Kapitel 11

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Ich gebe mir nicht mal die Mühe, den Alkohol in einen Becher zu füllen, sondern trinke einfach gleich aus der Flasche. Als ich absetze, taucht Allison neben mir auf. "Alles okay?", fragt sie mich mit einem Blick auf die beiden Flaschen. Ich nicke. "Ich bin eine starke Frau und ich brauche Henry nicht. Was er kann, kann ich schon lange." Wie zur Bestätigung nehme ich noch einen großen Schluck Vodka.

Ist klar. Ich wette, dass ich morgen, spätestens übermorgen, wieder mit Henry zusammen bin.

Allison sieht mich etwas zweifelnd an und will gerade etwas sagen, da wird sie vom Klingeln ihres Handy unterbrochen. Sie wirft einen Blick aufs Display und meint dann entschuldigend: "Sorry, das ist meine Mom, da muss ich rangehen." Sie verschwindet nach draußen und ich widme mich wieder den Vodkaflaschen.

Nach einer geschätzten Viertelstunde trübsinnig durch die Gegend starren, frage ich mich langsam, ob ich das jetzt den ganzen Abend durchziehen will. Das sieht nämlich nicht gerade nach 'Ich brauche Henry nicht' aus. Als hätte Susan meine Gedanken gelesen, rapple ich mich auf und schwanke in Richtung Terrasse. Die beiden Flaschen (von denen ich eh nicht so viel getrunken habe) lasse ich einfach stehen, was, wie ich finde, aber eine gute Idee ist, da ich generell Alkohol nicht so gut vertrage.

Ich laufe plötzlich in einen mir unbekannten Typen hinein, den ich sofort anflirte. Er, auch schon etwas angetrunken, flirtet fleißig zurück. Wir sind jetzt anscheinend bei Schritt zwei 'Was Henry kann, kann ich schon lange' angekommen.

Wir landen schließlich in einer Ecke wo wir und - so muss es jedenfalls für Außenstehende aussehen - fast gegenseitig auffressen. Als seine Hand meinen Rücken langsam hinunterwandert (nicht schon wieder) drücke ich ihn zu meiner eigenen Überraschung leicht weg. Die Worte die ich dann flüstere, machen aber meine Hoffnungen, dass ich ihn abweisen würde, im Nullkommanichts kaputt.

"Wir treffen und in fünf Minuten auf der Toilette." Der Typ (ich weiß nicht mal seinen Namen) nickt, ich zwinkere ihm zu und gehe kurz nach draußen. Langsam versehe ich, warum meine Eltern auf 'Geschäftsreise' sind. Ich meine, Henry redet nur mit einem anderen Mädchen und schon bin ich im überdramatisierenden Schlampenmodus.

Draußen auf der Terrasse angekommen, verzieht sich Susan. Ich kann mein Glück kaum fassen, aber ein Blick an mir herunter zeigt, dass ich tatsächlich Sneakers trage. Ich schaue mich kurz um, doch von dem Typen den ich gleich im Bad treffen soll, ist keine Spur, also tue ich das einzig sinnvolle. Ich nehme meine Beine in die Hand und versuche so weit wie möglich von hier wegzukommen.

Das war genug Heterosexualität für mein Leben.

Ich entdecke Justin, der gerade in sein Auto steigt und anscheinend losfahren will. Kurzerhand renne ich zu ihm hin, reiße die Beifahrertür auf und lasse mich erschöpft in den Sitz fallen. "Bring mich hier weg!", japse ich und Justin startet etwas verwirrt den Motor und fährt los. "Was ist denn hinter dir her?", fragt er mich, als ich wieder zu Atem komme. Vielleicht hätte ich den neuen Fitnessraum doch mal benutzen sollen.

"Ich habe in meinem WPA-Körper Henry mit einem anderen Mädchen reden sehen, bin in eine kleine Spontandepression verfallen und habe dann einen random Typen angebaggert. Eigentlich sollte ich in diesem Moment bei ihm im Bad sein", erkläre ich mit einem Blick auf die Uhrzeit. "Falls ich wieder mein WPA-Ich bin und zurück will, dann halte mich bitte auf."
"Mach ich", verspricht mir Justin. "Wo hast du eigentlich dein Auto her?", fällt mir dann auf, denn er ist ja zusammen mit uns in Henrys Auto hergefahren. "Ich habe es einem Kumpel geliehen und der fährt mit jemand anderen zurück", antwortet Justin. Ich nicke, dann verfallen wir in Schweigen.

Nach einer Weile räuspert sich Justin. "Ähm...nur mal so ganz am Rande..was ich dich eigentlich schon länger mal fragen wollte...äh...also du stehst ja auf Mädchen..." Ich nicke. "...und wir waren ja zusammen und so...also..." Justin ist es sichtlich unangenehm, darüber zu sprechen. "...ich weiß natürlich, dass du nicht 'entschieden' hast, Mädchen zu mögen und so, aber...war ich so schlecht? Also damals, als wir..naja du weißt schon." Den letzten Teil murmelt Justin so schnell, dass ich ihn fast nicht verstehe und sieht mich dann etwas verlegen an. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber mit dem definitiv nicht.

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