Romeo und Julia

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Dafür, dass ich gerade in Forks auf einem Parkplatz stand, schien die Morgensonne erstaunlich kräftig. Ob das nun ein gutes Omen für Lunas ersten Schultag an der Forks Middle war? Ich wusste zumindest, dass sie nicht im Sonnenlicht funkelte, wie es Vampire eigentlich taten. Problematisch dürfte die Sonne also nicht für sie sein.


Während ich auf einer kleinen Steinmauer saß, um auf ihr Eintreffen zu warten, spürte ich ein Kribbeln an der Hand und stellte fest, dass sich ein kleiner Käfer gerade dazu entschlossen hatte, über eben diese zu laufen. Ich war zwar nicht so der Naturfan wie meine Schwester, trotzdem war es nicht meine Art Tiere umzubringen – selbst dann nicht, wenn sie mehr als vier Beine hatten. Also ließ ich das Käferchen wieder zurück auf den Stein laufen, wo ich nun auch einige Artgenossen bemerkte und lieber aufstand. Ganz so tierlieb war ich dann doch nicht, dass ich zwischen Krabbeltieren sitzen bleiben wollte.

Luna ließ sich scheinbar Zeit, also beobachtete ich eben weiter das Treiben auf der Steinmauer. Besonders ins Auge fielen mir dabei die relativ zahlreichen Pärchen, die sich Hintern an Hintern fortbewegten, schätzungsweise sie vorwärts, er rückwärts. Ich stellte es mir ziemlich frustrierend vor, derart durch die Gegend geschleift zu werden. Vielleicht war der Kerl aber auch froh, dass er nicht selbst entscheiden musste, wo es als Nächstes hinging. Verwirrt über meine eigenen Gedanken schüttelte ich den Kopf. Worüber dachte ich da eigentlich nach?


Plötzlich vernahm ich ein ziemlich auffälliges Motorengeräusch in der Ferne. Kurz darauf hielt Anthonys schwarzer BMW einen Meter vor mir und beide Insassen stiegen aus. Lunas Begeisterung über ihren ersten Schultag schien sich, ihrem Blick nach zu urteilen, in Grenzen zu halten.
„Da wären wir“, sagte ihr Vater. „Guten Morgen, Billy.“
„Hey“, begrüßte ich die beiden.
„Ich hole euch nach dem Unterricht wieder ab“, sagte Anthony.
„Okay“, antworteten wir, wie aus einem Munde.
„Aber nicht vergessen-“, setzte er erneut an, wurde jedoch von seiner Tochter unterbrochen.
„Wenn jemand uns zusammen sieht und fragt. Du bist mein älterer Bruder. Ich weiß. Es reicht, wenn du es mir einmal sagst. Ich bin nicht so vergesslich wie wahrscheinlich Neunundneunzig Prozent der Leute in diesem Gebäude.“
Ich nahm einfach mal an, dass ich dieses eine Prozent sein sollte und buchte es als Kompliment ab.
„Achtundneunzig“, korrigierte Ani. „Wenn man davon ausgeht, dass ein Vampir für Billys Verwandlung verantwortlich war.“
„Na, deswegen bin ich ja da“, sagte Luna nun etwas erheiterter. Sie schien ihre Mission sehr ernst zu nehmen und froh darüber zu sein, sie anvertraut bekommen zu haben. „Etwas Neues lerne ich hier nämlich bestimmt nicht.“
„Das würde ich so nicht sagen“, erwiderte ihr Vater, mit eine kaum merklichen, schelmischen Grinsen auf den Lippen. „Versuch aber in jedem Fall möglichst unauffällig zu bleiben.“
Luna zeigte sich davon relativ unbeeindruckt. „Wollen wir?“
Ich nickte, winkte meinem Onkel noch einmal zu und betrat dann mit ihr gemeinsam das Schulgebäude.


Die vielen Schüler, die sich hier vor Unterrichtsbeginn in den Gängen tummelten, schienen sie nicht nervös zu machen. Vielleicht war sie aber auch ganz einfach gut darin, ihre Nervosität zu verbergen.

Auch als wir später im Klassenraum waren und ich sie der Klasse als meine Cousine aus Alaska vorstellte, deren Familie kurzfristig hier herziehen musste, verhielt sie sich absolut souverän. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, folgte sie mir zu meinem Platz und setzte sich auf einen freien Stuhl neben mir.
Als ich mich, kaum dass ich saß, im Raum umsah, wurde ich zum ersten Mal Zeuge der Faszination, die Vampire – oder in ihrem Fall Halbvampire – auf Menschen hatten. Alle Blicke lagen auf ihr, einige fragend, viele bewundernd, manche der Jungs wirkten regelrecht benebelt. In mir kam eine Mischung aus Stolz und Eifersucht hoch. Ich wusste, dass ich zwar auch vampirische Gene hatte, diese kamen bei mir aber offenkundig in keinster Weise zum Vorschein. Luna dagegen war hübsch, elegant und hatte etwas Unnahbares an sich, das ich nicht wirklich beschreiben konnte.
Auch meine besten Freunde Phoebe, Ann und Liz konnten ihre Blicke kaum von ihr lösen.
Mir kamen Anthonys Worte in den Sinn. „Versuch aber in jedem Fall möglichst unauffällig zu bleiben.“ Ja. Klar. Natürlich. Nichts einfacher als das.
Meine Cousine hingegen, ignorierte die auf sie gerichteten Blicke und widmete sich lieber den Schulutensilien, die ich aus meiner Tasche zog und auf dem Tisch platzierte.
„Was ist das?“, fragte sie und nahm sich den dicken Wälzer zu meiner Linken. Auf dem Cover war das Gesicht einer Frau mit einem auffälligen, hellen Kreis in der Iris abgebildet.
„Ach“, antwortete ich, während ich meine Stifte rauszog. „Das ist so ein altes Buch, das wir schon seit Wochen durchnehmen. Geht um eine Zukunft, in der die Körper der Menschen von Aliens eingenommen werden.“
„Aha“, meinte Luna dann etwas gelangweilt und begutachtete das Cover. „Hat ja interessante Ideen, diese... Stephenie Meyer.

Nach dem ersten Gong befürchtete ich bereits, dass wir gleich von einer Menschentraube umringt sein würden, doch zu meiner Erleichterung beließen es die meisten Schüler bei Blicken. Lediglich meine Freundinnen begannen in der Cafeteria damit, Luna auszufragen, doch diese spulte alle Antworten perfekt ab, die ihr ihre Familie zurechtgelegt hatte und ließ es dabei zu keiner Zeit geschauspielert wirken. Sogar ich nahm ihr ihre Worte beinahe ab.
„Schönes Armband, sieht echt teuer aus.“ Das Kompliment kam natürlich von Liz. Sie war schon immer auf teure Sachen fixiert gewesen und schreckte nicht mal davor zurück, ihren Eltern die Kreditkarte zu entwenden. Da sie beide als Anwälte gut zu verdienen schienen, fiel ihnen, so Liz, nicht einmal auf, dass etwas fehlte.
„Danke“, sagte Luna schlicht.
Jetzt musterte selbst ich das funkelnde Armband, das ihr zartes Handgelenk schmückte. Also das mit dem Unauffälligsein musste sie noch kräftig üben.
„Moment. Ist das von Tiffany?!“, erkannte Liz erstaunt.
„Ja“, antwortete Luna. „Mein Dad ist Hirnchirurg. Der Beste in ganz Alaska. Er wurde für einen ganz besonderen Fall extra herbestellt und da wir nicht wissen, wie lange er hier bleiben wird, sind wir mit gekommen.“
„Ist ja der Hammer!“, kam es von Phoebe.
Prompt schossen mir Bilder in den Kopf, in denen Anthony mit Mundschutz im Kopf irgendeines Menschen herumfummelte. Ob er das überhaupt konnte? Ich musste unweigerlich kurz daran denken, wie er dieses Mädchen in der Gasse getötet hatte.
„Was ist das?“, fragte die Halbvampirin ein weiteres Mal und riss mich damit aus diesen schrecklichen Erinnerungen. Sie faltete verwundert den Flyer auf, der ihr eben von einem Kerl in die Hand gedrückt worden war. Ich kannte diese Flyer schon. Sie waren bereits ausgelegen bevor ich nach Alaska aufgebrochen war und zeigten ein altes, gezeichnetes Bild von Romeo und Julia. Sie auf dem Balkon und er an einer Ranke, den Arm zu ihr empor streckend. Jetzt hatten sie allerdings auf jeden Flyer einen Aufkleber mit zusätzlichen Infos geklebt:

Die Twilight Saga: Equinox (Fanfiction // #Wattys2015)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt