„Alles okay?" Ich zuckte zusammen und sah auf. Mare hatte sich mit einem angenehmen Abstand neben mich gesetzt und sah mich forschend an. „Wo ist Jannis?", entgegnete ich, um der Frage auszuweichen. Sie hob eine Augenbraue, als hätte sie mich genau durchschaut, nickte dann jedoch hinter uns. „Der telefoniert noch mit seiner Freundin, und als sie dazu übergegangen sind, sich irgendwelche dreckigen Sachen ins Ohr zu flüstern und du dann auch noch so lost aussahst, dachte ich, ich komm mal zu dir." Wieder bemerkte ich ihren fragenden Blick auf mir. „Was ist denn passiert?" Ihre Stimme war sanft und ruhig und ließ mir keine Option, sie anzumotzen. Vielleicht war es auch gar nicht so schlecht, mit jemand außenstehenden zu reden. Fionn war sowieso grade zu durch und zu Kirian konnte ich natürlich auch nicht gehen. Außerdem schien sie ja eine ähnliche Einstellung zu körperlichen Nähe zu haben wie ich, sodass sie mich hoffentlich nicht für komplett verwirrt hält.
„Kirian hat mich grade geküsst." Ein einfacher Satz, ziemlich viel Bedeutung für mich. „Oh... das ist nicht gut... unter Freunden." Ich runzelte die Stirn und musste direkt an Nael und Jarvis denken. Sie offensichtlich auch, denn sie grinste leicht. „Bei Jarvis und Nael ist das irgendwie anders, aber so ganz blick ich da auch nicht durch." Ich nickte und trat meine Zigarette aus. Kurz überlegte ich, mir eine zweite anzustecken, lies es dann aber aus Rücksicht zu Mare doch sein. „Es ist nicht nur, dass wir befreundet sind." Ich seufzte und vergrub mein Kinn in meinen Händen, die ich auf meine Knie gestützt hatte. „Oh, ähm... du bist hetero? Oder bist du in ner Beziehung oder findest du jemand toll?" Ich schüttelte den Kopf. „Alles nicht. Wobei, ich hab keine Ahnung, ob ich hetero bin oder nicht, und es interessiert mich auch nicht." Ich atmete einmal tief durch. „Das war mein erster Kuss." Ich nuschelte den Satz leise vor mich hin und blickte stur geradeaus. „Das ist scheiße", erwiderte sie und ich drehe verwirrt den Kopf zu ihr. „Was?" „Dass er dir ohne dein Einverständnis deinen ersten Kuss geklaut hat natürlich. Was dachtest du denn?" Ich musste aufgrund ihrer Antwort lächeln und blickte wieder nach vorn. „Naja, ich dachte, weil ich halt noch nie... also..." Ihr herzliches Lachen rettete mich aus meinem Stottern. „Quatsch, wegen sowas verurteile ich doch niemanden. Ich habs auch nicht so mit sowas und schon gar nicht, wenn man einfach überrumpelt wird." Ich nickte zustimmend, stützte meine Hände hinter mir ab und lehnte mich zurück, um wieder in den Nachthimmel zu schauen.
„Na, was ist mit euch?" Ich drehte meinen Kopf und sah Jannis, der sich neben seine beste Freundin setzte und einen Arm um sie legte. Mit einem zufriedenen Seufzen kuschelte sie sich an ihn und warf mir einen fragenden Blick zu, woraufhin ich leicht nickte. „Kirian hat grade Rayks ersten Kuss geklaut", fasste sie zusammen und der kleine Blonde schaute mich mitfühlend an. „Doof", war sein Kommentar, was ich irgendwie niedlich fand. „Ja, aber ist jetzt auch egal, passiert ist passiert", winkte ich ab, da es nichts ändern würde, noch weiter darüber zu reden. Es tat gut, zu wissen, dass ich nicht komplett seltsam war, weil mir das so nah ging, aber das reichte mir dann auch. Jannis warf mir noch einen schnellen Blick zu, bevor Mare ihn fragte, wie es mit seiner Freundin gelaufen war. „Ja doch, ganz gut", grinste er und eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen. „Okay danke, das reicht mir", lachte die Braunhaarige und ich stieg mit meinem leisen Lachen mit ein.
„Was hältst du davon, wenn wir mal was zusammen machen? Also gern zu dritt, oder auch mit den Bands", schlug er vor und lächelte mich freundlich an. „Kommt ihr auch von hier?" Die beiden nickten synchron und wieder fragte ich mich, ob sie vielleicht telepathieren konnten oder so etwas in der Art. „Ja... warum nicht", nickte ich nach einer kurzen Überlegungszeit. „Cool! Was haltet ihr direkt von morgen? Wir könnten ein Katerfrühstück zusammen machen", grinste Jannis. „Auch wenn wir drei ja noch am klarsten zu sein scheinen." „Ich muss noch fahren", rechtfertigte ich mich, obwohl ich eigentlich einfach kein Fan von Alkohol bin. „Ja, einer von uns auch", stimmte Mare mir zu und ich zog mein Handy raus, um nach der Uhrzeit zu schauen. „Schon halb drei. Ich glaube, ich sammel mal meine Chaoten ein und wir fahren." „Mach das. Ne, Moment, wir brauchen noch deine Nummer!", fiel Mare ein, während ich schon dabei war, aufzustehen. Schnell tippte ich die paar Zahlen in ihr Gerät ein und verabschiedete mich dann. Als ich zurückging, hörte ich die beiden noch darüber diskutieren, wer Nael und Jarvis, falls nötig, auf dem Klo stören sollte. Jannis beschwerte sich, dass er es immer machen musste und jedes Mal tief verstört wurde, weil er seinen Bruder nicht bei sowas sehen wollte. Mare hielt dagegen, dass sie ja kein Typ wäre und es noch weniger sehen wollte. Noch bevor sie zu einem Entschluss gekommen waren, fiel die Tür hinter mir zu und ich eilte durch den düsteren Gang. Ehe ich die Klinke der zweiten Tür herunterdrückte, straffte ich meine Schultern und nahm mir vor, möglichst so zu tun, als wäre nichts passiert.
Entgegen meiner Erwartungen hingen Nael und Jarvis halb schlafend auf dem Sofa, wogegen ich Kirian und Fionn nicht entdecken konnte. Einer dunklen Vorahnung folgend öffnete ich die Tür zu den Toiletten ein Stück weit, doch glücklicherweise schlug mir kein Gestöhne oder ähnliches entgegen. Stattdessen erklang Kirians verschwommene Stimme. „Wass willsn jez von mia?" Er klang ziemlich verwirrt. Ein genervtes Stöhnen war die Antwort, welches sich klar nach Fionn anhörte. „Alter, du hast Rayk geküsst, obwohl du genau weißt, was das für ihn bedeutet", motzte mein blonder Kumpel, was mir das Herz aufgehen ließ. „Ich haaaab...", begann unser Frontsänger, doch Fionn ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Sowas ist selbst besoffen echt scheiße, vor allem das vor mir zu machen, wo ich schon seit Jahren in ihn verliebt bin!" Mein Herz blieb stehen, um dann extrem unregelmäßig weiterzuschlagen. Konnte es noch komplizierter werden? „Waaassss?" Kirian war scheinbar genau so geschockt wie ich. „Scheiße", hörte ich Fionn murmeln. „Nichts nichts", wiegelte er dann schnell ab. „Has du grad gesacht, du bis..." „Nene, du hast dich verhört", unterbrach der Lockenkopf ihn. Kurz darauf erklang ein lautes Gähnen und dann ein „Ich glaub, wir müssen mal nach Hause." Als sich die Schritte langsam der angelehnten Tür nährten, nahm ich meine Beine in die Hand und sprintete zu unseren Instrumenten, wo ich dann herumstand und in meiner Jackentasche nach dem Busschlüssel kramte. Ich hatte nicht lauschen wollen, aber nach dieser neuen Information war ich wie erstarrt gewesen. Überfordert schluckte ich, als die beiden den Raum betraten, und mied Augenkontakt mit ihnen. Ich konnte nichts anderes mehr denken, als dass Fionn in mich verliebt war. Seit Jahren.
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Rayk
Teen FictionRayk ist 21 und ungeküsst. Aber das macht ihm gar nichts aus, er hat einfach noch nicht die richtige Person gefunden. Aber dann ändert ein Abend das sonst so entspannte Klima in seiner Band und Rayk hat keine Ahnung, was er machen soll. (Okay ich ha...