𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟞 - 𝕂𝕒𝕥𝕟𝕚𝕤𝕤

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»Katniss Everdeen und Haymitch Abernathy, kommt bitte auf die Bühne!« Überrascht blickte ich auf. Waren wir jetzt schon dran? Vor uns waren erst die Mentoren der toten Tribute interviewt worden. Scheinbar fingen die Interviews dieses Mal mit Distrikt 12 an.

Seufzend erhob ich mich und ging mit Haymitch auf die Bühne. Ich lächelte gequält in die Kamera, dann setzte ich mich hin. Dies war die Chance für uns ,Sponsoren für unsere Tribute zu bekommen. Normalerweise fielen alle Sponsoren den Karrieros aus Distrikt 1,2 oder 4 zu. Umso besser war es,dass Haymitch und ich vor den anderen interviewt wurden.

Caesar lächelte uns an. »Herzlich willkommen! Bisher leben alle euere vier Tribute noch. Wie schätzt ihr ihre Chancen ein?« »Nicht schlecht«,erwiderte Haymitch an meiner Stelle. »Die Hawthorne -Brüder kennen Katniss schon lange-sie sind ja schließlich ihre Cousins- und haben viel gemeinsam mit unserer Siegerin hier gemacht,auch Sport.«

Ich erkannte die Chance,Sponsoren für Gale und Rory zu gewinnen, und fügte hinzu: »Ja, wir haben oft Sport zusammen gemacht. Vor allem das Bogenschießen.Die beiden können auch sehr schnell laufen und sind generell sehr geschickt.«
»Das klingt vielversprechend.« Cäsar und Haymitch führten das Gespräch weiter, während meine Gedanken zurück zu heute Morgen schweiften.

Nachdem ich von der Dachterrasse gekommen war, war ich rasch geschminkt und in ein weinrotes Kleid gesteckt worden.
Danach hatte ich vor einem großen Bildschirm sitzen und zusammen mit den anderen Mentoren die Tribute beobachtet. Nachdem der Gong ertönt war, waren Madge und Lyra gleich losgelaufen, allerdings nicht gemeinsam. Während meine beste Freundin ihren Weg aus der Burg, in der sie gestartet waren, gefunden hatte, war ihre Schwester eine Weile vor den Karrieros verfolgt worden. Irgendwann wae sie in eine Röhre geflüchtet.

Gale war Richtung Mitte gesprintet und hatte einen Dolch und einen Strick ergattert, dann war er mit Rory weggelaufen.Wohin wusste ich nicht. Bisher hatte man die beiden nicht mehr gefilmt. Ich hoffte,sie waren aus der Burg entkommen,denn die Karrieros würden sicherlich jeden Zentimeter der Burg genauestens absuchen.

Plötzlich war alles still. Das sonst so typische Gemurmel des Publikums blieb aus.
Aus den Augenwinkeln nahm ich einen Mann mit weißem Haar und grausamen, kleinen Augen  wahr.An seinem Anzug steckte eine weiße Rose.
Präsident Snow.
»Entschuldige bitte die Unterbrechung, Caesar, aber ich würde mich gerne mit der Siegerin vom letzten Jahr unterhalten.«

Ich schluckte, als Caesar sich erhob und Haymitch die Bühne verließ. Er warf mir einen warnenden Blick zu.Langsam ließ ich meinen Blick zu Snow wandern.

»Natürlich, Sir, setzten Sie sich bitte.« Auch Caesar war nervös. Wann geschah es auch schon,dass seine Show vom Präsidenten höchstpersönlich unterbrochen wurde? Nachdem Snow sich auf dem Stuhl, auf dem normalerweise unser Moderator saß, niederließ, war auch Caesar verschwunden.

Niemand war mehr da, der mir passende Worte auflegen konnte. Ich musste alleine erkennen,was ich nicht sagen sollte. Und das war noch nie meine Stärke gewesen. Hilflos ließ ich meinen Blick über das Publikum zu meinen Füßen wandern. Wenn doch nur Cinna,mein Stylist von letztem Jahr ,da wäre... Vielleicht würden mir da die richtigen Worte einfallen.

Ich konzentrierte mich wieder auf Snow.
»Hallo Katniss. So sieht man sich also wieder. Ich bin mir sicher ,viele sind gespannt wie du deinen Job als Mentorin machen wirst. Immerhin warst du Jahr die unumstrittene Favoritin.«
Seine wasserblauen Augen fixierten mich drohend.
»Du fragst dich wohl,warum ich nun vor dir sitze,nicht ?«

Er gab mir gar keine Möglichkeit, um zu antworten.
»Nun,die Hungerspiele sind dieses Jahr besonders. Naja, besonders sind sie immer,aber dieses Jahr sind sie... origineller.
Nach langer Überlegung habe ich mich dazu entschlossen,dieses Jahr die Interviews durchzuführen,sozusagen als kleine Überraschung. Ist mir gelungen,nicht?«

Er sah mich an. Ich wusste ,dass nun der richtige Moment für eine schlagfertige Antwort gewesen wäre,aber mir fiel beim besten Willen nichts ein. Also kniff ich die Lippen zusammen und nickte.

»Was  sagst du dazu, dass dieses Jahr alle Tribute aus zwölf mit dir verwandt oder befreundet sind?«
Ich blinzelte. Diese Frage kam direkt.

Natürlich war nichts davon Zufall gewesen. Jeder, der zumindest ein bisschen was im Kopf hatte,musste verstehen, dass jeder Versuch, eine Rebellion anzuzetteln, mit dem Leben von geliebten Personen bezahlt werden würde. Nur deshalb war ich noch am Leben. Damit Snow zeigen konnte, dass nicht nur das eigene Leben auf dem Spiel stand.Dass er mich im Griff hatte und ich nichts als ein kleines Mädchen war,das mit etwas Glück die Hungerspiele gewonnen hatte.

Nur verstand ich nicht ganz,wie Effie Man Fred hatte ziehen können.

»Es gibt schreckliche Zufälle«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Ja, es ist unglaublich, wie viele schreckliche Zufälle einer einzelnen Person wiederfahren können.«

Meine Finger krampften sich um den seidenweichen Stoff meines Kleides.

»Was wirst du tun, wenn du dich zwischen ihnen entscheiden musst?Wenn du nur einem von ihnen ein Sponsorengeschenk schicken kannst,weil das nötige Geld fehlt?

Meine Fingerknöchel wurden weiß. Snow hatte einen wunden Punkt getroffen. »Ich werde es dem geben,der es am nötigsten hat«,erwiderte ich so gelassen wie möglich.

»Und wenn alle es gleich nötig haben?«,bohrte Snow nach. »Dann müsstest du dich für einen von ihnen entscheiden.Der Rest würde sterben. Also, wer ist dir am wichtigsten?

Am liebsten wäre ich ihm hier und jetzt an die Kehle gesprungen, aber es wäre vermutlich keine gute Idee, den Präsidenten im Herzen des Kapitols vor Augen aller Bürger des Landes zu ermorden. Außerdem war ich schneller tot als ich »Für die Rebellion« sagen konnte.

»Ich weiß es nicht«,erwiderte ich ehrlich. Meine Finger umklammerten mein Kleid immer noch so fest, als wäre es Snows Kehle.

Nach einigen weiteren Fragen erklärte der Präsident das Interview endlich für beendet.Erleichtert verließ ich die Bühne. Nach einer kurzen Pause,in der die nächsten Tribute in der Arena gezeigt wurden,würde es weiter gehen.

Allerdings begleitete Snow mich noch ein Stück. Die Wut brodelte immer noch in mir, wild,unkontrollierbar und heiß.

»Eins verstehe ich nicht«,platzte ich schließlich heraus. »Wie konnte Man Fred zwischen die vielen Lose von Gale und Rory rutschen?«

»Du hast ihm geholfen, die Äpfel, die ihm heruntergefallen sind, aufzuheben«,erwiderte Snow. »Und du hast ihm etwas zu essen vorbeigebracht.«

Verwirrt dachte ich nach.Dann fiel es mir wieder ein. Ja, vor einigen Monaten war ich mit Man zusammengelaufen. Er hatte seine Äpfel fallen lassen und sich außerdem beim Fall das Handgelenk verstaucht. Als Entschuldigung hatte ich ihm Fleisch vorbeigebracht.

Ich war wohl rund um die Uhr beobachtet worden.

Hasserfüllt sah ich den Präsidenten an. Aus seinen Augen blitzte mir nicht weniger Abscheu entgegen.

Ich könnte ihn hier und jetzt erwürgen.Niemand schien zuzusehen. Aber er war bestimmt nicht so dumm, ohne Wachen in meine Nähe zu kommen. Ich konnte töten, und das wusste er. Er wusste auch, dass ich ihn töten wollte.

Ein Mordversuch würde alles nur noch schlimmer machen. Vor allem für meine Tribute in der Arena.

Als er sich nach vorne lehnte, um »Viel Spaß bei der Entscheidung« zu sagen, konnte ich den Blutgeruch in seinem Atem riechen. Dann ging er davon.

Er würde es mir nicht leicht machen. Besonders viele Eingriffe des Kapitols in die Spiele würden schlecht für die Tribute aus Distrikt zwölf ausfallen.

Eines Tages würde ich Coriolanus Snow das Messer in der Wunde umdrehen, so wie er es heute bei mir getan hatte. Allerdings nicht mit Worten. Soviel schwor ich mir.

Die Tribute von Panem-Der Gesang der NachtigallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt