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Es lag ein meilenweiter Unterschied zwischen Sprechen und Zuhören.
Jedes Kind weiß es. Das eine ist der aktive Part, das andere der passive Part einer Konversation. Und damit eine solche Konversation funktioniert, müssen beide Teilnehmer ihre Parts regelmäßig wechseln. Jedes Kind weiß es.
Nur er wusste es nicht.

Er hatte alles, was ihm durch den Kopf schwirrt, jeden Gedankengang, der sich zusammenbaut, wie ein Turm aus Bauklötzen, vom Zuhören gelernt. Er hat Dokumentationen gesehen, Bücher gelesen, den jugendlichen Slang bei Gesprächen in der Cafeteria erlernt und seinen Eltern dabei Gesellschaft geleistet, wie sie sich über die neusten Nachrichten und Ergebnisse im Sport ausgelassen hatte.
Und er wusste nicht, wie er so töricht hatte sein können, zu glauben, dass ihn dieses jahrelange Zuhören zu einem guten Redner gemacht hatte.

Denn das war er nicht.
Ganz gleich, was er sich auch einredete, als er Taehyung am Ende der Stunde zurückhielt.

Er redete ohne zu denken und das war ein Fehler.

„Warum machst du das Projekt nicht mit deinem Freund?"

Er verwendete die Umschreibung 'Freund', damit keine Fragen aufkamen, woher er seinen Namen kannte. Er wusste nicht, weshalb, aber irgendetwas sagte ihm, dass die Verwendung von Namen, die er nicht kennen durfte, aufdringlich und interessiert wirkte. Baekhyun hatte niemanden mehr gefunden und sah am Ende der Stunde ziemlich geknickt aus, überspielte es jedoch gut, indem er mehr oder weniger lautstark verkündete, er hätte gleich Fußballtraining (was nicht stimmte, er wusste es zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht, aber Baekhyun hatte in diesem Jahr in seinen Verein gewechselt und das Training würde erst anderthalb Stunden nach Schulschluss beginnen) und müsste aufgrund dessen sofort los.

„Warum sollte ich es denn nicht mit dir machen wollen?"
Taehyungs Tonfall klang vermutlich ungewollt provokant und ließ gleich vermuten, dass hinter dieser geschickten Gegenfrage mehr verborgen war, als er zugeben würde. Er hatte in Büchern über Mittel der Kommunikation gelesen; Gegenfragen schinden Zeit und lenken von der Ausgangsfrage weg, meist aus dem Grund, um diese nicht beantworten zu müssen.

Für einen Moment starrten sie sich an. Das Prinzip von Gegenfragen war kurz davor aus ihm herauszubrechen, aber er riss sich zusammen, dachte daran, dass er - zumindest hier - ein normaler Schüler war, der ein Leben lebte, Freunde hatte und nur ganz aus Versehen Hamlet auf Englisch gelesen hatte.
Trotzdem gab Taehyung zuerst nach.

„Na schön... ich fand es interessant, was du vorhin gesagt hast und du bist mir davor noch nie so wirklich aufgefallen, deswegen dachte ich mir..." Er stockte und drehte sich zur Tür, als würde er sichergehen, dass außer Mr. Park niemand mehr im Raum war. „Wär cool, wenn wir mal zusammen abhängen könnten oder so... und ich wollte mein Gesicht nicht unbedingt Baeks künstlerischem Talent überlassen." Er grinste. „Du kannst echt gut zeichnen."

„Danke", sagte er. Taehyungs Interesse überraschte und verwirrte ihn gleichzeitig. Noch nie hatte jemand aus der Schule nachgefragt. Bisher hatte er es erfolgreich gemeistert unsichtbar zu sein und sich in seiner eigenen, kleinen Welt, die nur aus Büchern und Dokumenten bestand, zu verstecken.

„Okay, also... wie stellen wir's an?"
„Es empfiehlt sich, wenn ihr euch vorher irgendwie kennengelernt habt. Ich will nicht nur eine Zeichnung von eurem Partner haben, sondern ein exaktes Bild, wie ihr ihn seht. Mit all seinen Macken und Besonderheiten", mischte Mr. Park sich ein und er sah zu seinem Kunstlehrer hinüber, der seine Sachen jetzt zusammengeschoben hatte und im Begriff war den Raum zu verlassen. „Alles klar?"
Sie nickten.
„Sehr schön. Zieht ihr dann bitte die Tür zu, wenn ihr fertig seid?"
Noch ein Nicken. Dann war Mr. Park verschwunden.

„Zu mir oder zu dir?"

Er zögerte. Taehyung war einer der Menschen, dessen Name er auf seine Liste gesetzt hatte. Und eigentlich brach bereits dieser Wortwechsel die Grundsätze, die mit dieser Liste gekommen waren. Er wollte sein richtiges Leben so gut es ging vor all dem hier verbergen. Aus Sicherheitsgründen.

„Zu dir?"

Für einen Moment sah es aus, als würde Taehyung etwas dagegen sagen wollen, ließ dann allerdings die Schultern hängen und atmete aus.

„Okay... Freitag?"
„Ich hab bis 15:00 Uhr Training zwei Straßen weiter bei der großen Turnhalle."
„Das passt. Ich hol dich davon ab."
„Cool." Er hasste dieses Wort. Die Menschen in seinem Alter verwendeten es oft und lässig, aber immer wenn er es selbst ausspricht (was nicht oft vorkommt, regelmäßig bei Smalltalk in der Cafeteria und einmal, als er zuhause vor dem Spiegel herausfinden wollte, warum es sich aus seinem Mund so anders anhörte) kommt er sich einfach nur affig vor.

Taehyung lächelte und hielt ihm die Hand hin. Er lächelte ebenfalls und schlug ein.

„Warum bist du mir vorher noch nie aufgefallen?"
„Ich weiß nicht", sagte er, weil ihm keine witzige Antwort einfiel. Taehyungs Blick ausweichend schulterte er seine Tasche, um den Raum zu verlassen, doch der Andere kam ihm hinterher.

„Und du hast echt Hamlet gelesen?", fragte Taehyung ungläubig belustigt, während er neben ihm her den Gang hinunter trabte.
Er lachte gekünstelt. „Nein, ich hab nur das Zitat letztens irgendwo gelesen... aber es kommt immer besser, wenn die Leute denken, du wärst gebildet. Und zumindest dich konnte ich damit beeindrucken." Zwei Lügen in einer Antwort, aber auf Taehyungs Gesicht breitete sich ein Grinsen aus.

„Das hast du in der Tat, Jeongguk", meinte er und machte einen Schritt nach vorn, um ihm die Tür aufzuhalten. „Wo sitzt du eigentlich in der Cafeteria?"

Er bedankte sich leise und trat neben Taehyung ins Freie. „Am zweiten Tisch von links, ganz hinten."
Sein Herz schlug schneller, da er bereits das Angebot auf Taehyungs Lippen lesen konnte, sich in der nächsten Pause zu ihm zu setzen. Etwas, was ihm in dieser Situation gerade noch gefehlt hatte. Er wusste nicht mehr genau, was er von diesem Jungen halten sollte, aber bei seinen Freunden war er sich mehr als sicher, nichts mit ihnen zu tun haben wollen.
Doch da kam nichts. Taehyung nickte nur und holte schweigend zu ihm auf. Man sah, dass er etwas sagen wollte, aber irgendeine Stimme hinderte ihn daran es zu tun.

„Okay, ich freu mich auf Freitag", murmelte Taehyung, als sie am Schultor angekommen waren und er mit seinem Kopf in die entgegengesetzte Richtung deutete, als Zeichen, dass er dort lang musste.

„Ich mich auch", antwortete er und zwang sich ein Lächeln ab. Er lächelt nicht oft. Meistens, wenn er über einer seiner Arbeiten saß und irgendetwas neues entdeckt hat, was ihn seiner Lösung ein Schritt näher brachte.

Und dann war Taehyung weg und er fing langsam an zu realisieren, was genau er dort gerade zugestimmt hatte.












Ich hab gerade das Stück geübt, was wir für Musik singen sollen und meine kleine Schwester ist reingekommen, um zu fragen, ob mit mir alles in Ordnung sei... danke dafür

End of Spring  ⇢ TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt