𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟙-𝕃𝕪𝕣𝕒

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Distrikt 1, Crystal Temple, Brighten Temple,ihre Distriktpatner Aurelian und Aurelius Sparse.Die Namen schossen nur so an mir vorbei, ich konnte mir nicht viel von ihren Interviews merken. Aurelius war der Jüngere und hatte Greifvögel zu Hause. Er und sein Bruder stammten aus einer reichen Familie in Distrikt 1. Toll,das würde mir in der Arena ganz sicher weiterhelfen.

Hoffnungsvoll blickte ich zu Madge,die neben mir auf einem der unbequemen weißen Plasikstühle saß. Sie starrte interessiert auf den Bildschirm. Hoffentlich konnte wenigstens sie sich etwas Hilfreiches über die Tribute merken.Gerade war das Interview des älteren Mädchen aus 2 vorbei. Da wir dieses Jahr doppelt so viele Tribute waren,wurde die Zeit,die wir hatten um uns vorzustellen, von drei auf zwei Minuten verkürzt. Aufgeregt rutschte ich auf meinem Stuhl herum. Gott sei Dank war ich noch nicht so schnell dran.

»Begrüßen Sie mit mir den zweiten weiblichen Tribut aus Distrikt 2- Livia Jackson!«

Ich starrte auf meine Hände. Ich wollte nicht mehr als nötig über die Leute wissen,die bald zusammen mit mir sterben würden.Aber als Rory sich neben mir zu Gale beugte, um aufgeregt zu flüstern, horchte ich nun doch auf und blickte zum Bildschirm vor mir.

Und erstarrte.

Das war sie. Ihr Name war also Livia. Nun doch interessiert beugte ich mich nach vorne. Ich wollte wissen,wie sie so tickte.Sie schritt mit gerader Haltung auf Caesar Flickerman zu. Auf den ersten Blick hin merkte man ihr nichts an,aber an der Art,wie sie ins Publikum sah,wie sie ihre Hände ineinander verschränkte,konnte ich ausmachen,dass sie sehr wohl nervös war.

»Hier bin ich also.« Sollte das eine Begrüßung sein? Ihre Stimmer war tiefer als ich vermutet hatte. Vorher war sie gerade so weit weg gestanden,dass ich sie nicht hatte hören konnte. Livias Sprechweise hatte irgendetwas... Sympatisches an sich. Ich mochte sie nicht.

»Hallo,Livia«,begrüßte Caesar sie , »wie geht es dir? Ach ,weißt du was,wir halten uns gar nicht mit Smalltalk auf. Deine Schwester hat sich ja freiwillig gemeldet und dich somit für die Spiele verpflichtet. Wie ging es dir im Moment der Ernte?« Wow. Ihre Schwester musste noch unsympatischer als sie sein. Wie konnte man seine eigenen Geschwister absichtlich in diese Sache reinziehen? Ich schüttelte den Kopf. Auch Livia musste diese direkte Frage erst verdauen.

»Nun ja... ich war ziemlich geschockt,muss ich zugeben. Aber irgendwie gefällt es mit trotzdem hier. Es sind alle so nett,wissen Sie.« Sie zwirbelte sich eine perfekt gelockte Haarsträhne um den Finger,und strahlte in das Publikum zu ihren Füßen,das sie beklatschte. Ich erkannte sofort die Masche dahinter. Unschuldig wirken. Wahrscheinlich war sie das komplette Gegenteil. Ich lächelte ein bisschen. Vielleicht war ich in Menschenkenntnis doch nicht so hoffnungslos,wie ich angenommen hatte.

»Aber du musst doch sicher Distrikt 2 vermissen...?«,setzte Caesar fort. »Ja,natürlich« ,gab Livia zu. »Besonders den Geruch nach frischem Gebäck in unserem Haus,meine Mutter backt nämlich gerne.« So wie meine. Ich schluckte schwer. Ob sie gerade zusah? Bestimmt. Mein Vater wahrscheinlich auch. Ich spürte Madges Hand,als sie nach meiner griff. Das verriet mir,dass sie das Gleiche dachte wie ich. Tränen benetzten meine Augen. Ich traute mich nicht,sie wegzuwischen,da ich sonst das Make-up verwischt hätte. Wie so oft in den letzten Tagen war ich unglaublich froh über meine Schwester. Sie war das Einzige,das mir half,diesen Psychoterror hier zu überstehen. Ich konzentrierte mich wieder auf das laufende Interview. Ich hatte Caesars Frage nicht mitbekommen,nur Livias Antwort darauf. »...mein Freund hieß Cedric. Aber kurz bevor ich mit dem Zug ins Kapitol gekommen bin...da hat er sich von mir getrennt.«

Diese Aussage erschütterte das Publikum. Sie wollten mehr hören. Aber die Glocke klingelte und verriet,dass Livias Zeit vorbei war. Sie erhob sich und warf noch einmal einen letzten traurigen Blick in die Menge,bevor sie sich umdrehte und wieder zurück zu uns anderen Tributen kam. Viele warfen ihr neidische und verärgerte Blicke zu. Sie hatte es geschafft-sie hatte sich interessant gemacht und somit war die Wahrscheinlichkeit höher,dass sie Sponsoren in der Arena bekam,die ihr mit völlig Überteuerten Sachen das Leben retten würden. Höher als bei Aurelius und seinen Greifvögeln. Höher als bei mir. Ich lehnte mich zurück und folgte dem weiteren Verlauf der Interviews.

Madge machte sich wirklich gut. Sie erzählte von den großen Wäldern rund herum um Distrikt 12,die sie noch nie betreten hatte. Von der Gemeinschaft auf den Marktplätzen vor unserem Haus. Sie stellte unsere Heimat in ein komplett anderes Licht,ließ die Zuhörer mit ihrer sanften Erzählerstimme von der wunderbaren ,klaren Luft ,der stetigen Stille und den freundlichen Menschen träumen.Dennoch erklangen keine enttäuschten Rufe,als sie die Bühne wieder verließ. Ich bezweifelte,dass viele an ihren Sieg in der Arena glauben und sie sponsoren würden.Jetzt blieben nur noch Rory,Gale und ich. Vielleicht konnte sich einer von uns besser anstellen.

»Lyra Undersee«,wurde ich nun von Caesar aufgerufen. Ein braunhaariges Mädchen,das neben dem Eingang zur Bühne stand, legte mir mit flinken Fingern ein Headset an,so wie sie es bei allen anderen Tributen vor mir getan hatte. Die elektronische Tür vor mir glitt auf und ich trat raus auf die große Bühne und war somit auf allen Bildschirmen zu sehen.

»Hallo«, begrüßte mich Caesar ,als ich mich ihm gegenüber in einen riesigen Plüschsessel sinken ließ. Ich grüßte zurück.

»Also du bist ja einer der jüngeren Tribute dieses Jahr,nicht wahr? Wie alt bist du genau?«, fing er an,während er sich nach vorn beugte.

»Vierzehn«,antwortete ich schlicht. Die Aufregung,die sich als unangenehmes Ziehen in meinem Bauch bemerkbar machte,drohte mich zu übermannen. Was,wenn ich eine Frage gestellt bekommen würde,die ich nicht beantworten konnte? Sollte ich dann einfach schweigen oder versuchen,eine Antwort zu erlügen?

»Vierzehn,hm. Dafür machst du dich aber sehr gut. Das finden wir doch alle ,oder?« Vereinzelte Zustimmung aus dem Publikum. Ich lächelte gequält. Ich hatte ja keine andere Wahl.

»Du bist ja mit deiner Schwester Madge hier. Hast du ein gutes Verhältnis zu ihr?« Caesar war vollkommen auf mich konzentriert. Ich atmete tief durch. Diese Frage konnte ich beantworten. »Ja,definitiv. Sie ist das Einzige,was mir jetzt noch bleibt. Ich wüsste nicht,was ich ohne sie täte. Und bald müssen wir zusammen Seite an Seite in der Arena kämpfen.« Das hätte ich nicht sagen dürfen. Ich spürte ein grässliches Gefühl,das sich in meinem Bauch breitmachte und mich am Sprechen hinderte.

»Was ist,wenn sie die Arena eventuell nicht... lebend verlässt?«,hackte Caesar nach. Für mich war diese Vorstellung unerträglich und ich hatte bis jetzt auch nicht weiter darüber nachgedacht. Aber Caesar setzte anscheinend alles auf ein spannendes Interview. Das konnte er haben.

»Madge und ich... Ich werde sie nicht verlieren. Ich kann sie nicht verlieren. « Kurz kamen Zweifel über die Worte,die ich als Nächstes sagen wollte, auf,aber ich verwarf diese schnell wieder. Ich wollte plötzlich mehr sein als das kleine verängstigte Mädchen,das für die Spiele ausgelost worden war. Zweifellos würde mich jeder nach diesem Interview wieder vergessen,das hier war jetzt also meine Chance. Jetzt war ich im Mittelpunkt. Jeder hörte auf mich.

»Mamchmal,wenn ich verzweifelt bin,glaube ich ,dass Madge und ich kaum eine Chance haben werden. Das nimmt mir die Luft zum Atmen. Aber dann...dann denke ich an Peeta und Katniss und das gibt mir Hoffnung. Hoffnung für Madge und mich.« Caesar riss erschrocken die Augen auf. Im Publikum wurde aufgeregt getuschelt.

Ganz wie ich erwartet hatte.

Die Glocke klingelte und ich stand auf.

Ohne mich noch einmal umzudrehen verließ ich die Bühne.











Ich erhob mich vom Esstisch. Selbst jetzt,Stunden später,war das Triumphgefühl,das ich nach dem Interview gefühlt hatte, noch immer da. Beim Mittagessen war nicht viel geredet worden. Gale und Rory hatten sich beim Interview nicht schlecht geschlagen,aber keiner hatte so viel Aufsehen wie ich erregt. Ich war in Erinnerung geblieben mit meiner Aussage über Katniss und Peeta. Vielleicht war es nicht so klug gewesen, zuzugeben,dass man sich ein Beispiel an jemandem nahm,der dem Kapitol den Mittelfinger zeigte,aber ich konnte jetzt auch nichts mehr ändern. Das war meine Show gewesen. Als ich den Raum verlassen wollte,um in mein Zimmer zu gehen, warf Haymitch mir einen müden Blick zu. »Lyra,warte.« Er zog mich aus dem Raum.

Ich ahnte,was jetzt kam.

»Also«,begann er zögernd. »Was hast du dir vorher beim Interview gedacht?! Du liebst deine Schwester,schön und gut.

Aber du musst immer bedenken,dass das die Leute da draußen auf unseren Tod warten.Das Kapitol hat Pfeil und Bogen gespannt. Und mit deiner Aussage vorhin hast du uns zum Zielobjekt Nummer eins gemacht.«

Die Tribute von Panem-Der Gesang der NachtigallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt