6. Kapitel

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Der Wind pfeift um meine Ohren und treibt mir die kleinen Regentropfen in die Augen. Das Kolium erhebt sich vor mir in den grauen Himmel. Sally hatte Recht gehabt. An der linken Seite ist es von oben nach unten aufgeschlitzt und ich kann die zertrümmerten Räume dahinter erkennen.

Auf den sonst so sauberen Platz vor dem Kolium liegen überall Holz und Steinbrocken und Teile von riesigen Bomben. Ich schlucke laut. Wir sind pünktlich, wie es in der Zeitung stand.

Wir warten einige Minuten, dann entdecke ich einen großen Mann im Smoking, der eilig auf uns zu marschiert. Mein Blick bleibt an der breiten, glänzenden Waffe in seinem dicken Ledergürtel hängen. Ich erkenne sie sofort und mir stockt der Atem.

Ich hatte Dad auf  seinen Wunsch hin eine Waffe gebaut. Sie war es ... der Mann im Smoking hatte Dads Waffe. Hoffentlich hat Dad die Sicherung gelöst, sonst ... Ich will es mir nicht vorstellen. In den falschen Händen war sie eine große Gefahr.

Ich mustere den Mann von Kopf bis Fuß und dann entdecke ich es. Die lange, kaum sichtbare Narbe unterm linken Ohr. Er ist ein Wächter!

Wächter bekommen, bevor sie in den Dienst einsteigen können, eine lang dauernde OP, wo sie den ganzen Körper neu ,, konzentriert" bekommen, wie die Regierung immer sagt.

Im Grunde, ziehen sie die ganze Haut ab und setzen neue Muskel und Organe rein. Dadurch können sie fast so schnell wie ein Auto in der Stadt fahren darf, laufen, über drei Meter hoch springen und schneller schießen oder mit Bomben werfen als du Hilfe sagen kannst. Sie haben ein viel besseres Sehvermögen mit dem sie dich selbst hunderte Meter weit im Schatten sehen können, hören können Sie einen gegen den Wind und wenn man nah genug dran ist können sie dich auch riechen.

Eigentlich sind sie keine Menschen mehr, sondern chemische Monster der Regierung. Ich finde sie gruselig. Der Mann überragt mich um einiges und sieht grimmig auf mich herab. Schnell weiche ich vor ihm zurück.

,,Die Waterloos Kinder.", brummt er mit einer tiefen, rauen Stimme. Jetzt kennt uns jeder, aber als die Terroristenkinder. Der Wächter mustert mich und Sally missbilligend, dann dreht er sich um und läuft zurück zum Kolium. Er dreht sich nicht einmal um, um sich zu versichern, dass wir ihm folgen.

Ich bin noch nie im Kolium gewesen, dass ist noch keiner aus den Silters und auch nur einige aus der Ranges. Wir betreten das Gebäude durch eine Flügeltür. Vor Staunen bleibt mir der Mund offen stehen. Obwohl der Eingangsbereich fast völlig zerstört ist und überall Steintrümmer herum liegen, ist es wunderschön.

Die hohe, gewölbte Decke ist mit riesigen Gemälden von Engeln verziert. Vergoldete Säulen stützen sie. Wir laufen eine rote Marmortreppe in den sechsten Stock rauf. Es ist anstrengend und dauert auch eine Weile.

Oben sind die Gerichts und Befragungssäle. Der Wächter öffnet eine schwere Eisentür und Sally und ich betreten den riesigen Saal. Holzbänke reihen sich, wie in einem Theater, auf. Direkt vor uns ist ein großer Richterpult aufgebaut. Ich muss schlucken und fürchte mich sofort vor dem Kommendem.

,,Die beiden Waterloos Kinder setzen sich bitte, damit wir beginnen können.", schallt eine hohe Stimme durch den Saal. Ein Kopf taucht hinter dem Pult auf und es schnürt mir die Kehle zu.

,,Mirall?", entfährt es mir und ich starre entgeistert auf die Richterin. Sally erstarrt neben mir, sie kann sich auch erinnern. Mirall ist eine große, schlanke Frau mit einem eigentlich schönem, markantem Gesicht und schulterlangen, orangefarbenen Haaren. Doch da gibt es noch ein Problem an ihr.

Sie ist die Ex-freundin von Dad und hasst mich und Sally seit wir sie und Dad auseinander gebracht haben.

Er hat sie bei einem Urlaub auf Mallorca kennen gelernt. Ich habe sie von Anfang an gehasst. Das schlimmste war ja, dass Dad bereits mit Mom verheiratet war. Wie konnte er dann eine Andere haben? Als Sally und ich die beiden zusammen gesehen haben, wussten wir, dass wir sie auseinander bringen mussten.

Ich schrieb einen Liebesbrief an sie, der von Dad sein sollte und an ein anderes Mädchen geschrieben war. Sie dachte, er würde nur so tun, als würde er sie lieben und ging nur zum Spaß mit ihr. Und dann machte sie Schluss und alles war wieder gut.

Doch nach ungefähr zwei Jahren rief sie bei uns zu Hause an. Sie liebte Dad anscheinend immer noch und fragte ihn nach dem Brief aus. Tja, und daran haben Sally und ich natürlich nicht gedacht.

Natürlich wusste Dad nichts vom dem Brief und war deswegen sichtlich verwirrt gewesen, doch er ist uns auf die Schliche gekommen.

Mirall wollte natürlich wieder mit Dad zusammen sein, doch er erkannte, dass das keine gute Idee war.

Deshalb hasst sie uns heute noch.

Sally beugt sich zu mir rüber.  ,, Warum muss ausgerechnet sie die Richterin sein? Ich hatte gehofft, dass das im Urlaub das erste und auch das letzte Mal sein würde, wo ich sie sehe.", flüstert sie mir ins Ohr. Ich nicke zustimmend.

Mirall sieht streng auf uns herab. Sie kneift die Augen zusammen und fixiert uns. Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. ,,Setzt euch!", zischt sie und wir gehorchen. Vor dem Pult stehen zwei Holzstühle auf denen wir uns nieder lassen.

Der Stuhl ist hart und unbequem, doch ich sage nichts. ,,Die Sitzung beginnt. Nehmen Sie schon auf?", fragt Mirall eine dürre, alte Frau mit wuscheligem, grauen Haar. Sie nickt.

,,Vierzehnter-vierter-viertausendzweiunddreißig. Genau 11 Uhr und 37 Minuten. Akte Waterloos.

Erste Befragung geht an Sally Waterloos.

Miss Waterloos, können Sie mir etwas über die Terroristengruppe ihres Vaters, Donald Waterloos, erzählen?"

Prisoner - Die GefangeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt