Athea hatte Mitleid mit mir. Das merkte ich daran,dass sie nicht fröhlich und laut wie sonst war. Außerdem sah sie mir nicht in die Augen. Sie half mir nur mit fahrigen Bewegungen,die für die Arena vorgeschriebene Kleidung anzuziehen. Ihre Absätze klapperten über den Steinboden. Ich starrte nur geradeaus zu dem Podest,in das ich mich gleich stellen und hinauf in die Arena fahren würde.
Ich fühlte mich so verdammt teilnahmslos. So...gleichgültig. Entweder würde es gleich mit mir vorbei sein oder ich dürfte noch weiterleben. So oder so,ich würde bei Madge sein und sie versuchen zu beschützen,das schwor ich mir.
Athea fuhr mir von hinten durch die nun kinnlangen Haare. »Steht dir«,kommentierte sie leise.Ich tat nichts,starrte einfach weiter ausdruckslos ins Leere. Ich wusste nicht,wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte,denn seit dem Interview hatten wir nicht mehr miteinander geredet. Außerdem tat das eh nichts zur Sache. Ich würde sie sowieso nie mehr sehen.
»Komm,sieh dich zumindest an.« Sie nahm mich sanft am Ellenbogen und führte mich zu einem kleinen Wandspiegel am Ende des Raums. Ich trug nichts Besonderes. Einfach eine dunkle Leggings und ein graues T-Shirt,darüber eine hellbraune Daunenjacke ohne Ärmel.Nur mein Armband stach heraus.Es war eine geflochtene, blonde Haarsträhne. Madge hatte ebenfalls eines, nur mit meinem Haar. Es war ihre Idee gewesen.Es sollte uns beiden Hoffnung geben und gegen die Einsamkeit helfen.
Aber ich war schon kurz davor,aufzugeben.Ich starrte mir in die Augen. Ein müdes Augenpaar starrte zurück. Ich wollte nicht mehr. Ich fühlte mich wie damals in der Schule,als ich verzweifelt versucht hatte,so wie die anderen zu sein. Wie die anderen mit den perfekten Noten,den vielen Freunden,die am Nachmittag immer spannendere Dinge zu tun gehabt hatte als zuhause zu sitzen und zu lesen,wie ich es immer tat. Irgendwann,nach der tausendsten schlaflosen Nacht,in der ich verzweifelt versucht hatte zu lernen ,nach dem hundertsten Mittagessen,das ich allein verbracht hatte,die starrenden Blicke der anderen ignorierend,die mich als Freak und eingebildete Tochter des Bürgermeisters abstempelten, irgendwann danach hatte ich aufgegeben. Ich hatte keine Ausdauer mehr. Ich fühlte mich nicht gut genug.Ich wollte nicht mehr versuchen,so wie der Rest meines Jahrgangs viele Freunde und Hobbys zu haben. Die meisten waren so... sozial. Ich hatte versucht,immer dankbar für das Leben zu sein,das ich als Kind eines Bürgermeisters hatte führen können,zumal mir tagtäglich vorgeführt worden war,wie schlecht es anderen Leuten in meiner Heimat ging. Aber trotzdem fühlte ich mich irgendwie...unvollständig. Und irgendwann war mir dann alles egal gewesen.
Jetzt war ebenfalls alles...unbedeutend. Jetzt war es egal,wie viele Freunde ich gehabt hatte oder wie reich meine Familie gewesen war. Entweder ich überlebte die nächsten Momente nicht,oder ich war einer nicht endenden Hölle ausgesetzt. Es war so verdammt aussichtslos.
»Noch zehn Minuten bis zum Start«,riss mich die Ankündigung aus meinen melancholischen Gedanken. Athea reichte mir einen Korb mit trockenen Broten. »Bitte,iss noch etwas. Aus Erfahrung kann ich dir sagen,dass die meisten Tribute durch Hunger oder Durst sterben.« Also griff ich willenlos nach dem Korb und schlang ein Brot nach dem anderen hinunter,ohne wirklich etwas zu schmecken.
»Noch acht Minuten bis zum Start.«
Ich atmete tief durch und ging zitternd zum Podest. Gleich würde dieses mit mir rauf in die Arena fahren. Ich betastete meinen rechten Arm. Als alle Tribute zusammen in einem schwebenden Ding zur Arena geflogen worden waren,hatte mir eine Frau mir ein Gerät unter die Haut gestanzt. Damit würde man mich wohl immer in der Arena ausfindig machen können oder so ähnlich. Athea öffnete stockend den Mund. »Obwohl du mir wohl nicht glaubst... ich denke,dass du es weit bringen wirst. Du brauchst nur etwas mehr von dem,wovon die anderen ebenfalls zu wenig haben: Selbstvertrauen.« Ich atmete schnaubend aus ,während ich langsam auf das Podest stieg. Ich wusste,dass sie nicht wirklich an mich glaubte. Und ich tat das schon gar nicht.Ich fühlte mich wie in einer Blase,als ich schweigend darauf wartete,in die Arena gebracht zu werden.
Athea starrte mich unverwandt an und sagte ebenfalls nichts. So-uns gegenseitig betrachtend-warteten wir auf das Unausweichliche.
»Noch zwei Minuten bis zum Start.«
Ich legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Glaswände wurden um mich herum hochgefahren und ich war nun endgültig eingesperrt. Ober mir befand sich ein langer Tunnel,an dessen Ende war Licht. Ich fühlte mich wie in einem Fahrstuhl,vielleicht war jetzt der richtige Moment zu erwähnen,dass ich eigentlich Platzangst hatte.
Atheas Wange lief eine einzelne Träne hinunter. Sie flüsterte etwas,und ich konnte schwören,dass es »Leb wohl,Lyralein« hieß. Meine Augen füllten sich ebenfalls mit Tränen. Ich wollte nicht weinen,aber es ging nicht anders,
Mit einem leisen Surren hob sich die Platte unter mir an und ich fühlte mich kurz schwerelos. Ein großartiges Gefühl. Und so,die Augen geschlossen und das Gesicht voller Tränen,fuhr ich hinauf ins Unbekannte.
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Die Tribute von Panem-Der Gesang der Nachtigall
Fanfiction[Pausiert] Was wäre,wenn es nach den 74.Hungerspielen nur einen Sieger gäbe? Was wäre,wenn Peeta sich für Katniss geopfert hätte? Wenn es keine Rebellion gäbe. Alles in Ruhe und Frieden wäre. Es würde keinen Widerstand geben. ⚜Oder doch?⚜ ...