Kapitel 2: Im Blaubeerhimmel

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Irgendwann klopfte es an der Tür. Bestürzt sprang Cassandra von der Lehne des Sofas herunter, von der aus sie gerade versucht hatte, den oberen Türrahmen zu erreichen. Wieder einmal hatte ihr ihre nur geringe Körpergröße einen Strich durch die Rechnung gemacht. War sie doch trotz improvisierter Leiter einfach nicht an ihr Ziel herangekommen.

Und jetzt hatte sie auch noch die Zeit vergessen. Die Wohnung war nicht mal zur Hälfte fertig geputzt und die Einrichtung hatte sie überall dahingeschoben, wo sie ihrem Vorhaben nicht im Wege stand. Das pure Chaos.

Wieder klopfte es an der Tür. Diesmal ein bisschen lauter.

„Ich bin gleich da!" Schnell rückte sie wenigstens die Pflanzentöpfe wieder an ihre Plätze. Dann spähte sie durch den Türspion und wurde nur von Farben begrüßt. Kurz war sie verwirrt und auch das übliche Misstrauen stieg in ihr auf. Doch ihre schon immer stark ausgeprägte neugierige Ader gewann den Wettstreit der Gefühle und so brachte Cassandra ihre Hand dazu, die Tür zumindest einen Spaltbreit zu öffnen.

Cassandra wusste nicht, was ihr als erstes ins Auge stach. Das strahlende Lächeln, das sich schier über das ganze Gesicht der jungen Frau vor ihr erstreckte oder ihre bunten, langen Haare, die in allen Farben des Regenbogens - ausgenommen der Farbe Rot - strahlten. Ihre Neugier übernahm die ultimative Herrschaft und ließ sie die Tür nun ganz öffnen.

„Hi, ich bin Trish Bonesweather. Grans Adoptivenkeltochter." Grüßend hob ihre Besucherin dabei eine ihrer Hände, behielt die andere aber zu Cassandras Misstrauen hinter ihrem Rücken. Auch Trishs Geruch, machte sie stutzig. Eine Rotfüchsin?

Trish schien ihren musternden Blick nicht zu bemerken. „Gran hat dir meinen Besuch ja schon angekündigt. Und ich habe dir auch ein Einweihungsgeschenk mitgebracht." Ein Geschenk?! Wäre Cassandra in ihrer Tiergestalt gewesen hätte ihre Rute wohl genauso aufgeregt gewedelt, wie die eines Hundes. Sie hatte noch nie ein Geschenk bekommen.

Noch bevor sie fragen konnte, worum es sich handelte, erschien hinter Trishs Rücken ein hellblauer Teller mit komischen kleinen Küchlein darauf, auf denen ein weißes Etwas drapiert war.

„Was ist das?", platzte ihr die Frage heraus und sogleich hätte sie am liebsten die Tür wieder zugeschmissen. Trishs absolut ungläubiger Blick mit geöffneter Kinnlade, ließ die Röte in Cassandra Wangen schießen. Beschämt und unbehaglich senkte sie den Blick und wurde auf Trishs buntes Blumenkleid aufmerksam, an dem sich ihr Blick rettend festzuhalten schien.

„Das, meine Liebe, sind Cupcakes. Und nicht nur irgendwelche. Das sind Cupcakes aus meiner Backstube. Glaube mir, danach willst du keine anderen mehr essen."

Ohne auf eine Einladung oder eine Erwiderung zu warten, schob sich die nicht gerade klein geratene Füchsin an Cassandra vorbei. Dieser blieb nichts anderes übrig, als ihr Platz zu machen und dann zu der Küchentheke zu folgen. Dort hielt ihr Trish aufdringlich einen der Cupcakes hin und biss dann selbst herzhaft in ihren eigenen. Verstohlen nahm Cassandra das Küchlein entgegen und roch kurz daran. Einen ungewöhnlichen Geruch konnte sie nicht feststellen, weshalb sie Trishs Beispiel folgte und ... im Himmel landete.

Im Inneren des Cupcakes kamen kleine Blaubeeren und Splitter weißer Schokolade zutage, die von herrlich weichem Teig umgeben waren. Dieser war derart fluffig, dass Cass das Gefühl hatte, direkt in eine Wolke gebissen zu haben. Seufzend öffnete sie wieder die Augen und blickte in das lächelnde, sommersprossige Gesicht vor sich.

„Genial, oder?", gespannt sah Trish zu Cass und wartete auf ihre Reaktion.

Cassandra konnte nichts sagen. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sich den nächsten Bissen zu genehmigen. Aber ihr wildes Kopfnicken, sprach ohnehin mehr als tausend Worte.

Schweigend aßen die beiden ihre Muffins fertig und Cassandra schielte schon auf den nächsten, doch dann rief sie sich zur Ordnung. Sie hatte sich ja schließlich immer noch nicht selbst vorgestellt. Kurzerhand streifte sie die Hände an ihrer ohnehin vom Staub verdreckten Jeans ab und hielt Trish ihre Hand hin, die diese ergriff.

„Ich heiße Cassandra. Cassandra Lakast", stellte sie sich schüchtern vor.Danke für die Cupcakes."

„Freut mich dich kennen zu lernen, Cass." Erst wollte Cassandra Trish berichtigen, aber irgendwie gefiel ihr die Kurzform ihres Namens. Also beließ sie es dabei und schnappte sich schnell den nächsten Cupcake. Schließlich durfte so etwas Köstliches nicht schlecht werden. Trish schien sich derweil das Durcheinander anzuschauen, das Cass angerichtet hatte. Wenn sie dieses Chaos in irgendeiner Form beurteilte, ließ sie sich zumindest nichts davon anmerken.

„Ich habe unten im Laden noch ein paar ältere Buchexemplare, die keiner mehr kaufen möchte. Wenn du willst, kannst du sie für das leere Bücherregal dahaben." Kurz war Cass vor den Kopf gestoßen, betrachtete sie den Vorschlag zunächst als Eingriff in ihr Territorium. Doch dann erkannte sie die nette Geste dahinter  und stimmte zu.

„Wenn du sie nicht mehr gebrauchen kannst, nehme ich sie gerne", ergriff Cass die Gelegenheit und biss erneut von ihrem zweiten Muffin ab.

„Gran hat dir bestimmt ja schon erzählt, dass ich noch eine Arbeitskraft in meiner Buch-Bäckerei brauche. Wenn du möchtest kannst du sogar morgen schon anfangen. Das heißt, wenn du nicht lieber bei Gran in der Bar arbeiten möchtest? Vorausgesetzt du traust dir den Umgang mit sturzbetrunkenen, aufdringlichen Wandlern zu. Oder wir suchen dir etwas anderes..."

Weiter ließ Cass sie nicht mehr reden. Sie hatte das Gefühl, dass es sonst schwer werden würde, die bunte Rotfüchsin zu bremsen.

„Buch-Bäckerei klingt interessant. Nur leider muss ich dich vorwarnen. Backen kann ich nicht und die Brille sagt leider nichts über meine Buchkenntnisse aus" Doch Trish wischte ihre Bedenken mit einer Handbewegung zur Seite.

„Beides kann man lernen und ich wollte schon immer einen Backlehrling." Die Füchsin strahlte Cass über beide Ohren an und zwinkerte ihr dann verschwörerisch zu. „Und wenn ein paar Dinge am Anfang nicht funktionieren, ist es auch nicht schlimm. Quinn futtert so ziemlich alles, was aus meiner Küche stammt. Der Vielfraß." Trish verstummte und schaute in einer hastigen Bewegung auf die Uhr. „Ach du grüne Sieben. Ich hätte den Laden schon vor fünf Minuten wieder öffnen müssen." Mit einem Blick zu Cass fuhr sie schnell fort, den Weg Richtung Tür antretend. „Wenn du mit dem Auspacken fertig bist, kannst du gerne unten vorbeikommen. Ich mache uns einen Kaffee und zeige dir den Laden."

„Danke, das wäre toll", brachte Cass gerade in dem Moment heraus, als Trish schon durch die Tür verschwand. Kurz fragte sie sich, ob diese sie überhaupt gehört hatte. Doch ein nach oben gereckter Daumen, der kurz durch den Türrahmen lugte, gab ihr ihre Antwort und so machte sie sich wieder daran, ihr neues Heim zu säubern und zu erkunden.

Dabei hatte sie die ganze Zeit über ein leichtes Lächeln im Gesicht.

Auch ohne Flügel kann man fliegen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt