2. Kapitel

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Es sind ein paar Tage vergangen seid dem letzten Angriff auf die Regierung. Ich vergrabe die Hände in den Taschen meiner Jacke. Es ist Mitte April, der Frühling kommt. In den letzten Tagen habe ich überall auf den Wiesen kleine Schneeglöckchen gesehen und an den dürren Ästen der kahlen Bäume sprießen langsam wieder grüne Blätter.

Ich stehe an der kleinen Haltestelle für den Zug zur Schule. Kleine Kinder rennen schreiend um mich herum, andere lehnen an der grauen Steinwand von der langsam der Putz abfällt. Die rostigen Bahngleise führen links einen kleinen Hügel hinauf und rechts verlaufen sie über aufgeplatzen Asphalt in Richtung Schule. Hinter mir erhebt sie die große Steinmauer mehrere Meter in die Höhe und versperrt somit die Sicht auf die Silters mit den windschiefen Holzhäusern und dem dreckigen Fluss mittendurch. Auf dem Hügel erscheint der Zug. Er bleibt rattern vor mir stehen und ich dränge mich in den überfüllten Wagon.

Ich finde Cessy in der Menge und setze mich zu ihr auf einen schmutzigen Sitz. ,,Hey.", begrüße ich meine beste Freundin. Sie lächelt mir fröhlich zu. Sie ist kleiner als ich und hat kurze blonde Haare. Ihre Augen sind dunkelblau. Sie wohnt am Rande der Rages, ihre Eltern sind beide Anwälte und ihre Familie hat genug Geld um zur Ranges zu gehören. ,, Weißt du, irgendwie kann ich es nicht glauben. Meine Eltern und auch die der anderen Kinder haben ganz normale Berufe, doch deine ...", beginnt sie und schüttelt ein wenig verwirrt den Kopf. Ich seufze. Ich hatte Cessy vor einigen Tagen erzählt, dass mein Vater der Anführer der Terrorgruppe ist. Ich weiß das ich ihr vertrauen kann und das sie es nicht der Regierung oder irgendjemand anderes weiter sagt. Keiner weiß davon außer mir, Mom, Sally und natürlich Dad. Ich hoffe, dass es nie raus kommt , dass Dad nie gefasst wird.

Cessy stößt mir mit dem Ellenbogen in die Seite. Ich zucke zusammen und sehe auf. Ich hatte die ganze Fahrt nur auf meine Schuhe gestarrt und nicht bemerkt , dass wir an der Endstation angekommen sind. Ich folge der Menschenscharr mach draußen. Vor mir erhebt sich das riesige Gebäude der Mirathan-High-School. Hier geht jedes Kind, egal ob reich oder arm , auf die schule.

Cessy harkt sich bei mir ein und wir laufen die vielen Treppen hoch zu unserem Kurszimmer für die erste Stunde. Die Tür steht offen und ich sehe schon einige Schüler an ihren Pulten sitzen. Ich lasse mich auf meinen Platz fallen, als mein Blick auf den riesigen Fernseher über der elektronischen Tafel fällt. Die Nachrichten sind eingeschaltet und ich erkenne die pummelige Nachrichtensprecherin. Der Fernseher wurde vor einem Jahr eingeführt und jetzt gibt es in jedem Klassenzimmer einen. Alle starren gebannt auf den Bildschirm , keiner merkt das Mrs. Maggins, meine Lehrerin,  in den Raum gestürzt kommt. ,, Guten Tag. Es ist zehn Uhr ...", beginnt die Sprecherin. Ein Bild von dem Kolium erscheint neben der Frau. ,, Jemand hat eine Information an die Regierung weiter gegeben, die von einem weiteren Angriff auf das Kolium berichtet. Er soll in wenigen Minuten beginnen. Jeder Polizeimann aus der Ranges und sogar einige aus den Nachbarstaaten haben sich im Gebäude verteilt und warten gespannt auf die Terroristen. Diese Nachricht ist an sie gerichtet. Es sind über tausend Männer, allesamt bewaffnet und mit professioneller Ausbildung. Ihr habt keine Chance. Wenn ihr euch freiwillig geschlagen gebt und die Namen der anderen Terroristengruppen und Mitgliedern nennt, wird eure Strafe nicht ganz so schlimm sein. Wenn nicht ... wir garantieren für nichts."

Ich halte den Atem an. Wird sich Dad geschlagen geben? Wird er ins Gefängnis kommen? Angst kriecht an meinen Beinen hoch und breitet sich in mir aus. Angst um alles, was ich besitze. Die anderen Schüler beginnen zu flüstern, Cessy sieht mich mit traurigen Augen an. Ich schlucke und starre wie hypnotisiert auf den flimmernden Bildschirm. Das Kolium ist gezeigt, wie es ruhig auf dem riesigen Hugeltusplatz steht. Drumherum stehen die Hochhäuser, einige Menschen haben sich hinter gelb-schwarzem Absperrband versammelt. Ich denke schon, dass sich Dad zurück gezogen hat. Sich stellen würde er sich niemals und um gefasst zu werden ist er zu schlau. Oder? Doch da entdecke ich einen kleinen, schwarzen Punkt auf dem Bildschirm und meine Augen weiten sich. Und schon dringt der laute Knall aus dem Fernseher und die Flammen der Explosion zügeln zum Himmel hinauf. Dicke schwarzer Rauch wälzt sich der Sonne entgegen und bedeckt sie. Das Kolium ist in den Schatten gehüllt, die bewaffneten Wachen jagen über den Platz und halten nach den Terroristen Ausschau, die Menschen hinter dem Absperrband kreischen und rennen wild umher. Ich sehe viele dunkle Schatten über den Platz auf das Gebäude zu huschen.

Die Wächter schießen und viele der Terroristen fallen tot um. Ich kann Dad nicht erkennen, dass Bild ist zu klein und ein wenig unscharf. Ist er dort? Ist er bei dem Anschlag dabei? Die Angst und die Anspannung wachsen in mir, meine Hände zittern unkontrolliert und ich beginne heftig zu schwitzen. Alle starre auf den Bildschirm und keiner scheint mich zu beachten. Ich krallen mich an dem kleinen Pult , an dem ich sitze, fest.

Es gibt wieder eine Explosion und die Flammen werden größer. Doch dann springt das Bild wieder zu der Nachrichtensprecherin um. ,, Das passiert wenn man nicht nachgibt. Wenn von euch noch welche da draußen sind, dann wisst ihr was passiert wenn ihr den gleichen Schritt wie diese Gruppe macht.", meint sie gelassen. Der Bildschirm wird schwarz und die Schüler verstummen.

Mrs. Maggins seufzt theatralisch und reibt sich die Stirn. ,,Ein weiterer Angriff. Wie lange soll das noch so weiter gehen?", sie schüttelt den Kopf. Ich sitze wie erstarrt da. Ich habe keine Ahnung ob Dad etwas geschehen ist oder ob er sicher in dem Versteck seiner Terroristengruppe sitzt. Mrs. Maggins steht auf und tippt auf die schwarze Tafel, die schlagartig weiß aufleuchtet. ,,Dann wollen wir mal beginnen.", sie schreibt in großen Buchstaben Johannes Gutenberg auf die Tafel und beginnt Schüler dran zu nehmen, die über seine Geschichte erzählen.

Ich bekomme fast nichts mit, ich bin wie benommen. Die Stimmen klingen von weit weg. Ich sehe leicht verschwommen. Mein Kopf beginnt schrecklich doll zu pochen und der Schmerz durchfährt meinen ganzen Körper. Langsam hebe ich meinen Arm.

,, Mrs. Maggins? Kann ich Bitte nach hause gegen?", frage ich leise. Meine Lehrerin sieht mich erstaunt an, doch bevor sie mir eine Antwort geben kann stehe ich auf und gehe aus den Klassenzimmer. Die Gefühle brechen wieder über mir zusammen. Die Angst, die Anspannung, die Ungewissheit über Dad. Und während ich zur Bahnstation laufe, füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich kann sie nicht stoppen. Sie rinnen an meinen Wangen herunter und tropfen auf meine Kleidung.

Prisoner - Die GefangeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt