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Jisung PoV

Ich hatte Angst vor Minho's Antwort. Vermutlich noch mehr Angst, als ich täglich in der Schule hatte, da ich wusste, dass meine Angst dort eigentlich unbegründet war.

"Ich denke, dass du ein toller Mensch bist. Du warst sofort für mich da, obwohl du mich nicht mal kanntest. Wir kennen uns seit gestern und du weißt, wie du mich zum Lachen bringen kannst. Für mich bist du etwas ganz Besonderes."

"Bring mich nicht zum Heulen, Lee Minho.", meinte ich und war wirklich kurz davor zu weinen. Die ganze letzten Jahre hatte ich nicht geweint. Egal wie viel ich durchmachte, ich hatte nie geweint. Es ging einfach nicht, selbst wenn ich wollte.

"Hatte ich nicht vor, Ji."

Wie gerne hätte ich ihm jetzt auch gesagt, was ihn für mich so besonders machte, doch ich brachte die richtigen Worte einfach nicht über die Lippen.
"Du bist auch etwas Besonderes, MinMin." war das einzige was ich sagen konnte, auch wenn ich so viel mehr sagen wollte. Ich wollte ihm sagen, was in meinem Kopf vorging, wenn ich alleine war. Er sollte wissen, wie es mir ging. Was die Stimme sagte, die mich jeden Tag fertig machte und die schwieg, wenn er so bei mir war wie in diesem Moment. Doch ich konnte es ihm nicht sagen. Noch nicht.

"Bin ich das?", fragte er.

"Ja, bist du. Zumindest für mich. Du weißt gar nicht, wie sehr du mir hilfst und ich finde nicht die richtigen Worte, um es zu sagen."

Ich sah ihm tief in seine braunen Augen und er sah in meine. Seine Arme hatte er immer noch um mich gelegt und wir standen ziemlich nah bei einander. Wieder gab er mir dieses wohlige Gefühl von Sicherheit und Halt, das ich nur bei ihm fühlte. Als wäre ich Zuhause, solange ich nur bei ihm war.

Es war verrückt und fühlte sich vollkommen unrealistisch an, jemanden so zu sehen, den man erst so kurz kannte, und ich hätte jeden, der mir erklärte, genau das zu fühlen, für durchgedreht erklärt, doch nun stand ich hier und spürte es am eigenen Leib.

"Lee Minho! Wenn du nicht sofort deine Mistviecher aus meinem Zimmer holst, dann reiße ich einer nach dem anderen bei lebendigem Leib das Fell runter!", rief Minho's Schwester und kam aufgebracht ins Wohnzimmer, wo sie uns erblickte. Wir sahen beide zu ihr und Minho sah genervt aus.

"Knutschen könnt ihr später noch, aber jetzt hol deine Katzen daraus, bevor sie alles auseinander nehmen!"

"Wag es nicht, meinen Babys auch nur ein Haar zu krümmen!", meinte Minho und nahm eine Hand von mir, um damit eine drohende Geste zu machen. Ich wollte gerade einfach nur verschwinden. Alle Sicherheit, die von ihm ausgegangen war, hatte sich in diesem Moment in Luft aufgelöst und die Stimmen klangen in meinen Ohren ungewöhnlich laut. Viel zu laut.

"Dann hol sie daraus, bevor ich es mache."

"Ist ja gut! Aber nächstes Mal lässt du einfach deine Tür zu."

"Erzieh deine Katzen besser!"

"Was hat die Erziehung meiner Katzen damit zu tun, dass du nicht weißt, wie man Türen schließt?!"

"MinMin, lass uns einfach deine Katzen holen, okay? Ich will nicht, dass du wütend bist und laut wirst...", sagte ich leise, aber er hörte es zum Glück trotzdem.

"Der ist echt süß, Minho. Wehe du behältst ihn nicht..."

"Ist gut, Ji. Komm mit. Du wolltest doch Katzen streicheln gehen."

Minho ging vor zum Zimmer seiner Schwester und wir folgten ihm.

"Sooo, wo sind meine Kleinen?~"

Kaum betrat Minho das Zimmer, sahen ihn auch schon seine drei Katzen an.

Als erstes nahm er die Katze mit dem dunkelsten Fell, von der ich meinte, dass sie Dori hieß, hoch und gab sie mir.

"Gut aufpassen, ja? Sie geht zwar nicht kaputt, wenn du sie fallen lässt, aber trotzdem.", sagte er mit einem schönen und ehrlichen Lächeln, das sowohl Dori als auch mir galt. Dann nahm er die anderen beiden hoch und wir gingen zu ihm ins Zimmer.

"Warum hat deine Schwester sie nicht einfach selbst rausgetragen? Eine nach der anderen sollte eigentlich kein Problem sein.", fragte ich und ließ Dori vorsichtig runter. Minho tat das gleiche mit Soonie und Doongie und wir setzten uns gemeinsam auf sein Bett.

"Sie traut sich nicht, die Katzen hochzuheben, weil Soonie sie dabei am Anfang immer gekratzt hat. Deshalb mag sie die drei auch nicht besonders gerne und will sie nicht bei sich haben."

"Sagt sie deshalb auch 'deine Katzen'?"

"Nein, das sagt sie, weil es meine sind. Ich bezahle alles für sie. Kann ich aber auch nur bezahlen, weil ich einen kleinen Job im Tanzstudio als Tanzlehrer hab."

"Tanzen ist dir echt wichtig, oder?"

"Ja, das ist es. Es ist unglaublich. Als wären da für einen Moment nur noch du und die Musik um dich herum. Du denkst an nichts anderes als an die Musik und darauf, wie du dich bewegen musst. Um ehrlich zu sein gefällt mir deshalb mein Job auch ziemlich gut. Ich kann andere für meine Welt begeistern."

Minho's Augen strahlten, als er mir davon erzählte, wie gerne er tanzen mochte. Was es ihm bedeutete und warum er es so liebte.

"Du musst mich auch mal mitnehmen. Ich hab zwar noch nie versucht zu tanzen, aber ich würde dir gerne dabei zusehen. Also falls es dir nichts ausmacht?"

"Ich hätte dich gerne mal dabei. Nur wusste ich nicht, ob dich Musik überhaupt interessiert. Vom Tanzen mal ganz abgesehen."

"Ich liebe Musik. Ich würde total gerne mal wieder versuchen zu rappen oder zu singen, aber ich will nicht, dass es zu Hause jemand hört, deshalb mache ich das nur, wenn ich alleine bin. Ich meine, ich hab schon eine Melodie und Lyrics, aber ich bin noch nie dazu gekommen zu schauen, wie es klingt, weil immer jemand aus meiner Familie da war."

"Vielleicht kann Chan dir da aushelfen. Er rappt auch und gibt dir bestimmt gerne ein paar Tipps. Wenn du ihn fragst, nimmt er dich bestimmt mal mit ins Studio."

Siehst du. Minho denkt auch du brauchst Hil- Nein, du hältst die Klappe. Minho will mir nur die Möglichkeit geben, mich zu verbessern. Er mag mich und denkt nicht so über mich.

"Wirklich?"

Minho nickte. "Das ist seine ganz große Leidenschaft und er teilt sie gerne mit anderen. Bestimmt auch mit dir."

Der restliche Abend verging wie im Flug. Beim Abendessen traf ich noch auf Minho's Eltern, die dank seiner Schwester auch der festen Überzeugung waren, dass wir beide zusammen waren, weshalb wir uns dazu entschlossen, das Missverständnis richtig zu stellen. Auch wenn seine Eltern ganz eindeutig nichts gegen eine Beziehung zwischen uns beiden hätten.

Nun lag ich in meinem Bett und das altbekannte Gefühl von Einsamkeit holte mich langsam wieder ein, als ich an meinen Tag mit Minho dachte. Ich wünschte mir so sehr, dass es immer sein könnte. Mit den Gedanken bei Minho schloss ich meine Augen und versuchte zu schlafen, was mir heute schneller gelang als sonst. Wofür ich Minho stumm dankte.

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Can't You See Me? || Minsung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt