8. Kapitel

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Ich komme endlich aus dem Kolium raus und sauge die frische Luft in mir auf. Meine Gedanken schwenken zu Sally. Geht es ihr gut? Was machen die im Kolium mit ihr? Ich versuche zu begreifen, was da gerade passiert.

Der schrille Klingelton meines Handy reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist Mom. ,,Wie geht es euch? Was haben sie gefragt?", fragt Mom sofort. Ich schließe die Augen. Wie kann ich es ihr sagen? Und kann ich es ihr überhaupt sagen? Ich zögere eine Weile doch dann entscheide ich mich. ,,Sie haben Sally und mich ins Flot gebracht. Ich musste reden, damit sie Sally nicht umbringen. Sie hat schlimme Verletzungen und ist immer noch im Kolium." Mom keucht.

,,Sie ist noch im Kolium? Was machen Sie mit ihr?", Mom wirkt hektisch und besorgt. ,,Sie wollen sie nur verarzten.", versichere ich ihr, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. ,,Komm Bitte schnell nach Hause.", bittet mich Mom.

Erstaunt lege ich auf und mache mich auf zum Zug. Kann ich Sally einfach so alleine lassen? Im Kolium? Sollte ich nicht besser zu ihr? Die Fragen zischen durch meinen Kopf und keiner kann mir Antworten geben. Wird das hier je enden? Wird Dad wieder frei kommen? Wird alles wieder gut werden?

Ich höre lautes Geklacker hinter mir und ich drehe mich um. Ich traue meinen Augen nicht. Mirall rennt auf mich zu, mit den Armen fuchtelt sie wild in der Luft herum. ,,Amanda. Warte.", ruft sie laut.

,,Was willst du?", frage ich bissig. Mirall atmet schwer. ,,Wir haben ein Problem." Ich reiße die Augen auf. ,,Geht es um Sally? Was habt ihr mit ihr gemacht?", frage ich hektisch. Mirall schüttelt den Kopf. ,,Sally geht es gut. Sie schläft im Moment.", versichert sie, doch dann wird ihre Miene sehr ernst.

,,Ich kann es dir nicht hier sagen.", meint sie, sieht sich ängstlich um und zieht mich zu einer hohen Hauswand, die mir den Blick aufs Kolium versperrt. Vor uns erheben sich mehrere hohe Eichen in den Himmel, die ihre langen Arme nach den Dächern der Häuser ausstrecken.  ,,Was ist nun?", frage ich ungeduldig.

,,Wir haben eine Wanze gefunden. Sie war in Sallys Arm einplanziert. Sie hat alles aufgenommen was seit der Festnahme von Donald gesagt wurde.", Miralls Stimme zittert leicht. ,,Ihr habt sie in Sallys Arm gefunden?", frage ich entsetzt. Sie nickt schnell.

,,Wir vermuten, dass sie von Reboos kap stammt.", fügt sie hinzu. Ich höre ein Rascheln in den Bäumen und sehe auf. Ein Schatten huscht durchs Blattwerk und verschwindet hinter dem Dach des Hauses. Etwas goldenes fällt aus dem Baum und landet vor meinem Füßen.

,,Was ist los?", fragt Mirall verwirrt, sie scheint die Gestalt im Baum nicht gesehen zu haben. Ich bücke mich um das goldene Ding aufzuheben. Es ist klein und vorne gespitzt. Ich drehe es in meiner Hand und erstarre. Ich weiß ganz genau was das ist.

Hektisch wirble ich herum und da sehe ich die schwarze Gestalt wieder. Ich kann mich nur ducken und die Hände auf die Ohren pressen. Doch ich schaffe nur einen Hechtsprung auf den Boden. Da höre ich schon den Knall und einen Schrei. Ich sehe mich nach Mirall um.

Sie schwankt, dann fällt sie neben mir zu Boden. Aus einer Schusswunde in ihrer Brust fließt das Blut und verteilt sich auf dem Boden. Schnell rapple ich mich auf und drücke mich mit dem Rücken gegen die Hauswand.

Ich hatte Glück, dass ich ihn gesehen habe. Mirall leider nicht. Er hat sein Ziel noch nie verfehlt. Er trifft immer. Jetzt kann ich nur hoffen, dass er mich nicht mehr sieht. Was habe ich nur getan, damit er mich wieder jagt?

Ich versuche meinen Atem unter Kontrolle zu bringen, doch ich schaffe es nicht. Mein Herz donnert rasend schnell gegen meine Brust, das goldene Ding drückt sich in meine Hand.

Ich muss nach hause. Schnell. Doch ich weiß nicht ob er immer noch da ist. Ich spitze die Ohren und versuche alle Geräusche um mich wahr zu nehmen. Da ist ruhiges Vogelgezwitscher, der Wind, der durch die Blätter weht, Schritte, die sich mir nähern und ein leiser Atem direkt über mir.

Ich hebe langsam den Kopf. Ich muss schreien, ich kann nicht anders. Er starrt mir direkt ins Gesicht, seine eiskalten, grauen Augen blitzen vor Wut. Er schnaubt leicht, seine Nasenflügel blähen sich auf. Ich kann mich noch an die Narbe erinnern, die sich vom schwarzen Haaransatz über das rechte Auge zieht. Ich habe sie ihm zugefügt, als ich Todesangst vor ihm hatte. Ich habe einfach nach einem Küchenmesser gegriffen.

Er verzieht seinen Mund zu einem hässlichen Lächeln und zeigt mir seine gelb, schwarzen Zähne. Der widerliche Gestank nach faulen Eiern und Blut schlägt mir entgegen. Er zieht ein Messer aus seinem Gürtel und hallt es mir entgegen.

Ich versuche vor der scharfen Spitze zurück zu weichen, doch er packt mich mit seiner vernarbten Hand und hält mich fest. Langsam drückt er sein Messer in meine Hand, bis das Blut an meinem Arm entlang läuft. Ich kreische und versuche mich los zureißen. ,,Wo willst du den hin?", fragt er mit seiner grässlichen Stimme, von der ich gehofft habe sie nie wieder hören zu müssen.

Da höre ich wieder sich nähernde Schritte, sie kommen vom Platz auf mich zu. ,,Mirall?", ertönt die Stimme eines Wächters. Ich beginne wieder zu kreischen, als er mir sein Messer an den Hals legt. Die Schritte beschleunigen sich und da kommt auch schon ein großer Mann um die Ecke gerannt.

,,Halten sie ihn fest!", kreische ich voller Angst und deute nach oben. Der Wächter sieht erst mich verwirrt an, dann wandert sein Blick zu Mirall. Erst jetzt bemerke ich, dass der Druck auf meinem Hals und der widerliche Gestank verschwunden sind. Ich sehe mich sicherheitshalber nach ihm um. Er ist weg.

Ich seufze erleichtert und will mich schleunigst auf den Weg zum Zug machen, doch der Wächter hält mich auf. ,,Du bleibst hier. Du kannst nicht leugnen! Du hast sie umgebracht!", schnauzt er.

,,Was?", kann ich nur sagen, doch er packt mich schon am Arm, an der gleichen Stelle wo auch er mich gerade festgehalten hat und zieht mich zurück zum Kolium. ,,Nein. Ich war das nicht. Das musst du mir glauben!", schreie ich wütend und verzweifelt. ,,Und was ist dann das hier?", fragt der Wächter und nimmt mir das goldene Ding ab.

Ich schüttle den Kopf. Ich war das nicht!

Prisoner - Die GefangeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt