15. Das Ende ist der Anfang

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Piep. Piep. Piep.

Wie Cass dieses Geräusch zu hassen begonnen hatte. Piep.

Es nahm ihre komplette Wahrnehmung ein und trieb sie in den Wahnsinn. Manchmal wurde es schneller und dann war es wieder im normalen Rhythmus. Cass hätte zu gerne gewusst, woher es kam und was es zu bedeuten hatte, doch ihr Geist war zu müde und so driftete sie wieder in den erholsamen Schlaf.

*

Sie war im Krankenhaus. Zumindest vermutete Cass das, hatte sie doch nie eins von innen gesehen und traf ihre Vermutung nur mit Hilfe einer Serie, die sie mal durch Zufall im Fernsehen gesehen hatte.

Die Wände waren weiß. Im Vergleich mit der Farbenvielfalt, die Cass in den letzten Wochen kennengelernt hatte schnürte es ihr hier schon fast den Atem ab. Ließ sie sich eingeengt fühlen und entzog ihr die Wärme. Auch kam nur selten eine Schwester in ihrer ebenfalls weißen Kleidung vorbei, um nach ihr zu sehen und dann kurz darauf wieder schnell zu verschwinden. Cass war froh über diese Unterbrechungen ihrer trüben Gedanken, denen sie an die Decke starrend hinterher hing.

Wenn sie die Augen schloss, sah sie Jarins Gesicht vor sich, wie er vor ihr saß und ihr mit durchdringendem Blick und sanften Händen über die Wange strich. Es versetzte ihr jedes Mal einen Stich. Und es passierte nicht selten, dass sie weinend aus Träumen aufwachte und das Gefühl hatte seine Umarmung zu spüren, nur um dann wieder die weißen Wände und das weiße Linoleum zu sehen und dann den Tränen nachzugeben. Sie vermisste ihn. Sie vermisste Trish, Quinn, Gran. Sie vermisste ihre Wohnung und die gemeinsamen Abende. Sie vermisste den Laden und den Duft der Backwaren und des Kaffees, der sie beruhigte.

Das einzige, was sie in ihrem kleinen Zimmer roch, das nicht mal ein Fenster aufwies und sie so in ihrem eigenen Zeitgefühl ertränken ließ, war der penetrante Geruch nach Desinfektionsmittel, ihres Deo-bedürftigen Körpers und dem Verbandszeug, das ihren Hals und ihre Taille bedeckte.

Sie hatte keine Ahnung wie viel Zeit sie in diesem Zustand der Trauer und Orientierungslosigkeit verbrachte. Es fühlte sich wie Jahre an und doch könnten es auch nur Tage gewesen sein. Irgendwann betrat endlich eine andere Person als die Krankenschwester den Raum. Der Mann trug ein schwarzes Shirt und ebenso schwarze Jeans mit schweren Kampfstiefeln. Das hätte sie eigentlich von ihrem Bett aufschrecken und soweit flüchten lassen sollen, wie es die Verkabelung an ihr zuließ. Seine beruhigend erhobenen Hände und das freundliche Lächeln auf dem, einen roten Dreitage-Bart tragenden, Gesicht besänftigte ihren Fluchtinstinkt aber. So zuckten ihre Hände nur kurz, bevor sie dann wieder ruhig auf dem weißen Laken zu liegen kamen.

Etwa zwei Meter von ihr entfernt blieb der Mann stehen, der etwa in Jarins Alter sein musste. Kurz empfand sie einen Stich in der Brust, dass es nicht Jarin war. Dann begann der Mann auch schon zu sprechen. „Mein Name ist Alexander. Wie geht es Ihnen?"

Kurz wanderten ihre Hände über ihre Verbände, die sie kaum wahrnahm. „Ganz gut", brachte sie etwas rau hervor.

Sein Lächeln wurde daraufhin sogar noch breiter und hätte sie ihr Herz nicht schon an einen wundervollen Panther-Wandler verloren, hätte sie sich sogar eingestehen können, dass dieser Kerl - Alexander - nicht gerade unattraktiv war. Wieder fühlte sie diesen Schmerz in ihrer Brust, der nicht von ihrer Wunde kam. Sie vermisste Jarin so sehr.

„Sie haben sicherlich einige Fragen. Ich versuche sie Ihnen so gut wie möglich zu beantworten", bot sich Alexander an und lehnte sich dann an die nächstgelegene Wand, um nicht in ihren persönlichen Raum eindringen zu müssen, indem er sich auf ihr Bett setzte. Das wäre dann doch etwas zu viel für Cass gewesen.

Tatsächlich hatte Cass einige Fragen, die auch sogleich aus ihr hervorsprudelten. Was war mit den anderen? Ging es ihnen gut? Was war eigentlich passiert und wo waren sie jetzt? Was würde mit ihr geschehen und würde sie ihre Freunde wiedersehen? Fragen, die sie auch schon der immer wiederkehrenden Krankenschwerster gestellt hatte, die diese aber nicht beantworten konnte oder wollte.

Auch ohne Flügel kann man fliegen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt