Kapitel 2

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Faye nahm ihre dunkle Jacke vom Haken und schnappte sich ihren kleinen Rucksack, den sie immer dabeihatte und stopfte die Nüsse hinein. Dann klickte sie in Sekundenschnelle auf den Tasten des Kühlschranks herum und angelte sich eine Wasserflasche heraus und zwei Äpfel. Als sie diese verstaut hatte, entriegelte sie auf dem kleinen Display das Sicherheitssystem von ihrem Fenster und schob es mit einem kraftvollen Schwung nach oben. Es ließ sich jedoch nur bis zur Mitte öffnen und so lugte sie erst mit dem Kopf hinaus. Als sie keine weiteren Angreifer entdeckte, quetschte sie sich bäuchlings durch die schmale Öffnung.

Als ihre Füße mit einem sanften Geräusch auf dem trockenen Waldboden aufkamen, schaute sie noch einmal prüfend in alle Richtungen, bevor sie in Richtung der schützenden Bäume lief. Für einen kurzen Moment hatte sie damit gerechnet, dass sie jemand auf dem schmalen Steinstreifen zwischen Schienen und Wald entdeckte, doch ein rascher Blick über ihre Schulter zeigte, das dem nicht so war.

Gerade noch rechtzeitig schaute sie wieder nach vorne, um nicht gegen einen der massiven Bäume zulaufen und schlug einen Haken um ihn herum, bevor sie endlich das schützende Blätterdach erreicht hatte.

Ziellos rannte sie einfach immer weiter ins Innere des Waldes, um möglichst viel Abstand zwischen sich und dem Zug zu gewinnen. Ihr Puls hatte sich von der plötzlichen Anstrengung beschleunigt und sie merkte das Adrenalin in ihren Adern, das sie dazu antrieb immer schneller zu laufen.

Als sie das laute Heulen der Wölfe hörte blieb sie jedoch stehen. Sie horchte und versuchte das Geräusch einzuordnen. Wölfe heulten je nach Situation und Stimmung anders und Faye hatte mit der Zeit gelernt die feinen Nuancen zu unterscheiden. Die Wölfe schienen aufgeregt zu sein, machten sich bereit für eine Verfolgungsjagd und so schlussfolgerte sie, dass sie nicht die einzige war, die die Flucht ergriffen hatte. Jedenfalls hoffte sie das.

Vielleicht würde das ihre Chancen erhöhen und entschlossen setzte sie ihren Weg fort. Durch das jahrelange Training war sie geübt darin, weite Strecken in einem hohen Tempo zurückzulegen, aber nun irrte sie quasi in dem großen Wald umher. Zu Hause kannte sie jedes Feld und jeden Berg, aber hier musste sie sich neu orientieren und aufpassen, dass sie nicht versehentlich im Kreis lief.

Ihr erstes Ziel war es, ein sicheres Versteck zu finden, dann würde sie eine Weile warten und zu dem Zug zurückkehren. Die Schienen liefen schließlich nur in zwei Richtungen und irgendwann wäre sie dann in einer der sicheren Schutzzonen.

Zufrieden nickte sie über ihren Plan und setzte mit den Händen an einem Stein an, um über ihn rüber zu springen. Leicht kratzte sie dabei mit ihrer Jacke an einem der herunterhängenden Äste entlang, aber ein rascher Blick reichte, um zu sehen, dass zum Glück kein Riss entstanden war.

Als ihre Augen kurz über den Boden huschten, um nicht auf böse Überraschungen wie spitze Steine oder gebaute Fallen zu treten, sah sie mehrere kleine Blätter in einem sorgsam angelegten Kreis. Faye kannte diese Anordnung aus mehreren ihrer Unterrichtsstunden und wusste, dass dies sie retten könnte, wenn sie denn den Richtigen Weg nahm. In einiger Entfernung kam dieser Halbkreis erneut vor und so folgte sie ihnen, bis die Blätter immer weniger wurden.

Das war nicht gerade leicht, da die Blätter nicht nur weniger wurden, sondern man auch genau darauf achten musste in welche Richtung die meisten ihrer Blattspitzen zeigten.

Beim Anblick des Ursprungs von dem angelegten Blätterbeet staunte sie nicht schlecht. Natürlich hatte sie schon viel über diese Baumart gehört, aber noch nie hatte sie einen Zerchen aus der Nähe gesehen.

Der Riese stand genau in der Mitte einer kleinen Lichtung, so als wollten die Bäume um ihn herum ihm Platz geben, damit er seine Wurzeln ungehindert ausbreiten konnte. Auf den wenigen Wurzeln, die aus der Erde ragten, hatte das dunkle Moos sein Zuhause, welches bei richtiger Verwendung und Zubereitung zu einem der besten Heilmittel gegen unzählige Krankheiten hergestellt werden konnte. Bei falscher Berührung konnte es aber auch Wahnvorstellungen hervorrufen und den Körper in einen paralysierten Zustand versetzen.

Als sie das Heulen der Wölfe vernahm erschrak sie wie dicht sie bereits aufgeschlossen waren. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit! Die kleinen Tiere waren weitaus schneller als sie und so beeilte sie sich weiter zu dem Baum zu gelangen. Als sie vorsichtig die Hand nach der nackten Rinde ausstreckte fühlte sie sofort die Magie in ihm. Entschlossen versuchte sie die Geräusche der wilden Tiere zu verdrängen und konzentrierte sich auf den Magiefluss, der sich im Inneren des Baumes befand.

Vorsichtig ließ sie ihre eigene Magie in den Baum fliesen, klopfte damit vorsichtig an seine Türen und wartete auf eine Antwort. Es dauerte länger als gewohnt, da sie zurzeit nur einen winzigen Teil ihrer eigentlichen Stärke besaß und so musste sie erst das richtige Maß an Kraft finden. Immer wieder schickte sie kleine Funken ihrer Magie in den Magiestrom, bis sie die Melodie seiner Kraft erkannte und sich ihr anpassen konnte. Die feinen Misstöne innerhalb der Magie überraschten Faye. Es schien als überlege der Zerch ob er sie als Eindringling ansehen sollte oder nicht. Doch als sich unter ihren Händen langsam das Holz erwärmte, schien das eine Einladung des Baumes zu sein.

Sie nahm langsam ihre Hände von der Rinde und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder vollständig auf die Welt um sie herum. Dabei fiel ihr auf, dass der Baum einige seiner Äste gesenkt hatte, an denen sie nun hinaufklettern konnte.

Vorsichtig streckte sie erst ihre Hände aus und zog sich mit ihnen höher, bis sie ihre Füße als Hilfe benutzen konnte.

Auch wenn der Zerch ihr die Äste dicht beieinander angeordnet hatte, war es nicht gerade einfach ihn zu erklimmen da die Rinde rund und glatt war und Faye immer wieder abrutschte.

Als sie jedoch endlich sicher in der Baumkrone saß atmete sie erleichtert auf und machte es sich in einer kleinen Kuhle so bequem wie möglich während sie auf die verschiedenen Waldgeräusche achtete.

Das Kreischen einer Eule hallte durch einen Großteil des Waldes und überall hörte man das geschäftige Treiben der kleinen Nagetiere, wie sie nach Nahrung suchten und dabei den Waldboden umpflügten.

Die Geräusche, die sie schon die ganze Zeit mitverfolgt hatten, waren nicht schwer zu finden. Das trommelnde Schlagen der Wolfspfoten brachte den Wald in Aufruhr und so verstummten die anderen Geräusche je weiter sich die pelzigen Tiere näherten.

Dankend für den Schutz, den die Dunkelheit der Nacht ihr gab, beobachtete sie stumm wie eines der kleinen Geschöpfe aus dem Unterholz hervorbrach.

Wie ein kleiner schwarzer Blitz sah er aus und es dauerte nicht lange, bis der Rest seines Rudels eintraf.

Knurrend hielten sie die Nasen in die Luft, um ihre Spur weiter verfolgen zu können.

Faye drückte sich tiefer in die Kuhle und versuchte sich soweit es der Platz zu ließ in dem Schatten der Blätter zu verschwinden.

Ihr Herz hatte wie schon im Zug unverschämt laut angefangen zu klopfen und wieder versuchte sie nur die nötigsten Atemzüge zu tun, um nicht unnötige Geräusche zu verursachen die die Aufmerksamkeit auf sie lenken ließen.

Als sich eine Strähne aus ihrem Zopf löste und sie an der Nase kitzelte, versuchte sie sie vorsichtig weg zu pusten. Dieser Versuch scheiterte jedoch kläglich also blieb ihr nichts anderes übrig als vorsichtig ihre Hand zu heben und das Haar hinter ihr Ohr zu schieben.

Gerade rechtzeitig gelang ihr das noch bevor ihr ein Nieser entweichen konnte und sie aufgeflogen wäre.

Der Geruch des Mooses überdeckte zwar ihren eigenen Geruch stark genug, um nicht von den feinen Nasen der Wölfe entdeckt zu werden, gegen ihre Geräusche schützte sie das aber nicht.

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie die verwirrten Wölfe, die begonnen hatten an den Rändern der Lichtung nach Spuren zu suchen. Durch die Dunkelheit erkannte man die Tiere nur schwer und wenn das Licht des Mondes sich nicht durch die Lücken der Wolkendecke kämpfen würde, hätte man sie wahrscheinlich gar nicht sehen können.

Der Wolf, der als einziger nicht nach weiteren Spuren suchte, hatte sich in der Mitte der kleinen Lichtung niedergelassen, drehte seinen Kopf jedoch ab und zu in alle Richtungen, um die anderen Wölfe im Auge zu behalten. Seiner Größe nach zu urteilen schien er der Alpha zu sein. Gelassen schien er darauf zu warten, dass einer seiner Gefährten die Spur wiederfand und sie wieder die Verfolgung aufnehmen konnten.

Als ein plötzliches Krachen hinter ihm erklang, spitzte er die Ohren, während sein massiver Kopf sich in die Richtung drehte und er in seiner Bewegung erstarrte.

Guardian of the rubiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt