Prolog

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Es war Punkt 14 Uhr Nachmittags. Es war eigentlich ein ganz normaler Tag wie jeder andere, doch in zwei Stunden hatte er einen Zahnarzttermin und alleine der Gedanke daran machte ihm so große Sorgen, dass ihm schlecht wurde.

Der junge Mann wankte ins Bad, sank dort vor der Toilette zusammen und übergab sich geräuschvoll.

Es brauchte einige Minuten, bis er sich wieder hoch stemmen konnte, zum Waschbecken rüber lief. Es waren nur ein paar Schritte, aber sie kamen ihm wie eine Ewigkeit vor.

Das Gesicht, dass ihm im Spiegel gegenüber stand war kein fremdes, doch es schien ihm immer noch unvertraut. Es war leichenblass, kein Wunder, immerhin hatte er sich heute schon dreimal übergeben und war zum letzten Mal vor über zwei Wochen draußen gewesen, doch trotzdem erschreckte ihn der Anblick jedes Mal aufs Neue.

Leise machte er den Wasserhahn an, starrte seinem Spiegelbild in die grünen Augen, um die fettigen, strähnigen und viel zu langen Haare nicht sehen zu müssen. Sein letzter Friseurbesuch war über ein Jahr her.

Der junge Mann fasste einen Entschluss, während er sich den Mund auswusch. Er würde den Termin verlegen, immerhin war er krank. Da konnte niemand ihm Vorwürfe machen, obwohl er den Termin schon zwei Mal verschoben hatte.

Das Telefon war in der Küche, die Nummer kannte er schon auswendig.

Fest entschlossen blickte er sich in die leicht schräg stehenden Augen, betrachtete seine Adlernase, die schmalen Lippen und das vorstehende Kinn.

Seine Lippen waren brüchig und rissig, weil er ständig über sie leckte, die Haut spannte über seinen Wangenknochen.

Er hatte heute noch nichts gegessen, weil er es nicht geschafft hatte, einzukaufen und alle seine Vorräte leer waren. Der Brünette hatte schon die letzten Tagen nur wenig und schlecht gegessen, um das unweigerliche noch etwas heraus zu zögern, aber es ging nicht mehr.

Selbst wenn er den Termin absagte, brauchte er eine Lösung fürs Einkaufen.

Wieder wurde ihm schlecht, doch er Zwang sich zur Ruhe, leckte sich panisch über die Lippen. Sein Spiegelbild schien ihn auszulachen, er sah aus wie ein Chamäleon.

Mit aller Kraft konzentrierte er sich, riss sich zusammen. Als aller erstes musste er den Termin absagen, dann würde er seine Mutter anrufen, sie sollte für ihn einkaufen gehen. Sie würde ihn runter machen und sich vermutlich weigern... Aber er musste es zumindest probieren. Er konnte nicht raus gehen.

Der Plan war eigentlich gut, doch er kam nicht einmal aus dem Badezimmer.

Hatte er den Wasserhahn wirklich ausgemacht?

Sofort ging der junge Mann wieder zurück ins Bad. Das Wasser lief nicht mehr.

"Er ist aus, Manuel." bestätigte er sich selbst leise, nickte und drehte sich wieder um, wollte das Bad erneut verlassen.

Ein Platschen hielt ihn auf, ließ ihn wieder herum fahren.

War der Wasserhahn etwa kaputt? Manuel überprüfte ihn zweimal, konnte aber nichts feststellen. Ob es dann die Wanne war? Nein, da war auch alles trocken. Dann musste es der Hahn in der Küche sein.

Der junge Mann sprang auf, rannte rüber in die Küche, aber auch hier war nichts. Hatte er den Hahn in der Badewanne wieder zugedreht?

Manuel rannte zurück ins Bad und lachte erleichtert auf. Er hatte ihn gar nicht aufgedreht.

"Das ist doch albern." sagte der Brünette zu seinem Spiegelbild und schüttelte den Kopf. "Jetzt reiß dich endlich zusammen."

Er ging zurück in die Küche, überprüfte dort noch einmal den Wasserhahn, bevor er den Termin telefonisch absagte und seine Mutter anrief. Sie ging nicht dran... Also musste er einkaufen gehen.

Nein, er konnte auch den Liefedienst anrufen, so dachte er zumindest, bis er wieder an die rutschige Treppe draußen dachte. Er konnte das Risiko nicht eingehen, musste selbst raus.

Manuel atmete tief ein und aus, nickte grimmig. "Okay, Manuel. Du kannst das."

Doch bevor er ging musste er sich erst um die Wohnung kümmern. Als aller erstes kontrollierte er den Herd und das Bügeleisen, obwohl er beides schon seit längerem nicht mehr benutzt hatte. Sie waren aus.

Dann schloss und verriegelte er alle Fenster, kontrollierte noch einmal die Wasserhähne. Hatte er den Wasserkocher ausgemacht?

Ja, der Stecker war sogar aus der Steckdose gezogen. Das war eine gute Idee.

Manuel lief schnell durch das Haus, zog alle Stecker aus den Steckdosen, machte alle Lichter aus. Hatte er auch wirklich alle Fenster zu gemacht?

Plötzlich war er sich gar nicht mehr sicher. Besser er überprüfte es noch einmal. Anschließend kontrollierte er es noch ein zweites Mal, besah sich noch einmal alle Steckdosen.

Vielleicht war es das beste, er machte den Strom ganz aus. Gedacht, getan.

Was nun? In seinem Kopf ging er noch einmal alles durch. Das war es gewesen, oder? Noch ein letztes Mal überprüfte er alles, dann verließ er die Tür, schloss hinter sich ab.

Hatte er auch wirklich abgeschlossen? Ja, hatte er. Doch als er die Treppe unten war, war er sich nicht mehr sicher. Schnell lief er wieder nach oben, schloss auf und wieder ab, ging erneut nach unten und sah auf die Uhr.

Es war viertel nach drei. Letztes Mal hatte er eine Viertelstunde länger gebraucht, um das Haus zu verlassen. Doch das war kein Erfolg. Irgendwas hatte er vergessen, soviel wusste er.

"Du wirst noch verrückt Manuel...."

Der Kühlschrank! Er hatte den Kühlschrank nicht überprüft!

Der Brünette rannte wieder nach oben und wenn er schon so vergesslich war, dass er den Kühlschrank vergaß, dann musste er alles noch einmal überprüfen.

Als er endlich vor der Haustür stand, war es kurz nach vier und er war klatschnass geschwitzt.

Wie kam er nun zum Supermarkt?

Sein Auto hatte er schon lange verkauft, das war zu gefährlich. Er würde den Bus nehmen... Nein, er konnte den Bus nicht nehmen.

Am Ende würde er den falschen Bus nehmen oder etwas im Bus liegen lassen.

Sein Herz raste, er hyperventilierte fast und wollte eigentlich zurück in das Haus, in seine Wohnung stürmen, als ihn eine warme Stimme aus den Gedanken riss.

"Hey, na? Ist bei dir alles in Ordnung? Du bist ja ganz blass. Wohnst du hier? Komm, ich bring dich hoch..."

Herzlich Willkommen an alle, die sich hier her verirrt haben.
Die meisten werden mich wohl kennen, alle anderen werden mich im Laufe der Geschichte mit Sicherheit kennen lernen.

In dieser Geschichte wird es (auch) um Kontrollzwang, beziehungsweise Zwangsstörungen gehen. Da ich selbst keine habe, beziehe ich mich auf Informationen aus dem Internet. Wenn ich diesbezüglich irgendwo einen Fehler mache, sprecht mich bitte darauf an, damit ich hier so korrekt wie möglich bleiben kann.

Ich versuche jeden Tag ein Kapitel hochzuladen, aber versprechen kann ich nichts.

CONTROL ~ Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt