Z W E I

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„Scheiße, Rayk, hilf mir mal." Ich unterdrückte ein Schmunzeln, als ich Kirian mit der offensichtlich schweren Kiste zur Hilfe kam. „Danke. Grins nicht so blöd." Ich lächelte ihn lieb an und wuschelte einmal durch seine Haare. „Alter, ich hab die grad gerichtet!" „Sah aber nicht so aus." Fionn war mit einem einzelnen Stativ in der Hand auf die Bühne gekommen. Fauler Sack. „Sei leise, du Pisser." Ich schüttelte meinen Kopf über meine beiden Freunde, die sich mal wieder liebevoll die Köpfe einschlugen, und schloss das Kabel an mein Mikrofon an.

Nach dem Soundcheck bauten wir den meisten Kram wieder ab, nur einen geringen Teil konnten wir stehen lassen. Das war das nervige an Festivals, da natürlich noch andere Musiker die Bühne benutzten. Meinen Bass verstaute ich ordentlich, da er mir wirklich heilig war. Ich glaube, viele Menschen können das nicht verstehen, aber ich hatte wirklich eine tiefe Verbindung zu dem Instrument. Liebevoll stich ich über die Hülle, als plötzlich die Tür zum Backstage-Bereich aufgerissen wurde. Neben mir wendeten meine beiden Kumpels, die es sich bereits auf der Couch gemütlich gemacht hatten, synchron mit mir die Köpfe in Richtung des Geräusches.

„Oh, hi!", begrüßte uns der Typ, der hereingeplatzt war. Er war mittelgroß, relativ breit und hatte brauen Haare. Hinter ihm erschienen noch drei weitere Personen, von denen einer den braunhaarigen an der Hüfte beiseite schob. „Nael, beweg deinen hübschen Arsch." Er war klein und rundlich und trotz seines niedlichen Gesichts, welches von blonden Haaren umrahmt wurde, sah man, dass er schon etwas älter als wir war. Die beiden betraten den Raum, sodass ich einen Blick auf die anderen zwei der Truppe werfen konnte. Es waren ein weiterer blonder Typ und ein braunhaariges Mädel. Beide lächelten uns freundlich an, ehe sie alle vier ihre Taschen an der gegenüberliegenden Wand abstellten. Ich warf einen Blick nach rechts und bemerkte, wie Kirian einen begierigen Blick zu den Neuankömmlingen warf. Wen genau er im Auge hatte, konnte ich nicht sagen, aber ich weiß, dass es ihm schon fast egal war, solange er heute nach unserem Auftritt Spaß haben konnte. Versteht mich nicht falsch, er hüpfte zwar ziemlich fröhlich durch die Gegend, aber er machte jedes Mal vorher klar, dass es eine einmalige Sache ist. Seiner Meinung nach war körperliche Interaktion zwischen Menschen eine schöne Erfahrung, die man mitnehmen konnte, wenn man die Chance dazu hatte. Ebenso wie eine Blume am Wegesrand oder kostenloses Essen.

Ich war da ungefähr das genaue Gegenteil. Man könnte mich als spätreif bezeichnen, da ich mit meinen 21 Jahren noch ungeküsst war. Mir machte das nichts aus. Ich hatte noch nie das Gefühl gehabt, mich genug zu jemandem hingezogen zu fühlen, um diese Erfahrung zu machen. Besser gesagt, ich hatte mich überhaupt noch nie zu jemandem hingezogen gefühlt. Aber ich vertraute da auf die Zeit und das Schicksal und stresste mich nicht. Auch, wenn andere Personen sich deshalb um mich sorgten, meine Mutter beispielsweise.

Ich sah, wie Fionns Blick über die drei Typen wanderte, er sich dann jedoch wieder seinem Joint und seinem Feuerzeug widmete. Er drehte beides in seinen Händen, da rauchen hier drin verboten war. Er wird es nach dem Konzert trotzdem machen. Scheinbar fand er keinen der drei interessant genug. Kirian hingegen schien begeistert zu sein, denn er beobachtete die vier gegenüber von uns nach wie vor mit diesem speziellen oha-heiß-das-ist-jemand-für-nachher-Blick. „Wer seid ihr denn?", rief er nun hinüber, damit sie ihn auch ja nicht überhörten. Sie drehten sich um und kamen herüber, um sich auf das zerfetzte Ledersofa uns gegenüber zu quetschen. Scheinbar passte es nicht ganz, denn der braunhaarige, der Nael genannt worden war, zog den blonden, der ihn eben so genannt hatte, auf seinen Schoß und schlag seine Arme um ihn. „Jarvis", stellte sich der blonde auf dem Schoß von Nael vor, dann deutete er auf dein Kissen. „Nael." Sein Finger wanderte weiter zu dem braungelockten Mädchen und dem anderen blonden Typ, der ebenso klein war wie Jarvis. „Mare und Jannis." „Wir sind Kirian, Rayk und Fionn", entgegnete mein braunhaariger Kumpel strahlend und ich versuchte mich mit einem kleinen Lächeln, während ich von dem Boden neben meinem Bass aufstand und mich neben meinen blonden Kumpel setzte.

„Seid ihr zusammen?" Kirians direkte Art schien auf irgendeine Art charmant und nicht unhöflich. Nael und Jarvis lachten und schüttelten die Köpfe. „Nee, ich bin hetero", gab der blonde von sich, während sein Kumpel ihm einen Kuss auf die Wange drückte. So eine Freundschaft könnte ich nie haben, aber es freut mich für sie. „Seid ihr alle hetero?" Die Stimme meines Bandkollegen klang enttäuscht und ich schmunzelte mal wieder. Nicht jede Gruppe war so queer wie wir, denn Kirian war bi, Fionn schwul und ich... war halt ich. Und da wir irgendwie alle nicht der Norm entsprachen, dachte unser Frontsänger immer, dass es in jeder Band so war.

„Nee", antworteten Nael und Mare, die zum ersten Mal den Mund öffnete. Kirian strahlte die beiden an. „Nicht?" „Ich bin schwul um Mare ist pan." Nael zwinkerte Kirian zu, doch dieser hatte seine volle Aufmerksamkeit auf das einzige Mädchen im Raum gelegt. Sie war schon hübsch, aber ich dachte eigentlich, dass mein Kumpel gerade eher in der Typen-Phase war. Allerdings konnte sich das natürlich auch schon wieder geändert haben, oder das mit den Phasen, wo er mal Männer und mal Frauen bevorzugte, war auch schon wieder vorbei. Ich interessierte mich nicht wirklich für das Sexleben meiner Kumpels, ich konnte da eh nichts mit anfangen.

„Und ihr?" „Ich bin bi und Fionn ist schwul." Ich war Kirian mehr als dankbar, dass er mich einfach ausklammerte, denn die meisten Leute in unserem Alter konnten nicht verstehen, wie man an meiner Stelle noch Jungfrau war. Schon oft hatte ich mir anhören müssen, dass ich doch einen tollen Körper hätte und nicht immer so verklemmt sein müsse. Dabei hat einfach bisher noch niemand mein Interesse geweckt. „Seid ihr eigentlich Brüder?", erkundigte sich jetzt der Lockenkopf neben mir und fixierte abwechselnd Jannis und Jarvis mit seinen Augen. Stimmt, jetzt, wo er es sagt, erkenne ich eine ziemliche Ähnlichkeit. Die beiden nicken bestätigend, scheinen jedoch nicht weiter darauf eingehen zu wollen. Allerdings schienen sie auch keine Zeit dazu zu haben, denn Mare warf einen Blick auf ihre Uhr und schaffte es mit einem einfachen „Soundcheck, Jungs!", alle drei sofort zum Aufstehen zu bewegen. Während Jarvis sich zu seinem Rucksack herunter beugte, gab Nael ihm einen Klaps auf den Hintern und Mare sprach Jannis mit Hase an. Ich habe das Gefühl, dass die vier genauso wenig normal sind wie wir.

RaykWo Geschichten leben. Entdecke jetzt