„Ist das ein Hase?"
„Was?"Als hätte er ihn aus einer anderen Dimension gerissen, schießt Taehyungs Kopf hoch, während ihm im selben Moment die Hitze in den Kopf steigt.
„Willst du meine Interpretation dazu haben?", grinst er, überspielt seine Verlegenheit beeindruckend gut und lehnt sich vor, damit er seine Skizze ebenfalls betrachten kann.
Er zieht nur eine Augenbraue hoch. Eigentlich hatte er schlimmeres erwartet und dafür ist der Hase wirklich niedlich geworden, doch trotzdem irritiert ihn Taehyungs fehlende Ernsthaftigkeit bei dieser Aufgabe. Ist ihm nicht klar, dass das für die Schule ist?
„Okay."
„Also der Kreis soll den Mond darstellen - ich mach das später noch schön -, weil du manchmal irgendwie weggetreten wirkst. Nicht böse gemeint. Nur so als wärst du gar nicht in diesem Moment, sondern ungefähr 50.000 Kilometer...
„385.000 Kilometer", berichtigt er ihn im Stillen.
„... entfernt. Gedanklich... weißt du, was ich meine?"Er dreht den Kopf in seine Richtung und ihm fällt auf, dass Taehyung ein Muttermal an der Nase hat.
Langsam und ohne eine Miene zu verziehen schüttelt er den Kopf, nach wie vor irritiert, was der Mond mit ihm zu tun haben soll. Er war ein Mensch, ein Junge. Kein Himmelskörper.„Und was heißt der Hase?"
„Lächle mal."
„Was?"
„Lächle einfach..."Ein wenig gequält verzieht er das Gesicht zu einem Lächeln. Es tut ihm weh und Taehyung offensichtlich auch.
„Nein, lächle richtig. So wie du gelächelt hast, als wir mit dem Fahrrad gefahren sind", fordert Taehyung ihn auf und er versucht es ein weiteres Mal, doch auch dieses Mal scheint es wohl nicht richtig zu sein, denn Taehyung schüttelt nur den Kopf und lehnt sich zurück in seine Ecke.
„Ich zeig's dir später."
„Wie 'später'?"
„Später halt. Du wirst schon sehen", zuckt Taehyung mit den Schultern und nimmt ihm seine Skizze aus der Hand um beide Blätter neben sich auf den Boden zu legen. „Ich hab Mario Cart nur auf der Wii, aber das ist sowieso viel besser. Du weißt doch, wie es geht, oder?"Einen Moment überlegt er, zu lügen, entscheidet sich dann allerdings um und schüttelt den Kopf.
„Ist eigentlich sehr selbsterklärend. Du fährst drei Runden, der erste der durchs Ziel kommt, hat gewonnen. Ich bin Yoshi - das ist der Grüne."
Taehyung drückt ihm eine Fernbedienung in die Hand und lässt sich zurück in das Polster fallen.
„Du könntest Bowser nehmen. Passt irgendwie zu dir."
„Warum-..."
„Die Kokosnusspromenade ist einfach. Bei der ersten Runde nimmst du die linke Rolltreppe, dann die rechte, dann wieder die linke. Wenn du einen Panzer oder so hast, drückst du diesen Knopf, lenken tust du wie in nem Auto, Gas geben geht so, bremsen musst du nicht und ganz wichtig..."Die Musik des Spiels dudelt im Hintergrund, als Taehyung verschwörerisch innehält und sich zu ihm lehnt, um Blickkontakt aufzubauen.
„Du bist fett. Wenn du andere anrempeln kannst, dann tu's."
Er schluckt schwer und auf Taehyungs Gesicht breitet sich ein Grinsen aus. „Noch Fragen?"
„Also eigentlich..."
„Perfekt."Er drückt auf Start und alles rast an Bowser vorbei.
Es ist ihm nicht unangenehm zuzugeben nie mit Computerspielen konfrontiert worden zu sein. Er hat genug Studien und Theorien gelesen, dass der durchschnittliche Jugendliche durch Ego-Shooter ihren Destrudo (den Zerstörungstrieb, das Antonym des Libido, was jedem Menschen gegeben ist) ausleben und so einen Ausgleich schaffen, doch das, was sich ihm hier gerade offenbart, ist - er kann es nicht anders sagen - lächerlich.
Sein Viech, das Taehyung für ihn ausgesucht hat, sieht zwar aus, wie jemand, der im echten Leben ein illegales Straßenrennen aufmischen würde, doch er ist viel zu überfordert mit den Farben, Geräuschen und Taehyung neben sich, dass er sein Auto nicht einmal bis zur Rolltreppe zwanzig Meter weiter bekommt, ohne zur Seite geschoben zu werden.
„Komm schon, Jeongguk!", ruft Taehyung und stupst ihn in die Seite. „Es ist wie Auto fahren."
„Nein, ist es nicht. Es ist ein Spiel in dem jeder so tut, als könnte er Auto fahren."
„Das ist doch der Witz an der Sache."Verzweifelt versucht er ein Wendemanöver und schaffte es tatsächlich Bowser aus der Ecke zu steuern und auf die Rolltreppe zu fahren. Dumm nur, dass es die Falsche gewesen war.
„Was bitte ist daran witzig?", flucht er leise vor sich hin und kämpft bitter, um ein Gefühl für seinen virtuellen Wagen zu bekommen.
Von hinten sieht er, wie ihn etwas Grünes überrundet. Taehyung.„Hast du jemals einen Controller in der Hand gehabt?"
„Nein."
„Eine Wii-Fernbedienung?"
„Nein."
„Ein Lenkrad vom Auto?"
„Ich bin vierzehn."
„Hat nichts zu heißen. Ich bin fünfzehn und hab schonmal den Wagen von Pa den ganzen Weg bis zum Bahnhof gebracht", prahlt Taehyung, aber er ist zu konzentriert um sich darüber Gedanken zu machen, geschweige den die Augen zu verdrehen. „Generell irgendwas was mit Computerspielen zu tun hat?"„Nein, zum Teufel, hab ich nicht", ruft er ein wenig zu laut und schafft es endlich die Rolltreppe hoch. Für einen Moment bleibt er stehen und testet aus, wie weit er sich nach links und rechts lehnen muss, sortiert das Gesamtbild der Bahn und gibt erneut Gas. Er ist so fokussiert, dass er nicht einmal bemerkt, dass Taehyung angehalten hat und ihn anstarrt.
„Noch nie? Hast du keinen Computer zu Hause oder..."
„Doch natürlich."
„Aber?"
„Aber was? Mich interessiert sowas halt nicht." Er fährt über eine Bananenschale und wird langsamer.
Taehyung starrt ihn immer noch an.„Was machst du dann in deiner Freizeit?"
Er zuckt mit den Schultern, den Blick auf den Bildschirm geheftet.
„Sport und so... lesen."
„Klingt ja nicht sonderlich spannend."
„Immerhin besser als das hier. Auch wenn... ich langsam verstehe, wie..."Er stockt und biegt sanft um die Kurve, nur um dann wieder Vollgas zu geben und die nächste Runde in Angriff zu nehmen.
„Da! Das mein ich!", ruft Taehyung auf einmal aufgeregt und boxt ihn so heftig in die Seite, dass er vor Schreck die Fernbedienung fallen lässt und die Beine an den Körper zieht.
Bowser wird langsamer.„Was?"
„Dein Lächeln. Du siehst aus, wie ein Hase, wenn du lächelst."Er starrt ihn an, weiß nicht ob entsetzt, fragend oder belustigt. Wie verwirrt muss Taehyung sein, damit ihm solche abwegigen Gedanken kommen?
Er ist ein Mensch, kein Hase.
Ein ganz normaler Mensch. Was war daran so schwer zu verstehen?Die Musik wird leiser. Das Spiel ist vorbei. Er hat verloren. Vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben.
Ich hab so viel vor mit dieser Story...
PS.: Eines Tages werde ich jemanden treffen, der meinen Musikgeschmack teilt... es wird nicht morgen sein und vermutlich auch nicht in zehn Jahren, aber ich werde diesen Menschen treffen... selbst wenn ich Zettel auf der Straße aufhängen muss.
♡
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End of Spring ⇢ Taekook
FanfictionJeon Jeongguk ist ein Wunderkind (wie seine Eltern es ausdrücken würden), ein Freak (wie er es ausdrücken würde) und der faszinierendste Junge der Welt (wie Taehyung es ausdrücken würde). „Das Ende des Frühlings... diese Zeit ist wie der Absprung in...