𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟚-𝕃𝕪𝕣𝕒

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Schweißgebadet schreckte ich auf.Mein Traum war wirr gewesen,aber nicht schwer zu deuten.In ihm waren Madge und ich abwechselnd gestorben,hin und wieder hatten wir auch einem anderen Tribut ein Messer in die Brust gestoßen. »Es war nur ein Traum «,sagte ich mir. Aber das stimmte nicht ganz.Morgen Früh würden Madge und ich in die Arena kommen.Oder war es schon heute Früh?
Ein Zittern durchlief mich.Aber ich durfte nicht jetzt darüber nachdenken.Ich würde morgen Kraft brauchen.Schlaf war jetzt wichtig.
Ich wollte mich an Madge kuscheln,mich von ihrer Wärme trösten lassen,aber sie war nicht da.Das Bett neben mir war kalt und leer.Wo war sie?
Angst durchströmte mich. »Madge?«,rief ich panisch.Was,wenn es schon Morgen war?Wenn sie meine Schwester schon mitgenommen hatten,ohne dass ich mich verabschieden hatte können?
Da sah ich etwas Licht unter der Tür zum Bad.Erleichtert ging ich zu ihr und öffnete sie.
Madge stand in der Mitte des Raumes und starrte wie hypnotisiert auf etwas in ihrer Hand.Eine Schere.

»Madge?«,fragte ich leise,aber meine Schwester schien mich nicht zu bemerken.Wie in Zeitlupe hob sie die Schere und richtete die Spitze zitternd in Richtung ihres Herzens.
Jetzt begriff ich,was sie vorhatte.

»Nein!«,schrie ich und war mit einem Satz bei ihr.Mit Gewalt riss ich ihr die Schere aus den Händen.
Madge starrte mich mit glasigen Augen an. »Nein«,murmelte sie. »Jetzt.Weniger Leid.«
Ich zog meine Schwester zum Waschbecken und spritzte ihr Wasser ins Gesicht.Endlich schien sie richtig zu sich zu kommen.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie mich an. »Oh Gott,Lyra!«,rief sie und umarmte mich. »Es tut mir so leid.« »Wieso?«,fragte ich sie leise.Madge drückte mich fester an sich. »Würde es dir besser gehen,wenn du eines Tages mein Gesicht am Himmel siehst?Oder wenn ich vor deinen Augen sterbe?«,fragte sie mich. »So wäre es schnell und beinahe schmerzlos.Für uns beide.« »Bitte«,sagte ich. »Tu es nicht.« Als Madge nicht antwortete ,fügte ich hinzu : »Wenn du es tust,bin ich in der Arena alleine.Oder weißt du was?Ich bringe es auch gleich hier hinter mich.« Meine Schwester zuckte zusammen. »Ich tue es nicht«,sagte sie erschöpft. »Versprochen.«

Vielleicht war es nicht richtig von mir,sie so zu erpressen.Vielleicht wäre es tatsächlich schmerzloser für sie,hier und jetzt zu sterben.Aber ich konnte nicht einfach zusehen,wie meine Schwester sich umbrachte.

»Weißt du was?«,murmelte diese. »Wir benutzen die Schere jetzt dazu,wozu ich Atheia gesagt habe,dass ich sie brauche.Wir schneiden uns die Haare.Gib mir die Schere,ich mach es bei dir.«
Ich zögerte. »Ich hab's versprochen«,flüsterte Madge,die dies bemerkte.
Langsam übergab ich ihr das Werkzeug.
Meine Schwester schnitt mir wirklich nur das Haar.Ich atmete tief durch und sah im Spiegel zu,wie mein schönes,schwarzes Haar zu Boden fiel.
Als ich mir schließlich mit den Fingern durch die nun kurzen Strähnen fuhr,wusste ich ,dass zusammen mit meinen Haaren auch mein altes Leben unwiderruflich verloren war.

Die Tribute von Panem-Der Gesang der NachtigallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt