Der Blog (Teil 7)

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„Einatmen, großer Bauch, breite Brust, bis hinauf in die Schlüsselbeine. Und langsam wieder ausatmen. Seien Sie ganz entspannt und hören Sie auf ihre innere Mitte." Zu diesem Zeitpunkt der Yoga-DVD war ich schon längst eingeschlafen. Also Notiz an mich, ‚Andere Sportart suchen'. Denn schlafen ist vermutlich nicht das Ziel dieser Übung.
Für die ersten paar Monate, bin ich zurück zu meinen Eltern gezogen. Wiederwillig zwar, aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich habe versucht Warren zu meiden. Alles ging schnell über die Bühne. Isaac half mir beim Kisten tragen und die Möbel lies ich größtenteils in meinem alten Zimmer. Ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, warum Warren und Sac nicht einfach zusammen wohnten. Naja was soll ich sagen, jetzt tun sie es. Das ganze ist jetzt 9 Monate her. Mittlerweile habe ich eine kleine, erschwingliche Wohnung etwas außerhalb der Stadt gefunden. Weiterer Anfahrtsweg zur Uni, jedoch muss ich diesen Abstrich wohl einfach machen. Das letzte mal, dass ich mit Warren auf irgend eine Weise kommunizierte war, als ich ihm einen Zettel auf denm Küchentisch hinterließ:

Tut mir leid, dass ich nicht mit dir sprechen kann. Ich will einfach nicht, dass einer von uns eine falsche Entscheidung trifft. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird, jedoch hoffe ich, dass du deinen Weg findest. Und vielleicht, eines Tages, sehen wir uns wieder.
-Juliette

Vielleicht bin ich pathetisch aber ich stehe dazu. So ist es nun einmal. Dieser klare Schnitt war wichtig. Ich möchte unter keinen Umständen, dass Warren das mit Elsa aufgibt nur wegen mir. Aber vielleicht ist das auch nur mein Eigensinn. Warren würde vermutlich keine impulsive Entscheidung dahingehend treffen, sondern wohl eher ich. Es ist besser so. Alles ist gut so, wie es jetzt ist. Das ist zu meinem Mantra geworden. Ich wiederhole es immer und immer wieder. Es ist besser so. Alles ist gut. Ich hoffe nur, Elsa ist nicht sauer auf ihn. Er kann ja nichts dafür. Das ist alles ganz allein meine Schuld. Seit ich nicht mehr in der WG wohne, war ich auch nicht mehr in meinem Blog online. Ich hatte Angst davor, denn er hielt mir direkt vor Augen, was ich hatte und was ich kaputt gemacht habe. In erster Linie Freundschaft. Schätze ich. Isaac kam ab und an vorbei und ich versuchte nicht allzu neugierig zu sein. Es war schön, dass wenigstens er mir geblieben ist. Natürlich war es anfangs ein wenig merkwürdig. Damals, als er die letzte Kiste meines Umzugs in meine neue Wohnung gebracht hatte, standen wir uns etwas unbeholfen gegenüber. Er sagte: „Ich finde trotzdem du hättest mit ihm sprechen sollen." Ich nickte. „Irgendwann vielleicht. Sag ihm bitte nicht wo ich wohne. Ich meine, es wird ihn sicher nicht interessieren, aber falls doch..." „Juliette, du bist ihm nicht egal, das weißt du oder?" Ich machte eine Pause, ich wusste, dass diese Sache noch immer zwischen uns stand. „Hör mal Isaac, es...." Er lächelte matt und ich musste wohl recht zerknirscht ausgesehen haben, denn er nahm mich kurz in den Arm und sagte: „Hör auf dir alles zu zerdenken Juliette." und unterbrach mich damit in meinem Reden. „Mir gehts gut. Ich meine, du bist nicht mein Eigentum und warst es nie. Ich musste damit rechnen, dass jemand anderes dein Herz erobern könnte. Dass es ausgerechnet mein Bruder sein würde, war schon sehr...überraschend. Aber, und das meine ich wirklich so, ich bin froh dich zu kennen und dich zu meinen Freunden zu zählen." Ich nickte nur, mein Hals war wie zugeschnürt. Auch jetzt noch, war er so nett zu mir. Warren und er waren so unterschiedlich in ihrem Charakter und doch so gleich.

Heute war wieder einmal so ein Tag, an dem ich absolut nichts auf die Reihe brachte. Das Klingeln meiner Wohnungstür riss mich aus meinem seichten Yoga-Schlaf auf der Isomatte. Ich quälte mich hoch und streckte mich, als ich schlurfend in Richtung Tür wandelte. Ich nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab und hielt ihn mir ans Ohr. „Ja, wer da?" „Ich bins Isaac." „Oh entschuldige, ich hab die Zeit vergessen, bin eingepennt. Komm hoch."  Ich hing den Hörer zurück und band mir meine Haare mit einem Zopfgummi nach oben. Es war Nachmittag . Samstag 13:00 Uhr. Und ich hätte vermutlich bis Abends geschlafen, hätte Sac nicht geklingelt. Und wie auf Stichwort schallte der Ton meiner Türklingel erneut durch die Wohnung. Ich nahm ab. „Ja?" „Ehm Juliette, ich weiß nicht, aber damit ich hoch kommen kann, müsstest du mir die Tür auch öffnen." Ich lief augenblicklich rot an. War ich wirklich so verpeilt. Ich betätigte den Knopf zum entriegeln des Schlosses. Ein Klicken
Aus dem Hörer verriet mir, das Isaac die Tür aufgedrückt hatte. Wenig später stand er vor meiner Wohnungstür und als ich öffnete, lachte er mich an. „Sag nichts okay." Ich rieb mir mit den Händen über das Gesicht. „Tut mir wirklich leid." Isaac zuckte, noch immer breit grinsend mit den Schultern. „Ich hatte nicht vor, etwas zu sagen." Er ging an mir vorrüber in die Küche. Sie war recht klein und der einzige Ort an dem man an einem normal hohen Tisch sitzen konnte. In meinem Schlafzimmer war kein Platz für einen Schreibtisch und mehr Zimmer gibt die Wohnung nicht her. „Ich hab uns was zu Mittag mitgebracht, wie versprochen." Nach und nach packte er die Tüten aus, welche er auf dem Tisch abgestellt hatte. „Sushi, weil wir das schon lange nicht mehr hatten." Ich lachte, „Stimmt, ist schon ganze drei Tage her." Er lächelte und hielt mir meine Stäbchen hin, während er sich auf einem der Stühle nieder ließ. „Als würde es dir etwas ausmachen, tu doch nicht so." Ich seufzte, nahm die Stäbchen und spritzte Sojasoße aus den kleinen fischförmigen Behältern in eine kleine Schüssel. „Guten Hunger." sagte Isaac und wir begannen die kleinen delikaten Röllchen zu vernichten. Und ja, anders als so kann man es nicht bezeichnen. Ich hatte nicht bemerkt wie hungrig ich war. Muss wohl an den exzessiven Yoga-Übungen gelegen haben. Die zehren ganz schön.

Isaac blieb noch eine Weile und wir plauderten ein wenig über dieses und jenes. Nichts besonderes aber doch sehr meditativ. Entspannt. Besser als Yoga. Bevor er ging sagte er: „Es ist still bei uns zu Hause. Schau doch mal wieder in deinem Blog vorbei." Ich wollte gerade fragen, was er damit meinte, da mir diese beiden Aussagen doch sehr unabhängig voneinander schienen, doch da war er schon im Treppenhaus verschwunden. Nur seine sich entfernenden Schritte hallten noch zu mir nach oben.

Ich möchte nicht lügen, ich saß sicher 30 Minuten vor meinem angeschalteten Laptop, ohne eine Taste darauf gedrückt zu haben. Ich wollte nicht in meinen Blog sehen. Oder doch? Ich fühlte mich ein wenig wie ein Zeichentrickcharakter, auf dessen Schulter Teufel und Engel sitzen. Auf der einen Seite, wollte ich nachsehen, zum einen, weil ich es vermisse zu schreiben und meine Gedanken zu teilen, zum anderen, weil mir Isaacs Aussage irgendwie komisch vorkam und sie mich auf irgend eine Weise heraus forderte. Ach was solls, der Teufel hatte gewonnen. Ich meldete mich an und sofort blinkten einige eingegangene Nachrichten auf. Und ohne weiter darüber nachzudenken öffnete ich den Chat mit MontaguesTraum.

„Es gibt immer zweite Chancen, man muss sie nur ergreifen." Das war Warrens letzte Nachricht... oder vielmehr Toms letzte Nachricht. MontaguesTraum hatte nie selbst einen Eintrag hochgeladen. Und trotz dessen, klickte ich auf sein Profil. Und tatsächlich. Ein Eintrag. Vor 3 Monaten, hat Warren einen Blogeintrag hochgeladen:

Ein offener Brief

Ich hab sowas noch nie gemacht, merkt man sicher auch. Aber ich habe mich trotzdem dazu entschlossen meine Gedanken öffentlich zu teilen, auch wenn ich mir dabei wie ein Idiot vorkomme. Mir ist es auch nicht wichtig, dass das hier viele lesen. Einzig und allein die Hoffnung, du würdest es lesen, lässt mich weiter schreiben. Ich möchte nicht mehr schweigen, ich möchte nicht nur der Stille Beobachter sein. Ich habe immer nur zugesehen. Zugesehen, wie du dich durchs Leben gequält hast. Wie du dich von diesem Arsch hast schlecht behandeln lassen. Ich habe zugesehen wie du Tag für Tag an dir selbst gezweifelt hast. Und ich habe zugesehen wie du jemanden geküsst hast, der nicht ich war. Ich liebe meinen Bruder wirklich über alles, doch in diesem Moment habe ich ihn mehr als alles andere gehasst. Ich habe den ungewollten, unbewussten Kampf gegen ihn verloren. Zumindest dachte ich das. Doch woher sollte er es auch wissen. Ich habe nie etwas gesagt. Ich war immer nur der Beobachter. Der jenige der dich mit seiner lauten Musik, herum liegenden Sachen und flegelhaften Freunden genervt hat. Ich war nur der Mitbewohner. Und nicht einmal darin war ich gut. Verzeih mir. Ich hätte dir sagen sollen was ich empfinde. Ich hab doch sonst auch immer die große Schnauze. Nur hierbei versage ich kläglich. Und verzeih mir auch, dass ich dir nicht gesagt habe, wer hinter MontaguesTraum steckt. Ich bereue es sehr, glaub mir. Doch irgendwie habe ich den passenden Moment verpasst und je mehr wir miteinander schrieben, desto unmöglicher schien mir die Vorstellung, dir zu sagen, wer ich bin. Ich hatte das Gefühl, du hattest einen besseren Draht zu „ihm" als zu mir. Doch das zu glauben war falsch. Denn im Grunde war ich einfach mur feige und dafür habe ich die Quittung bekommen. Es ist still wenn du nicht zu Hause bist. Auch wenn du nicht laut warst oder der gleichen, war deine Anwesenheit hier, der Pol. Du, wie die Sonne, um die alle anderen Planeten kreisen. Und ich, wie die Erde, die die Sonne stets umrundet, sich ihr nähert und sie doch nie erreicht. Du hattest recht damit, dass wir Abstand brauchen, alles andere wäre unfair gewesen. Auch gegenüber Elsa. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich genau die gleiche Energie in sie gesteckt habe, wie ich es getan hätte, wenn du nicht gewesen wärst. Sie hat jemand guten verdient. Ich war nicht impulsiv oder unruhig. Doch irgendwie war sie es wohl. Nach einer gewissen Zeit war uns beiden klar, dass das nichts werden würde. Ich war nicht der verwegene Held, der sich im Club um seine Männlichkeit prügelte und sie, war nicht...du. Verzeih mir, dass alles so gekommen ist, verzeih mir und komm wieder zu mir zurück. Und wenn du nur als meine gute Freundin wieder kommst, so ist das sicher viel mehr als ich verdiene. Ich weiß ja nicht einmal ob du das hier überhaupt jemals lesen wirst, doch

Ich werde warten,
-Warren, MontaguesTraum

Ich starrte die dunkeln Lettern an, die mir auf meinem Bildschirm entgegen leuchteten. ‚Was ich empfinde', schrieb er. Nur was empfand er denn. Konnte es wirklich sein, dass wir uns beide so vor der Wahrheit versteckt hatten. Leise und schleichend keimte Hoffnung in mir auf. Er hatte das vor drei Monaten geschrieben. In dieser Zeit kann viel passiert sein. In dieser Zeit kann alles passiert sein. In dieser Zeit kann das, was ich eben gelesen habe, nichtig geworden sein. Und doch wusste ich was ich tun musste.

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