[Luna] Gefangen

6.3K 273 80
                                    

Ein kleiner Käfer ging den, für seine vielen kurzen Beinchen, langen Weg über den Asphalt des Gehwegs. Als er die angrenzende Wiese erreicht hatte, verschwand er zwischen den Grashalmen. Ich seufzte.
„Luna“, hörte ich die Stimme meiner Mutter und drehte mich zu ihr um.
„Ja?“, fragte ich.

„Dein Kragen sitzt nicht richtig, Schatz“, mahnte sie, dann kniete sie leicht, so dass wir auf Augenhöhe waren und zupfte den Kragen meiner Bluse zurecht.

Die Haut in ihrem Gesicht war rötlich, als hätte sie lange und viel geweint. Auch waren ihre Augen feucht, doch sie schien wasserfestes Make-up zu tragen, denn es war nichts verschmiert. Das war ungewöhnlich. Mom nutzte kaum Make-up und wenn, dann kümmerte es sie nicht, ob es wasserfest war.
Die langen Haare hatte sie zurückgesteckt. Auf der linken Seite hatte sie zur Zierde eine kleine Klammer mit schwarzen Federn. Rabenfedern. Wie die, die Dad manchmal verlor, wenn er sich in die Lüfte hob. Der Rest ihres Kostüms war ebenfalls schwarz und gediegen.
„So, jetzt siehst du wieder wunderschön aus“, sagte Mum und lächelte ein schwaches Lächeln, eines, das ihr sichtlich schwer fiel.
Ich sah stirnrunzelnd an mir herab. Auch ich trug reines Schwarz.
„Können wir dann?“
Ich drehte mich um. Im Türrahmen unseres Zimmers standen Mariella und Seth, beide ebenfalls in Schwarz gehüllt. Mum nahm meine Hand, so wie sie es früher immer getan hatte, und ging mit mir nach unten und dann nach draußen zum Auto.

Wir fuhren nicht sehr lang. Bereits nach einer Viertelstunde stiegen wir wieder aus. Vor uns lag der Friedhof von La Push. Schon kurz nachdem ich mit meiner Familie die Anlage betreten hatte, sah ich in der Ferne Menschen stehen. Die meisten hatten den Kopf gesenkt und die Hände vor sich ausgestreckt überkreuzt. Unter ihnen befanden sich unter anderem auch Madeleine, Harry, Leah und Billy. Letztere umarmte mich, als wir bei ihnen ankamen, sagte jedoch sonst nichts weiter. Sie schien mit den Tränen zu kämpfen. Wahrscheinlich hatte sie Angst loszuweinen, wenn sie den Mund aufmachte. Ich sah über ihre Schulter hinweg und erblickte Wills Grab. War das hier eine Gedenkfeier ihm zu Ehren? Aber das hatten wir doch noch nie gemacht?
„Mein Beileid“, sagte ich zu Billy, als sie unsere Umarmung löste. Sie sah kurz etwas verwirrt aus, wurde dann aber von Leah sanft weggezogen.
Ich stellte mich wieder neben meine Mutter und sah mich weiter um. Abgesehen von ein paar Quileuten waren hier kaum unbekannte Gesichter. Trotzdem wusste ich noch immer nicht, was wir hier eigentlich taten.
Edward kam zu uns herüber und sah Mum traurig an. „Es sind jetzt alle da“, sagte er. Mum nahm seine Worte mit einem Nicken zur Kenntnis. Aber das stimmte doch gar nicht?
Edward ging herüber zu Bella und Renesmee.
Ich sah verwirrt zu meiner Mutter. „Mum? Wo ist Dad?“
Sie sah mich nicht an, blickte stur geradeaus, ihre Unterlippe begann zu zittern, dann sagte sie: „Luna!“ Es war ein etwas empörtes Flüstern. Ich verstand nicht warum.

„A-aber Mum?“, versuchte ich es noch einmal, da setzte sie sich in Bewegung und ließ mich stehen. „Mum?“, fragte ich verwirrt. Dann spürte ich, wie jemand mich in den Arm nahm. An die Stelle, an der sie zuvor gestanden hatte, war nun Nayeli getreten.
„Eli, was ist hier los?“, fragte ich und musste nun selbst mit den Tränen kämpfen.
„Sh, sh“, versuchte sie mich zu beruhigen, beantwortete meine Frage jedoch nicht.
Als ich dann wieder zu Mum sah, stockte mir der Atem. Neben ihr stand ein Sarg aus dunklem Holz. Wie konnte mir denn bisher ein kompletter Sarg entgehen? Und warum trat Mum als Erste vor? Das würde ja bedeuten...
Nein.
Ich schlug weinend die Hände vor dem Mund zusammen und spürte die heißen, brennenden Tränen, die aus meinen Augen hervortraten und über meine Haut liefen. Nayeli legte die Arme fester um mich.
„Schon gut, Luna. Es ist okay“, flüsterte sie. „Es ist okay.“
Ich wollte irgendetwas antworten, doch dann ergriff Mum vorn das Wort.

Die Twilight Saga: Equinox (Fanfiction // #Wattys2015)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt