Blogeintrag
Nachtigall und Lerche
Ist es nicht merkwürdig wie Fern einem Menschen werden können, die einem so Nahe schienen? Und wie Nahe einem völlig Fremden werden? Und das alles nur, weil man nicht weiß wohin mit all seinen Gedanken und Gefühlen. Ich habe ja bereits erzählt, dass ich seit einer Weile in einer WG lebe und das dies einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Ich versuche so gut es geht nicht völlig durchzudrehen. Uni überfordert mich. Nicht etwa, weil ich nicht mit dem Stoff klar komme, sondern weil ich das Gefühl habe nicht gut genug zu sein. Offensichtlich war ich das ja, denn sonst hätte mich mein Freund nicht betrogen. Sonst würde ich zu Hause wohnen und wäre nicht in eine WG abgeschoben worden. Sonst würde ich mich nicht jeden Tag fragen, warum dieses oder jenes ausgerechnet mir passiert. Ich nehme Unzulänglichkeit als Ausrede. Womöglich bin ich auch einfach nicht der Typ für Veränderung. Ich bin der Typ für Konstanten. Nachtigall und Lerche. Ihr Gesang unterscheidet sich wohl nicht maßgeblich voneinander und doch bestehen große Dichter auf eine Unterscheidung. Als würde die Bezeichnung "Singvogel" nicht reichen. So ist es bei mir mit dem Gefühl nicht gut genug zu sein und der reinen Einbildung dessen. Am Ende kommt es aufs Selbe raus. Wie ist es bei euch? Fühlt ihr euch gut? Fühlt ihr euch als beste Version eurer Selbst? Gut genug ist vermutlich eine Frage der eigenen Definition. Der eigenen Ansprüche. Wann ist man gut genug? Gibt es das überhaupt? Und wenn ja, woher weiß man, dass man es erreicht hat. Nur nach dem Gefühl? Ich werde versuchen meine eigene Definition von "Gut" zu finden. Um dann dieses Ziel zu überschreiten und noch viel weiter zu laufen.
Bis dahin, haltet die Ohren steif
eure Lietti
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Diesen Blogeintrag hatte ich vor gut einer Stunde hochgeladen. Es war bereits tiefste Nacht und selbst aus Vincenzo Zimmer konnte ich keine Geräusche mehr vernehmen. Bens Erscheinen hatte mich ein wenig aus dem Konzept gebracht. Und es nahm mich wohl mehr mit, als ich zugab. Gerade als ich den Laptop zuklappen wollte, ertönte das Zeichen einer eingehenden Nachricht auf meinem Blog. Ich bekam ab und an direkte Messages, daher hätte es mich nicht groß wundern sollen. Doch irgendwas ließ mich in der Bewegung inne halten und die Nachricht öffnen. Sie ist von einem User Namens "MontaguesTraum".
M: Sehr dramatisch Ausgedrückt.
Meine Ansicht war wohl für den Einen oder Anderen etwas drastisch.
Ich: Was wäre denn die Welt ohne ein wenig Dramaturgie?
M: ...undramatisch.
Ein Lächeln stahl sich in mein Gesicht. Etwas banal, dennoch die Wahrheit.
Ich: Sag mir doch, wie ich dieses Thema undramatischer gestalten könnte.
M: Ich bin etwas überrascht über diese Ansicht deiner Selbst. Das ist alles.
Ich: Ach ja? Du kennst mich doch gar nicht. Wie sollte es dir dann möglich sein, zu beurteilen ob eine Aussage zu mir passt oder nicht?
M: Ich verfolge deinen Blog schon eine ganze Weile.
Ich: Du bist bei diesem Thema wohl anderer Meinung was?
M:Ja, ich finde nicht, dass man irgendetwas sein muss. Irgendeinem Ideal entsprechen oder gar Perfektion anstreben muss. Man sollte einzig und allein man selbst sein. Authentisch und Wahrhaftig
Ich: Man sollte also nach nichts streben?
M: Doch. Nach Zufriedenheit mit dem was ist und nicht dem ständigen Gedanken an das, was sein könnte. Manchmal ist das, was man sucht, direkt vor der eigenen Nase.
Ich: Nehmen wir an du hast recht. Doch wie sollte man seinen Kopf davon überzeugen.
M: Genau DAS ist die Entscheidende Frage.
Ist das wirklich die Essenz meines Schreibens? Einzig und allein wie ich mich selbst davon überzeuge? Ich wusste nicht, was ich antworten sollte also klappte ich den Laptop zu. Die Hoffnung das ich schlafen könnte war vergebens. Ich dachte an Ben, ich dachte an die Uni und ich dachte an Montague und fragte mich, was sie wohl für ein Mensch war.
"Juliette!" Alles was ich wollte, war ein bisschen Schlaf. Immerhin war es Samstag und ich hatte die halbe Nacht mit Nachdenken verbracht. "Ju!" Verschlafen rieb ich mir übers Gesicht. "Was ist Vincenzo?" Seine Stimme drang gedämpft durch meine Zimmertür. "Ich hab Frühstück gemacht." "Ganz toll Vince und jetzt lass mich schlafen." Meine Tür flog auf und er stand etwas verlegen im Türrahmen. Er kratze sich mit der rechten Hand am Hinterkopf und lächelte. "Für dich hab ich auch was gemacht. Isaac hat mich den ganzen Abend genervt, dass ich besser mit dir umspringen soll. Naja, ich dachte, wenn ich dir einmal Frühstück mache, verzeihst du mir meine Ausfälle." Ich konnte nicht anders, als zu lachen. "Das ist gut, dass sollte ich mir aufschreiben. Wenn man einmal etwas Gutes tut, macht es alle vergangenen und zukünftigen Sticheleien wet." Vincenzo zog die Stirn kraus. "Kommst du jetzt oder nicht?"
Einige Minuten später fand ich mich angezogen und mit warmen Kuschelsocken an den Füßen vor der Badtür wieder. Aus der Küche drang leise Musik zu mir. An sich eine schöne Atmosphäre. Es hatte etwas Beruhigendes. Das war eben Vincenzo, auch wenn er oft sehr flegelhaft erscheint, denkt er doch viel über alles nach. Auch wenn er vielleicht Isaac als Vorwand genommen hatte. Ich drückte die Badtür auf und ging hinüber zum Waschbecken. Gerade als ich den Wasserhahn aufdrehen wollte, bemerkte ich im Spiegel, welcher vor mir an der Wand hing, eine Bewegung in meinem Rücken. Mit einem Ruck wurde der Duschvorhang beiseite gezogen. "Isaac!" Er war ähnlich überrascht über die momentane Situation wie ich. Vincenzo musste meinen Aufschrei gehört haben, denn er tauchte mit erschrockenem Gesicht in der Tür auf. "Ju, Isaac duscht." Ich fokussierte Vincenzo, damit ich ja nicht noch einmal in die Verlegenheit kam, Isaacs nackten Körper anzuschauen. "Ach ja? Er duscht also?" Vince griff neben sich und zog ein Handtuch von der Heizung. Er warf es Isaac zu und sah entschuldigend zwischen uns beiden hin und her. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ins Bad zu einer Szenerie komme, bei der die Tür eigentlich hätte abgeschlossen sein sollen. "Tut mir leid Juliette, ich dachte ich hätte abgeschlossen." "Und du hast mich nicht reinkommen hören?" Noch immer starrte ich Vincenzo an, auch wenn ich eigentlich mit Sac sprach. "Ich will ja nichts sagen aber deine Socken dämpfen deine Schritte ziemlich ab. Außerdem dachte ich echt, ich hatte abgeschlossen." Ich atmete tief durch. "Okay, wärst du dann jetzt so nett, mir das Bad zu überlassen?" Isaac schnappte sich seine Sachen und schlängelte sich, mit dem Handtuch um die Hüfte geschlungen, aus dem Bad. Kurz bevor die Tür hinter den Beiden ins Schloss fiel sah ich, wie Vincenzo ihm einen Klaps auf den Kopf gab. Das ist also ein klassischer Samstagmorgen, wenn man in einer WG wohnt.
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Short Storys
RandomIch sitze an meinem Arbeitsplatz. Die Nähmaschine rattert als ich die langen Bahnen von Stoff über sie hinweg ziehe. Stich für Stich. Naht für Naht. Lage für Lage. Und am Ende... am Ende jedes Kleidungsstückes ist etwas in meinem Kopf entstanden. Ei...