E I N S

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„Fionn!", brüllte Kirian neben mir unverhofft los und ich zuckte ob der Lautstärke zusammen. Kirian war schon immer ein sehr extrovertierter Typ gewesen, während ich lieber im Hintergrund blieb. Fionn kam mit seinem typischen entspannten Grinsen um die Ecke geschlurft und stellte sich Kaugummi kauend neben uns. „Da bist du ja endlich! Wir wollten schon ne Vermisstenanzeige aufgeben!", beschwerte mein Kumpel sich. Anstatt das wir zu korrigieren, schüttelte ich nur den Kopf und warf dem blond gelockten ein kleines Lächeln zu, welches er verschmitzt erwiderte. Da Kirian meist redete, kamen wir oft nicht zu Wort und verstanden uns deshalb per Mimik, was ich persönlich sehr angenehm fand.

„Hast du wenigstens deinen Kram mit?" „Klar, siehst du nicht das Schlagzeug unter meinem Arm?" Er wuschelte sich durch seine unmöglich zu bändigenden Locken und grinste unseren Kumpel frech an. „Ich werd noch wahnsinnig mit dir", murmelte dieser, doch wir wussten alle drei nur zu gut, dass er es nicht böse meinte. Schon seit Jahren waren wir ein untrennbares Dreiergespann und daran würde sich auch nichts ändern, obwohl wir durch unsere Band mittlerweile immer bekannter wurden. „Ich habs grad eingeladen, als du deine Stimme für heute Abend verbraten hast", klärte Fionn uns jetzt in seiner ruhigen Art auf und ich musste schmunzeln. Dieser Typ ließ sich wirklich durch nichts aus der Bahn werfen.

„Müssen wir nicht langsam los?", überlegte ich, bevor die Situation in eine unnötige Diskussion ausartete. Normalerweise war es nicht meine Art, zu intervenieren, sondern ich wartete, bis sich die beiden beruhigt hatten. Doch heute war alles anders, denn wir hatten einen für uns wichtigen Auftritt auf einem kleinen Festival, wo ich auf keinen Fall zu spät kommen wollte. Kirian warf einen Blick auf seine Uhr und nickte mir zu. „Hast recht, lass losfahren." Er legte einen Arm um Fionn und einen um mich, was für ihn verhältnismäßig ungemütlich sein musste, da wir beide größer waren als er. Fionn zwar nur ein kleines Stück, aber bei mir betrug der Größenunterschied zu unserem Frontsänger fast einen Kopf.

Einträchtig liefen wir auf unseren kleinen Bandbus zu, den wir bunt angesprüht hatten, um den Rost und abblätternden Lack zu kaschieren. Wie gewohnt setzte ich mich ans Steuer, Kirian neben mich und Fionn auf den einen Rücksitz. Die restlichen Rücksitze hatten wir ausgebaut, um Platz für unsere Instrumente und unser Equipment zu haben. Mein Beifahrer schaltete das Radio ein und begann, mitzusingen, während er sich durch seine längeren brauen Haare wuschelte. Der Lockenkopf hinten nickte ab und zu mit dem Beat mit, war aber eigentlich darin vertieft, ein paar Joints für heute Abend zu bauen. Mit einem leichten Lächeln wendete ich meinen Blick wieder auf die Straße. Alles wie immer.

Das kleine Festival, welches nur über einen Abend geht, fand auf der Uniwiese statt, quasi als Auftakt in den Sommer. Für uns war es eine tolle Chance, denn die Uni unserer Stadt war riesig und ein Treffpunkt für die meisten jungen Leute, sodass wir hofften, ein paar neue Hörer gewinnen zu können. „Verausgab dich mal nicht, Schreihals", riet Fionn dem braunhaarigen, welcher daraufhin lachte. Er wusste, dass der jüngste von uns Spaß machte. „Ich singe mich ein! Rayk, du musst deine Stimme auch aufwärmen!" Ich lächelte leicht und räusperte mich, bevor ich mich der Musik einfügte. Ich war sozusagen Kirians Background-Sänger, was sowohl Zweitstimmen als auch Untergrund beinhaltete. Meine Stimme war nichts besonderes, aber ich hatte eine relativ große Range, auf die ich insgeheim stolz war, und traf immer die Töne.

Was man von Fionn nicht behaupten kann. Er hatte sich mal wieder mitreißen lassen und schmetterte den Text so schief mit, dass Kirian und ich erschrocken abbrachen. „Fionn! Halt dein Maul!" Unser Frontsänger warf eine Bananenschale nach unserem Schlagzeuger, die er anscheinend in seinem Fußraum gefunden hatte. Es wirkte, ein Glück. Ich liebe den blonden Lockenkopf wirklich, aber wenn er eines nicht kann, ist es singen, obwohl er unfassbar musikalisch ist – ein ewiges Rätsel für mich und Kirian, wie das funktionieren konnte. „Bah!", kam es nur noch von hinten, offensichtlich hatte der kleinste von uns sein Ziel getroffen. Danach kam jedoch tatsächlich kein Laut mehr über seine Lippen, sodass wir beide hier vorn unser Einsingen ungestört fortsetzen konnten. Zwischendurch warf ich meinem blonden Kumpel durch den Rückspiegel ein sanftes Lächeln zu, was er erwiderte, bis er seinen Blick wieder auf sein Handy senkte.

RaykWo Geschichten leben. Entdecke jetzt