XII

317 42 81
                                    

Beim Zocken vergeht die Zeit schneller als sonst.
Er hat viel gelesen, aber nicht über dieses Phänomen, aber je weiter die Zeiger der Uhr voranschreiten, desto weniger kümmern ihn die Gewissensbisse in seinem Nacken.

Sie spielen Runde für Runde, wechseln die Bahn, wechseln die Charaktere, wechseln die Batterien der Fernbedienungen und unterhalten sich so oberflächlich, wie er es nie geglaubt hatte eines Tages zu tun.

Erstaunlicherweise fällt es ihm nicht sonderlich schwer. In jeder Runde fühlt er mehr den eigentlichen Hintergrund dieses Spiels, jede noch so kleine Bewegung, die sein Wagen macht, wenn er ihn nach rechts oder links lenkt, Taehyungs Knie an seinem, da sie beide hoch konzentriert und breitbeinig halb auf dem Polster der Couch und ihre Blicke an Taehyungs Fernseher hängen. Er ist so fasziniert, dass er keine Zeit hat über seine Gedanken nachzudenken, sie in hübsche Worte zu verpacken und Taehyung auf einem goldenen Tablett zu präsentieren.

Ebenso erstaunlich ist es, dass ihm diese Tatsache kein Stück Unbehagen bereitet.
Eher im Gegenteil.

Es ist ihm egal. Er kann es zwar nicht in Worte fassen, aber je länger er sich diesen bewegten Bildern und seinem virtuellen Ich hingibt, desto weniger kümmert es ihn, was Taehyung über ihn denkt, warum Taehyung überhaupt etwas über ihn denkt.

Ein paar Jahre später wird er auf diese Situation zurückblicken mit Tränen in den Augen und sich fragen, ob ihm schon einmal etwas so egal gewesen ist, wie Taehyungs Meinung oder überhaupt irgendeine Meinung. Nur um zu dem Entschluss zu kommen, dass ihm bis zu dieser Sekunde an noch nie etwas egal gewesen ist, was ihn selbst betroffen hat.

Er will perfekt sein.
Und er würde alles dafür tun, doch irgendetwas macht die Regenbogenstrecke mit ihm, dass er alle anderen Aspekte seiner persönlichen Perfektion fallen lässt und redet. Redet, wie ein ganz normaler Teenager. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt vermutlich nur unbewusst Taehyungs Art auf sich projizierte, doch selbst wenn, erleichterte es seine Denkvorgänge massiv.

„Du lernst schnell", grinst Taehyung, als er ihn zum dritten Mal in Folge geschlagen hat und drückt auf Pause um sich zurück in den roten Stoff der Couch sinken zu lassen. „Und du bist gar nicht so komisch, wie ich am Anfang gedacht hab... also eigentlich wie jeder gedacht hat."

„Warum denken sie, dass ich komisch bin?", fragt er und erwidert das Grinsen. Eigentlich ist ihm die Antwort auf seine Frage egal - er hat es sowieso nicht sonderlich mit zwischenmenschlichen Beziehungen und ist sich dessen durchaus bewusst -, aber er hat das Gefühl, er muss sie trotzdem gestellt haben.

„Nein, eigentlich nicht. Du fällst halt nur niemandem auf. Machst so dein Ding und störst keinen. Baek fand's nur ein bisschen fragwürdig, dass ich mit dir das Projekt machen wollte", erklärt Taehyung und legt seine Arme lässig auf der Lehne ab. „Aber ich lern gern neue Leute kennen. Und... ja."

„Okay", nickt er und lehnt sich ebenfalls zurück in der Erwartung dieses 'Ja' wäre das Ende gewesen. Und für kurze Zeit war es das auch, bis Taehyung sich doch dazu überwindet seinem Ende etwas hinzuzufügen.

„Du hast Recht."
„Hm?"
„Ich bring kaum Leute mit nach Hause. Aber nur weil ich niemandem diese Weltreise zumuten will."
„Und warum hast du sie mir zugemutet?", fragt er, halb belustigt, halb weil er denkt er muss, kaum weil es ihn interessiert.

In Wahrheit weiß er, warum Taehyung seine Regel ausgerechnet bei ihm gebrochen hat; er ist ein Niemand und er wird niemals irgendwem erzählen, dass der Schulprinz eines von vielen Kindern einer Großfamilie ist, die sich kaum das Schulgeld leisten kann. Er hat keine Freunde. Keine, die es interessiert.

„Was muss das muss, oder?", weicht Taehyung geschickt aus und er zuckt nur mit den Schultern, weil es ihm egal ist, dass Taehyung sich für seine Familie schämt.

„Wo ist eure Toilette?"
„Die Treppe runter und dann die zweite Tür links."
„Danke, ich bin gleich wieder da."

Eigentlich muss er nicht. Er will nur für ein paar Minuten einen klaren Kopf bekommen und darüber nachdenken, was hier gerade geschehen ist. Und er erhofft sich einen etwas schärferen Blick auf Taehyungs Zuhause zu erhaschen.

Er weiß nicht weshalb, aber die Tatsache, dass er vorgibt in der Innenstadt zu leben und jede Woche mit einem anderen, überteuerten Markenteil in die Schule kommt, lässt ihn nicht los, so sehr er sich auch einredet, dass es a) nicht seine Angelegenheit ist, b) Taehyung bestimmt nicht will, dass er in seinem Haus herumschnüffelt und es ihn c) nicht einmal interessieren sollte. Er hat wichtigeres zu tun. Er hat besseres zu tun. Für andere Menschen ist dort kein Platz.

Als er die Treppe heruntersteigt, geht er im Kopf die fünf Hauptgründe durch, weshalb die Menschen Ende der Zwanziger so auf die Nationalsozialisten angesprungen sind. Ihm fallen drei ein und als er die letzte Treppenstufe heruntersteigt und kurz stehen bleibt wird ihm schlecht. Er hat Hunger, aber sobald er daran denkt, spürt er, wie ihm die Galle hochkommt.

Schnell hastet er den Gang entlang, muss sich immer wieder an der Wand abstützen und ist froh, dass ihm niemand entgegen kommt. Ohne auf die Türen zu achten, geschweige denn sie zu zählen, hält er an einer an und drückt die Klinke herunter, um einzutreten.

Vor ihm liegt selbstverständlich nicht das gesuchte Badezimmer, allerdings auch nicht - und dafür ist er seinem Instinkt sehr dankbar - ein Kinderzimmer. Im Gegenteil. Es ist vollgestellt mit Regalen, deren Bretter sich unter der Last von unzähligen Büchern und Ordnern biegen. Ein Schreibtisch steht unter dem Fenster und über den Boden sind so viele Seiten an Papier und kleine Zettelchen verteilt, dass es aussieht, als wäre ein Sturm durch das Zimmer gefegt. Fasziniert tritt er ein und schiebt die Tür hinter sich zu, dass zwar noch ein dünner Spalt Licht auf das Parkett fällt, die Stimmen vom Erdgeschoss her allerdings gedämpft werden.

Arbeitszimmer, schießt ihm durch den Kopf. Die Stimme der Vernunft, die ihm verzweifelt versucht etwas von Privatsphäre zu erzählen, versagt in ihrem Tun und er bückt sich um einen der Zettel aufzuheben.

Es ist ein Brief.

Später wird er nicht mehr wissen, warum er ihn aufgehoben hat. Er wird sich nur noch daran erinnern den Stempel der Polizei gesehen zu haben und dass ihm schwarz vor Augen geworden ist.

Vermutlich spürt er noch den Schmerz in seinem Hinterkopf, der zum ersten Mal in seinem Leben lauter ist, als seine Gedanken.









Wenn ich ein Tier wär, wäre ich eine Katze... den ganzen Tag schlafen, andere herumkommandieren, mich übers Essen beschweren und trotzdem später gekrault werden bis ich entscheide wann es genug ist...

Und ich hab das jetzt schon öfters bei anderen Leudis gesehen, aber was denkt ihr macht eine Story von mir aus... so vom Thema oder der Art zu Schreiben her? Würde mich mal interessieren xD

PS.: Sitze jetzt im 2. Lockdown, was wohl heißt, dass ihr wieder öfter von mir hören werdet...

End of Spring  ⇢ TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt