Z E H N

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Mein Leben lief weiter. Es veränderte sich nicht viel. Wir probten, traten auf, verspielten uns, feierten, sangen, wurden bekannter. Kirian schlief mit dutzenden neunen Menschen, redete aber jeden Tag von Mare. Nael gestand Jarvis seine Liebe, der erst weglief und dann wiederkam. Er sei zwar hetero, aber auch Nael-sexuell. Er war sich sicher, dass er nie einen anderen Typen attraktiv finden würde, hatte aber nur zu gern etwas mit seinem Freund. Fionn machte mit ein paar Jungs rum, doch es wurde nie mehr. Jannis und seine Freundin hatten eine Krise, sie trennten sich und kamen ein paar Wochen später wieder zusammen. Als seine Freundin jedoch herausfand, dass Mare und Jannis jede Nacht während der Trennung in einem Bett gepennt hatten und sie sich gegenseitig freundschaftliche Küssen auf die Wange oder die Stirn gaben, trennte sie sich endgültig von Jannis. Er war am Boden zerstört und obwohl Mare 24/7 für ihn da war, ging es ihm sehr schlecht. Die beiden blieben beste Freunde und fingen nichts miteinander an, was Kirian insgeheim freute. Wenn wir uns mit den anderen vieren trafen, was immer häufiger vorkam, hatten wir immer sehr viel Spaß. Manchmal nervten uns Nael und Jarvis, wenn sie mal wieder übereinander herfielen, manchmal war die Stimmung gedrückt, weil Jannis einen schlechten Tag hatte, und immer wieder versuchte Kirian mit Mare zu flirten. Oft machten wir aber auch zusammen Musik und brachten sogar einen Kollaboration-Song heraus, der besser ankam, als wir es uns je erträumt hatten.

Der Sommer war vorbei, und bei mir hatte sich nichts großartig geändert. Zwischen Kirian und mir war fast alles wieder wir früher. Nur wenn er sehr betrunken war, versuchte ich, ihm nicht zu nahe zu kommen. Ich hatte ganze vier Monate keine einzige Zigarette geraucht. Fionn und ich hatten wieder mehr Zeit zusammen verbracht und waren fast jeden Abend am Steg gewesen. Ich hatte gemerkt, dass ich mich nur vollends entspannen konnte, wenn er in der Nähe war. Ich genoß die Zeit mit ihm wie mit niemand anderem und wünschte manchmal, dass er statt mit Kirian mit mir zusammenwohnen würde. Oft waren wir auch bei seiner Familie zu Hause und kümmerten uns um Flynn, wenn sein Vater mal wieder bis spät in die Nacht arbeitete. Nachdem wir ihn ins Bett gebracht hatten, schauten wir immer noch Ewigkeiten Musikvideos, Live-Konzerte oder Filme. Seit ein paar Wochen hatten wir angefangen, dabei immer etwas zu kuscheln, und ich genoss die Nähe zu ihm mehr als ich Nähe je in meinem Leben genossen hatte. Manchmal träumte ich von ihm, manchmal hatte ich ein ungutes Gefühl, wenn er mir von seinen Männerbekanntschaften erzählte, was zum Glück nur selten vorkam. Vielleicht hatte sich in der Hinsicht doch etwas verändert.

*°*

„Herzlichen Glückwunsch!", brüllte Kirian, als ich die Wohnungstür öffnete. Verlegen lächelnd erwiderte ich seine Umarmung und schob ihn dann in den Flur, um Fionn zu begrüßen. Er hielt seine Hand hinter dem Rücken und umarmte mich mit seinem freien Arm. „Alles Gute, Rayki", murmelte er mir ins Ohr und löste sich dann von mir, um mich mit seinen strahlenden Augen, die heute etwas mehr blau als grün schienen, anzuschauen. „Danke", lächelte ich und richtete meinen Blick auf seinen Arm, den er langsam hinter seinem Rücken hervorzog. Ich hatte eigentlich gesagt, dass sie mir nichts schenken sollen, da ich diesen unnötigen Konsum-Kram eh nicht gebrauchen konnte. Doch als ein wunderschöner Herbstblumenstrauß zum Vorschein kam, freute ich mich unglaublich doll. Fionns Wangen waren leicht rot, als er seine Hand mit den Blumen mir entgegenstreckte. „Oh, danke, der ist sooo schön!", freute ich mich gerührt und nahm ihm den Strauß vorsichtig ab. „Hab ich selbst gepflückt", nuschelte mein Kumpel und ich strahlte ihn überrascht an. „Echt?" Er nickte nur und ich fuhr ihm mit meiner freien Hand liebevoll durch seine blonden Locken. „Das ist echt süß von dir", flüsterte ich, weil das der vorherrschende Gedanke in meinem Kopf war und mir nichts anderes einfiel. Fionns Wangen wurden noch eine Spur röter.

„Wo bleibt ihr denn, ihr Turteltauben?" Kirians zweideutig raunende Stimme schoss einen Pfeil in unsere kleine Blase und ließ sie zerplatzen. Mit einem verlegenen Lächeln wandte ich mich um und stellte die Blumen in eine Vase. Währenddessen läutete es erneut an meiner Tür und als Kirian öffnete, erklangen Mares und Jannis Stimmen. Kurze Zeit später begrüßte ich die zwei freudig und brachte dann alle vier zu den bereits anwesenden Gästen im Wohnzimmer. Ein paar Leute von früher aus der Schule, ein paar andere Bekannte aus der Musiker-Welt, aber ein ausgewählter kleiner Kreis. Alkohol gab es auch nicht viel, stattdessen gute Musik.

Kaum hatte ich ein Gespräch angefangen, klingelte es erneut und als ich öffnete, strahlten mir Nael und Jarvis entgegen, die Händchen hielten. Kurz durchzuckte mich der Gedanke, ob Fionn und ich auch einmal so auf einer Party auftauchen würden, schob ihn jedoch beiseite, als sich ein Kribbeln in meinem ganzen Körper ausbreitete, welches mit von allem anderen ablenkte. 

RaykWo Geschichten leben. Entdecke jetzt