per•fect

Kapitel 15

Ich laufe hüftenschwingend über den Footballplatz und bleibe dann vor der Gruppe stehen. "Hallo Jungs", sage ich und werfe mich in eine (bestimmt beknackt aussehende) Pose. "Wie wäre es mit einem kleinen Spiel?"

Sechzehn Augenpaare starren mich verdutzt an. Das ist nachvollziehbar, denn ich vermute, dass es nicht oft vorkommt, dass plötzlich ein tussiges Mädchen (ich schaue kurz an mir herunter und bekomme fast Augenkrebs) einem knallpinken Minikleid, dessen Farbe in den Augen weh tut, vor ihnen steht und mit ihnen spielen will.

Mein WPA-Ich deutet das Schweigen aber als Sprachlosigkeit und ich werfe meine Haare über die Schulter. "Ihr habt richtig gehört. Ich spiele allein gegen auch alle." Ich habe zwar nicht so wirklich viel Ahnung von Football, aber so funktioniert ein Spiel zu hundert Prozent nicht, das weiß ich.

Ich ernte noch verwirrtere Blick, bis Damian "Spielt einfach mit, sie ist in ihrer WPA-Phase" sagt. Daraufhin folgt ein kollektives Aufstöhnen, aber das Team geht in eine Hälfte des Feldes. "Bringen wir es hinter uns", murmelt Justin im vorbeigehen und zwinkert mir zu.

Als sich alle irgendwie aufgestellt haben, schnappe ich mir den Ball und gehe in die Mitte des Feldes. Als ich bei Henry vorbeikomme, werfe ich ihm einen extra hochnäsigen Blick zu, der wahrscheinlich signalisieren soll, dass ich über ihn hinweg bin. Mira und Allison haben sich an den Spielfeldrand gestellt, um das ganze Szenario besser beobachten zu können.

"Ich mach euch sowas von fertig!", prophezeie ich. Tja, wenn wir mit normalen physikalischen Gesetzen spielen würden, würde ich über diese Aussage nur lachen. Da Susan aber, wie wir bereits wissen, nichts von alldem hält, werde ich höchstwahrscheinlich trotzdem irgendwie gewinnen.

Ohne auch nur auf irgendein Signal zu achten, das den Spielbeginn verkündet, stürme ich einfach drauflos. Damian, Henry und noch ein anderer Footballspieler versuchen mich aufzuhalten und mir den Ball abzunehmen, aber ich remple sie einfach leicht mit der Schulter an und sie fliegen in hohen Bogen nach hinten und landen mindestens sieben Meter von mir entfernt im Gras. Es gibt overpowerte Charaktere, es gibt sehr overpowerte Charaktere und dann gibt es noch mich als Mary Sue.

Den nächsten zwei Typen verpasse ich kurzerhand einen Kinnhaken, worauf sie dramatisch zurücktaumeln und Justin trete ich gegen das Schienbein. Langsam zweifle ich daran, ob Susan auch nur eine geringste Ahnung von Football hat. Ich spaziere, den Ball locker unter meinen Arm geklemmt, seelenruhig weiter. Der Rest meiner Gegner scheint wohl keine Lust zu haben, auf eine definitiv nicht in den Regeln vorhergesehene Weise vermöbelt zu werden, deswegen stehen sie nur mit verschränkten Armen und sehr genervten Blick auf dem Spielfeld und warten darauf, dass ich endlich meinen ultimativ krassen Touchdown mache und dann endlich verschwinde.

Den Touchdown mache ich dann auch - natürlich in einer bühnenreifen Art und Weise. Ein paar Meter vor der Endzone fange ich an zu rennen und werfe mich laut brüllend inklusive einem Salto und einer Schraube über die Linie. Dann beginne ich lautstark zu jubeln und recke meine geballten Fäuste in Richtung Himmel. Dass niemand mit mir mitjubelt ignoriere ich einfach.

Innerlich bete ich einfach nur, dass es aufhört. Mir ist die ganze Situation extrem peinlich und ich wünsche mir einfach, dass sich der Boden auftut und mich verschluckt. Den Blicken einiger Jungs aus dem Footballteam nach, bin ich mit diesem Wunsch nicht alleine.

Endlich kribbelt es wieder und ich höre sofort auf zu jubeln und vergrabe meinen Kopf in den Händen. Da sich immer noch keine Risse im Boden öffnen (nicht mal mikroskopisch kleine) stehe ich mit glühenden Wangen auf. "Es tut mir so, so leid!", rufe ich und hebe entschuldigend die Hände. "Ich wollte das nicht, aber mein WPA ist teilweise echt unausstehlich", meine ich zerknirscht.

Der Footballspieler, der mir am nächsten steht, auf seinem Trikot steht Winston, klopft mir auf den Rücken. "Schon okay, du kannst ja nichts dafür." Auch der Rest des Teams nickt zustimmend und einer der drei, die ich am Anfang so superheldenhaft zur Seite geschleudert habe, reckt beide Daumen nach oben. Die Jungs verschwinden nach und nach wieder in der Umkleidekabine und ich laufe zu Allison und Mira hinüber.

"Das war soo unangenehm", jammere ich und lasse meinen Kopf auf Allisons Schulter fallen. "Ich würde dir ja gerne widersprechen und behaupten, dass es nicht so war...aber das war es", meint Mira und klopft mir auf die Schulter. "Teilweise tat es echt weh beim zusehen."

Circa 15 Minuten später tauchen auch Damian, Justin und Henry frisch geduscht und mit noch feuchten Haaren wieder auf. "Und? Was machen wir jetzt? Das Wetter scheint genauso Stimmungsschwankungen zu haben wie Nat als Mary Sue.." Ich boxe Mira gegen den Arm. "..die Sonne scheint wieder, der Wind hat aufgehört, es ist wunderbar warm, wir könnten - ", fährt Mira fort, wird aber von Henry unterbrochen, der sich ins Gras unter einem Baum fallen lässt. "Schlafen!", beendet er ihren Satz.

So kommt es, dass kurze Zeit später Henry doch nicht schläft, sondern mit Mira und Justin Schere Stein Papier spielt (wobei sie ziemlich viele neue Figuren erfinden. Gerade eben wurde zum Beispiel Maleficent von einem Dinosaurier geschlagen, der dann aber wiederum aus irgendeinen Grund gegen Biene Maja verloren hat), Allison Damian beibringt, wie man Blumenkronen macht und ich endlich auf die ganzen Nachrichten antworte, die ich in den letzten Tagen geflissentlich ignoriert habe.

Diese Ruhe (obwohl...Ruhe kann man es nicht ganz nennen, denn Mira, Henry und Justin tragen ihre Schere Stein Papier-Kämpfe mit ziemlich vielen Kampfgeräuschen aus) wird etwas später wieder mal von Susan unterbrochen.

Als ich das Kribbeln spüre, stöhne ich genervt auf. "Es geht wieder los, Leute." Auch Henry und Allison nicken bekräftigend und kurz darauf stehen wir in voller WPA-Montur bereit. Sprich: ganze drei Quadratmillimeter Stoff bei Allison und mir und Lederjacke plus verspiegelte Sonnenbrille bei Henry. Allerdings verwandeln sich Allisons Klamotten nach ein paar Sekunden wieder zurück. "Was zum...naja, mir soll es recht sein", meint sie, als sie verwundert an ihr herunterschaut.

Leider transformiere ich mich nicht zurück, dafür flackert mein Sichtfeld leicht und als ich wieder klar sehe, umarmt Henry gerade ein blondes Mädchen. Oha. Wo kommt die denn so plötzlich her? Natürlich raste ich dann auch gleich aus. "WER IST DIESE SCHLAMPE?", brülle ich. "Das ist Angelique. Meine neue Freundin", erwidert Henry.

Irgendwie kommt mir Angelique sehr, sehr bekannt vor. Ich kneife meine Augen leicht zusammen und - oh Gott. Angelique sieht Justin ähnlich. Zu ähnlich. Streng genommen ist es einfach Justin mit langen Haaren und Brüsten. Das erklärt auch die verwirrten Gesichter von Damian, Allison und Mira, die höchstwahrscheinlich keine Halluzinationen von einem weiblichen Justin haben. Gibt es eigentlich gar kein Limit von specialeffects für Susan? (Ich meine...meine (und wahrscheinlich auch Henrys) Sicht so zu verzerren, dass wir Justin als Mädchen sehen? Musste das wirklich sein?)

Mein WPA-Ich ist zu dieser Schlussfolgerung nicht gekommen, denn ich kämpfe mit den Tränen. Henry hat mittlerweile seine Arme von hinten um Justins, pardon Angeliques, Hüften gelegt. Ich hoffe wirklich, dass jemand Bilder von dieser Situation macht.

In der Zwischenzeit habe ich mich wieder halbwegs gefangen. "Aber das ist unmöglich! Du kannst mich nicht so schnell ersetzen! Das darfst du einfach nicht!" Henry zieht nur seine Augenbrauhen hoch und drückt Angelique demonstrativ einen Kuss auf die Wange. Ich schnaube wütend.

"Du wirst schon sehen was du davon hast!", keife ich und werfe einen Todesblick in Henrys Richtung. Wir starren uns noch ein paar Sekunden lang herausfordernd an, dann setzt das Kribbeln wieder ein, in meinem Blickfeld flackern wieder kleine schwarze Punkte und als meine Sicht wieder scharf ist, fallen mir als ersten Justin und Henry ins Auge, die mit geröteten Wangen und etwas verlegen nebeneinander stehen.

"Two brooos, chilling in a hot tub", fängt Damian mit einem breiten Grinsen an zu singen und steckt sein Handy in seine Hosentasche. Gott sei dank, er hat Fotos gemacht.

"One feet apart 'cause they're a bit confused but definitely gay", mach Allison weiter. Wir fangen an zu lachen und Henry wirft Justin noch scherzhaft einen Luftkuss zu, bevor sie auch einstimmen.