Das Mädchen vom See (Teil 1)

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Die Stadt war mir oft zu überfüllt. Zu laut. Zu blind. Ich war immer auf der Suche nach Orten, die unentdeckt und ruhig waren. Kleine Geheimnisse, versteckt und ungenutzt. So auch heute. Mein Weg führte mich in einen kleinen Park. Er war am Rande der Stadt gelegen und nicht so überlaufen wie jener im Stadtinneren. In der Ferne sah ich, wie dunkle Wolken den Himmel entlang krochen und das Blau zu verschlingen begannen. Eine, wie ich fand, unbeschreibliche Atmosphäre. Ich streifte den Kiesweg entlang. Die einst hellen Steine, durch die Jahreszeiten verfärbt, knirschten unter meinen Schuhen. Am Rand des Weges stand hier und da eine kleine Blume, umwuchert von Unkraut. Es verleihte der Blume noch mehr Schönheit und etwas wildromantisches. Der Weg gabelte sich vor mir. Aus der einen Richtung sah ich ein Pärchen auf mich zu kommen, also wählte ich den anderen Weg. Wie ich ihn so entlang ging, schmälerte er sich, bis er nur noch ein kleiner Trampelpfad, durchsetzt von grünen Grasfetzen war. Angrenzende Büsche und Bäume streckten mir ihre Zweige entgegen, und dann öffnete sich das Wäldchen und gab den Blick auf einen See frei. Das Wasser schimmerte in der sich langsam verdunkelnden Sonne. Das war er. Mein perfekter, kleiner Ort der Stille. Ein Pavillon aus Holz thronte am Ende des Weges und als ich mich in ihm nieder ließ und meine Tasche abstellte, bemerkte ich den kleinen Steg am Ufer des Sees. Ein Junge und ein Mädchen saßen darauf. Er hielt seine Angel in das Wasser und sie beugte sich über den Rand des Stegs und blickte hinunter. Ihre blonden, langen Haare, strahlten wie die Sonne selbst. Vielleicht waren auch sie es, die den See zum funkeln brachten. Sie zeichneten sich perfekt von ihrem fliederfarbenen Kleid ab. Ich zog meinen Zeichenblock aus meiner Tasche und spitzte meinen Bleistift mit einem Messer an. Er sah dadurch so unperfekt kantig aus, und doch trug er eine feine Spitze. Und dann, begann ich sie zu zeichnen. Die beiden sprachen nicht miteinander, sie saßen einfach da, in der beruhigenden, friedlichen Stille des vor ihnen liegenden Sees. So saß ich eine Weile. Ich sah auf, als ich den zarten Schwung ihrer Haare noch einmal genauer betrachten wollte, doch sie war verschwunden. Nur der Junge blickte noch immer hinaus aufs Wasser. „Zeichnest du etwa uns?" Vor Schreck hätte ich beinahe meine Zeichensachen fallen lassen und als ich mich umdrehte um nach der fremden Stimme zu schauen, verschlug es mir fast den Atem. Es war das Mädchen vom See. Ihr Gesicht war fein, puppenartig filigran und ihre perfekt geschwungenen, rosigen Lippen lächelten mir warm entgegen. Sie stand hinter dem Pavillon und musste wohl über meine Schulter geblickt haben. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, ich wusste nur nicht woher. Ich schätze sie auf mein Alter, vielleicht auch etwas jünger. Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr und deutete auf den, noch immer auf meinen Beinen ruhenden, Zeichenblock. Ich lief augenblicklich rot an und verdeckte ihn hastig mit den Händen. „Was? Nein...ich meine doch. Es ist noch nicht fertig." Sie begann zu kichern und die Hitze in meinen Wangen verstärkte sich nur noch. „Mein Bruder malt auch...", sagte sie, während sie um den Pavillon herum zu dessen Eingang lief. „...Und er zeigt es mir auch in den seltensten Fällen. Ich finde das sehr schade weißt du, denn er hat großes Talent." Ihr dunkelblauen Augen leuchteten als sie vor mir stand und mir ihre Hand entgegen streckte. „Zumindest finde ich das."
Zögernd schüttelte ich sie. „Wie heißt du?", fragte sie unverwandt und setzte sich mir gegenüber auf die Bank. Mir kam diese Situation irgendwie Suspekt vor. Sie redete mit mir, wie mit einem Fremden doch gleichzeitig fühlte es sich so an, als würden wir uns lange kennen. „Ich heiße Arthur." Ihre Augen wurden groß. „Wie König Arthur? Der das Schwert Excalibur aus dem Stein zog?" Ich musste ein wenig über diesen Vergleich lachen. „Ja, ich werde so geschrieben, jedoch bin ich wohl weniger heroische. Ich trage statt dem Schwert eben einen Bleistift." „Ach,...", sagte sie und ließ ihre Beine baumeln. „....etwas mit den Händen zu erschaffen, sei es nun ein Bild oder ein Königreich, ist allemal in jeder Hinsicht heroisch." Sie faszinierte mich. Ich wusste nicht was es war, aber irgendwie zog mich etwas in ihren Bann. Ich legte meinen Block beiseite, als es leise begann auf dem Dach des Pavillons zu tröpfeln. Auch das Mädchen blickte hinaus und beobachtete, wie die kleinen Tropfen den stillen See zum beben brachten. Der Junge stand auf, packte seine Sachen und eilte davon und von Sekunde zu Sekunde wurde der Regen stärker. „Willst du nicht mit ihm gehen?" Fragte ich in diesem Moment, als der Junge über den kleinen Kiesweg verschwand. Verdutzt sah sie mich an. „Warum sollte ich das?" Sie legte fragend den Kopf schief. „Ist das nicht dein Bruder?" Sie kicherte, als war das etwas, was ganz offensichtlich war. „Aber nein, ich kenne ihn nicht, ich habe nur zugesehen, wie er angelte, das war sehr interessant weißt du und irgendwie meditativ. Normalerweise kommen selten Menschen hier her. Ich bin meistens allein, es stört mich keineswegs aber irgendwie habe ich das Gefühl, die Menschen haben ihren Blick für die Natur, für das Schöne und Friedliche darin verloren." Ich sah sie an, unfähig meinen Blick von ihr zu wenden. Sie musste mein Starren bemerkt haben, denn sie lief rot an und sagte, „Verzeih, ich wollte nicht so düster reden." Ich schüttelte den Kopf. „Wie heißt du nochmal?" Sie stand auf und drehte sich einmal um die eigene Achse. Ihr Kleid wirbelte herum und umschwang federleicht ihre Beine. Sie kam vor mir zum stehen, beugte sich zu mir herunter und sagte: „Denk dir einen Namen aus." Ich runzelte die Stirn. „Was? Nein das ist doch albern, sag ihn mir einfach." Sie seufzte. „Was sind denn schon Namen, ich möchte, dass du mich so nennst, wie du willst. Welchen Namen siehst du in mir. Egal welcher es ist, ich bin sicher, er wird mir gefallen." Und ohne weiter darüber nachzudenken sagte ich: „Violett." Und als ich ihn ausgesprochen hatte kam er mir so banal uns uneinfallsreich vor. Doch die Augen des Mädchens begannen zu strahlen und sie blickte mich an, ohne ein Fünkchen Missmut in ihren Augen. „Violett. Das ist perfekt."
Und so lernte ich sie kennen, das Mädchen vom See. Das Mädchen, dass in meiner Welt Violett hieß. Das Mädchen, dass mich verändern sollte.

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