Kapitel 1: Aller Anfang ist staubig

96 5 0
                                    

Zunächst mal: Danke an J., dass sie mir das Cover erstellt, und an M., die meine Rechtschreibung überlebt hat. 

Viel Spaß beim Lesen. ;)

„Und das ist deine Wohnung", meinte Magarete Bonesweather mit einer einladenden Bewegung in den Raum hinein. Staunend blieb Cassandra Lakast stehen. Ihre Augen nahmen durch die wuchtigen Gläser der schwarzen Hornbrille jeden Zentimeter des kleinen Wohnzimmers mit offener Küche auf.

Da war ein in die Jahre gekommenes braunes Ledersofa, auf dem schon einige Stellen mit farblich nicht zusammenpassenden bunten Flickstücken ausgebessert worden waren. Der hölzerne Tisch davor war ebenso nicht mehr der neueste, schien sogar etwas schief geraten und Ringe von über im Laufe der Zeit abgestellten Getränken zierten seine einst vielleicht makellose Oberfläche. Der Fußboden war ein Teppichboden undefinierter Farbe, die Tapete ein verblichenes Grün mit hölzernen Vertäfelungen.

„Klar, es ist jetzt kein Luxusstück. Aber du kannst hier alles so einrichten, wie du möchtest." Stirnrunzelnd fuhr die ältere Miss Bonesweather mit einem, ihrer mit Stahlkappenschuhen besetzten, Füße über ein Loch im Teppich. „Könnte wohl ein bisschen Liebe vertragen. Hier hat schon seit Ewigkeiten keiner mehr geschlafen. Seit Luna diese Pension eröffnet hat..."

Der Eindruck, den die Küche mit altem Gasherd und leicht staubigen Arbeitsflächen hinterließ, bestätigte die Worte der Mittsechzigerin. Bad und Schlafzimmer würden wohl genauso in einem Vakuum die Zeit überdauert haben.

Eine andere junge Frau hätte wohl, die Nase gerümpft, den Koffer geschnappt und wäre mit dem nächsten Anhalter bis zu besagter Pension gefahren. Nicht jedoch Cassandra. Was in anderen Augen als alt oder sogar hässlich betitelt worden wäre, nahm sie als etwas an, dem man den Wert zu Unrecht aberkannte. Es war nichts Schlechtes, wenn etwas überdauerte und dann anders war und hervorstieß. Einfach aus der Reihe tanzte.

Nein, sie hatte das Gefühl, irgendeine Art von verkorkster Bindung zu diesem Mobiliar zu haben. Etwas, dass niemand verstehen konnte, der nicht auch mal im Karton mit der Aufschrift „Mangelware/Ausrangiert" gesessen hatte.

„Danke, Miss Bonesweather. Es ist wunderschön", gestand Cassandra erfreut, ohne den Blick von ihrem neuen Zuhause zu lösen.

„Kindchen, ich sagte doch schon nenn mich Gran, wie es hier jeder tut. Mit „Miss Bonesweather" komme ich mir vor wie eine alte, lahme Kuh. Und wenn ich im „Katzenschreck" nicht ernstgenommen werde, hauen mir die besoffenen Kerle noch die Bude klein."

Wer könnte diese Frau nicht ernstnehmen? Ihre Erscheinung allein sagte einem schon, dass irgendwas im Busch war. Die schlohweißen Dreadlocks fielen ihr bis zur Hüfte und bildeten einen Kontrast zu dem schwarzen Band-T-Shirt, das einen blutüberströmten, verwaschenen Körper zeigte. Wie die Band hieß, die sich so ein Logo ausdachte, wollte Cassandra lieber nicht wissen. Auch ansonsten schien die ältere Dame nicht dem typischen Bild einer Großmutter zu entsprechen. Etwas, was Cassandra noch vor zehn Minuten irritiert hatte, aber was sie mittlerweile an der freundlichen Fennek-Gestaltwandlerin zu schätzen begann.

„Es ist wunderschön, Gran", berichtigte sich die junge Frau, konnte ihren Blick aber einfach nicht von der Einrichtung des kleinen Raumes losreißen. Die Pflanztöpfe könnten vielleicht wieder einen grünen Bewohner vertragen, der Staub, der ihr schon in der empfindlichen Nase kitzelte, seit sie die Wohnung betreten hatte, musste entfernt und die Vorhänge geflickt werden. Aber an der Einrichtung würde sie definitiv nichts ändern, beschloss sie.

„Also gut Kindchen. Ich werde dich dann jetzt mal allein lassen, dass du in Ruhe auspacken kannst." Damit war Miss Bonesweather schon aus der Tür. Oder doch nicht, denn plötzlich steckte sie den Kopf wieder in den Raum, was Cassandra schreckhaft zusammenzucken ließ. Entweder nahm die alte Dame es nicht wahr oder sie ignorierte das Zeichen von Schwäche gekonnt.

„Ich werde meine Enkelin, Trish, in einer Stunde vorbeischicken. Vielleicht versteht ihr beiden euch, ja und ein weiteres, bekanntes Gesicht kann dir nicht schaden, Kindchen." Mit diesen Worten war sie dann endgültig verschwunden.

Es dauerte noch ein paar Minuten bis sich Cassandra von den Eindrücken vor sich lösen konnte und dann die spärlich bestückte Tragetasche behutsam auf die Couch stellte. Sie krempelte die Ärmel ihres überlangen, grünen Pullis nach oben und machte sich dann auf die Suche nach einem Lappen und einem Eimer unter der Küchenspüle.

Erst einmal würde sie putzen. Die Geheimnisse hinter den anderen beiden Türen, hob sie sich für später auf. Ehrlich gesagt machte es unheimlich viel Spaß, sich auszumalen, was sich hinter ihnen verbarg. Führte die rechte Tür zum Bad oder war es doch die linke? Wie sah wohl das Bett aus? War die Tagesdecke ebenso bunt geflickt wie das Sofa und hatte die Dusche einen rustikalen Duschvorhang?

Es brannte ihr unter den Fingern, diese Dinge herauszufinden. Aber noch mehr Spaß machte es doch, die Schokolade zu genießen, statt sie direkt zu verschlingen.

Vorfreude war ein schönes Gefühl.

Auch ohne Flügel kann man fliegen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt