VII

337 49 42
                                    

Wenn man sein Leben lang aufwächst mit seiner unbeeinflussten Sicht auf die Dinge dieser Welt, entwickelt man für gewöhnlich ein sehr definiertes Bild von Normalität.

Er wusste damals noch nicht, dass manche Menschen normaler waren, als andere, und er wusste noch viel weniger, dass er zu den anderen gehörte. Dem Himmel sei Dank - und er war wirklich ausgesprochen dankbar - fiel es ihm auf, bevor seine Mutter ihn auf eine Schule schickte.

Er spielte Fußball, seit er mit dem Privatunterricht begonnen hatte. Seine Eltern hielten es für angebracht, ihn ausreichend auszulüften, nachdem er den ganzen Tag damit verbracht hatte, sich etwas von Prozent- und Zinsrechnung erklären zu lassen, was er, wie sein Privatlehrer damals mit Erstaunen feststellen musste, bereits nach drei Tagen komplett durchleuchtet und verstanden hatte.

Und im Gegensatz zu der Zeit, als er das Schwimmen erlernen sollte, genoss er die Fußballstunden. Für ihn war es tatsächlich, neben dem Tanzen und der Musik, eine gute Ablenkung und möglich sich selbst für einen Augenblick zu vergessen und etwas zu tun, für dessen Ziel er sich nicht auf seinen Kopf sondern auf seinen Körper verlassen musste. Keiner konnte ihm vorwerfen, er hätte es nicht versucht, wenn er umknickte und sich den Knöchel verstauchte (was sein Vater und seine Mutter trotzdem alles andere als freudig aufgenommen hatten).

Im Nachhinein vermutete er, dass die eigentliche Intention seiner Mutter, ihn unter Gleichaltrige zu bringen, gewesen war, doch in diesen Stunden seiner Woche sah er nur den Ball und das Tor. Er war ein Einzelkämpfer, aber er war ein guter Einzelkämpfer.
Bis zu dem Tag, an dem Yugyeom in sein Team gewechselt war.

Und er erinnerte sich noch gut an Yugyeom.
Yugyeom war der erste, in seinem Team und überhaupt, gewesen, der versucht hatte mit ihm zu reden. Mehr mit ihm zu reden, als es ihre kindliche Begeisterung über Fußball zuließ. Er war nie Konversationen aus dem Weg gegangen - immerhin wollte er selbst die Anerkennung für seine Leistung bekommen -, aber sobald das Gespräch von Fußball und den Spielen weggeführt hatte, hatte er sich zurückgezogen.

Es hatte ihn schon immer verwirrt, worüber die Kinder in seinem Alter sprechen konnten, wenn sie nicht über Fußball sprachen. Sie redeten über fixe und vollkommen wahnwitzige Ideen, Pläne für Baumhäuser und Urlaub am Strand. Fernsehen, Familien, Freunde und, das schlimmste, die Schule.

Yugyeom hatte ihn nach dem Training auf dem Weg zum Bus abgepasst. Später war er sich sicher, dass er ihm aufgelauert hatte, doch in diesem Moment dachte er sich nichts dabei, ließ sich bewundern und fragte ihn, wie lange er bereits Fußball spielte, er antwortete und dann war es still zwischen ihnen. Sie stiegen in den selben Bus, Yugyeom setzte sich zu ihm und brauchte zwei Stationen, um den Mut aufzubringen, die Stille wieder zu durchbrechen.

„Auf welche Schule gehst du eigentlich?", fragte er beiläufig und vergrub seine Hand in dem grünen Stoff seiner Sporttasche.

„Ich geh auf gar keine Schule", antwortete er, ein wenig irritiert darüber, dass jemand den ersten Schritt auf ihn zumachte. Natürlich hatte er gewusst, dass andere Kinder in seinem Alter auf eine Schule gingen, aber er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was daran so außergewöhnlich war, dass er auf keine ging. Für ihn war es normal. Er kannte es nicht anders.
Aber Yugyeom kannte es offensichtlich nicht.

„Krass. Kriegst du keinen Ärger, dass du schwänzt?", fragte er mit geweiteten Augen und gesenkter Stimme, als hätte er ihm gerade offenbart im Supermarkt immer einen Tüte Fruchtgummis mitgehen zu lassen, wenn er mit seiner Mutter einkaufen war.

End of Spring  ⇢ TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt