch bestimmt auch gut getan, oder?"
„Ja." Definitiv. Ich weiß genau, worauf er anspielt, aber ich bin noch nicht bereit es auszusprechen. „In jeglicher Hinsicht", füge ich noch wenig aussagekräftig hinzu. Zwar steht es jetzt erst in den Zeitungen, aber meine Freunde wussten es schon länger. Penelope hat es einem nach dem anderen erzählt und sich jedes Mal eine andere Ausrede dafür einfallen lassen. An Kreativität mangelt es ihr jedenfalls nicht.

Ians Haare, die an den Seiten kürzer sind als oben, sehen in der Dunkelheit pechschwarz aus. Ich lenke vom Thema ab und frage: "Was ist deine schönste Erinnerung an diesen Ort?" Sein Blick verdunkelt sich noch während ich die Frage ausspreche.

„Ich habe mal mit meiner Ex hier gezeltet", beginnt er und ich reiße erschrocken die Augen auf, abwehrend hebe ich die Arme, um ihn vom Weiterreden abzuhalten. Ich hoffe stark, dass die Dunkelheit ausreicht, um den roten Schimmer auf meinen Wangen zu verstecken.

Er lacht laut auf und mein Herz setzt einen Schlag aus.

„Ist ja nicht so als hättest du noch nie mit jemandem geschlafen", meint er, um mich aufzuziehen. „Alec erzählt nicht viel, aber Damian dafür umso mehr. Er hat euch am Silvesterabend gehört und uns das allen brühwarm auf die Nase gebunden. Also kein Grund hier die schüchterne zu spielen."

Sein schelmisches Grinsen gerät ins Stocken als er meinen Gesichtsausdruck bemerkt, über den ich jegliche Kontrolle verloren habe. Er braucht es nicht auszusprechen, die Art, wie er es erzählt macht deutlich, wobei Damian Alec gehört hat.

„Ganz sicher, dass er Alec gehört hat? Das kann sich nicht um eine Verwechslung handeln?"
Er schüttelt den Kopf. „Nein, er hat ihn später auch noch in der Küche getroffen." Ich senke den Blick. „Und mich hat er nicht gesehen, stimmt's?"

„Nein. Davon hat er jedenfalls nichts erzählt." Ian fragt nicht, warum mich das so interessiert., warum ich so genau nachhake. Er hat es längst verstanden. „Ich wusste es nicht. Wir wussten es alle nicht."

Ich nicke stumm. Das schlimmste ist, dass es mich nicht wirklich unerwartet trifft. Selbst damit habe ich irgendwo schon gerechnet. Was erst recht traurig, aber nicht besonders überraschend ist. Ich habe mit solchen Dingen einfach nicht allzu viel Glück. Weder mit Geheimnissen noch mit der Auswahl meines ersten Freundes.

In dem Versuch mir Trost zu spenden, streicht er sanft über meinen Oberarm und ich hebe kurz den Blick, nur um ihn, bei seinem besorgten Ausdruck, sofort wieder zu senken. Lustlos knabbere ich an meinem Stück Marshmallow.

„Meine erste Freundin hat mich auch betrogen. Mit Damian, um das anzumerken. Wenn ich mir eine Sache wünschen dürfte, würde ich sie für immer aus meinen Gedanken löschen und sie nie wieder sehen. Alle noch so schönen Erinnerungen an sie haben einen bitteren Beigeschmack. Ich würde die Zeit zurückdrehen und dann niemals etwas mit ihr anfangen. Du weißt schon..."

„Ja." Ich schlucke. „Aber ich kann ihm nicht einmal aus dem Weg gehen." Obwohl ich es gerne würde. Aber es darf nicht auffallen. Die Presse darf schließlich nichts davon mitbekommen.

„Lass dich davon nicht unterkriegen, Maddy. Sie hatte die Macht meine Welt aus den Fugen zu reißen, nur um sie Sekunden später wieder zusammen zu setzten. Und trotzdem vermisse ich sie schon lange nicht mehr." Ian seufzt und ich drücke behutsam seine Hand, während die einzige Frage, die ich mir stelle, die ist, ob Alec das auch jemals über mich gesagt hätte. „Man muss vorsichtig sein, denn jemanden zu lieben kann sowohl das schönste als auch das schlimmste sein, was uns passieren kann."

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Willkommen zur ersten Lesenacht bei Royal Gossip❤️
Gefällt euch Ian?
Und habt ihr schon vermutet, dass etwas mit Alecs Verhalten nicht stimmt?

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