3. Kapitel

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Ich schließe die Tür auf und schlurfe ins Haus. Meine Augen brennen ein wenig und sind rot von den vielen Tränen. Mom sitzt wie zu Stein erstarrt auf dem Sofa und drückt Keybel an ihre Brust. ,,Mom? ", frage ich vorsichtig. Schnell werfe ich meine Jacke über den Kleiderhaken im Flur und setze mich neben sie.

Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. Bei meiner Berührung zuckt sie zusammen und sieht mich mit großen Augen an. Tränen glitzern auf ihren Wangen. ,,Hast du es auch gesehen?", flüstert sie und sieht mich fragend an. Ich wende den Blick ab und sehe zu Keybel runter, der glücklich an Moms Brust saugt. Ich seufze, dann nicke ich. ,,Ja, hab ich."

Mom legt den lautstark protestierenden Keybel zurück in seine Babywiege. ,,Hast du schon was von Dad gehört?", frage ich sie, doch ich fürchte mich vor der Antwort. Sie sieht mich mit traurigen Augen an. Ich schlucke schwer, ein dicker Kloß hat sich in meinem Hals gebildet. ,,Glaubst du er wurde ...", ich kann den Satz nicht beendet, die Worte bleiben in meiner Kehle stecken.

Mom setzt sich neben mich aufs Sofa und streicht mir über den Kopf. ,,Alles wird gut. Deinen Vater ist bestimmt nichts passiert.", sagt sie, doch ihre Stimme schwankt, als wäre sie selbst nicht überzeugt.

Das macht mir wenig Mut. Mom wendet sich ab, presst die Lippen aufeinander und starrt auf den schwarzen Fernseher. ,,Ich hoffe es genauso doll wie du.", meint sie. Ihr Hände verkrampfen sich und sie beginnt zu zittern.

,, Oh mein gott. Mom was ist los?", frage ich ängstlich. ,, Meine Hände!", nuschelt sie fast unverständlich. Schockiert sehe ich auf ihren zitternden Körper herab.

Endlich löse ich mich aus meiner Starre und helfe ihr vom Sofa hoch. Keybel sieht mich mit großen Augen an, dann beginnt er laut zu schreien. ,,Nicht jetzt, Keybel.", murre ich. Ich helfe Mom die Treppen zu ihrem Schlafzimmer hoch. Vorsichtig steigt sie ins Bett.

,, Es wird alles gut.", muss nun ich sie beruhigen. Sie zieht die Decke bis zum Kinn und dreht sich von mir weg. Ich schalte das Licht aus und schließe die Tür hinter mir. Das angsterfüllte und verzweifelte Gesicht von meiner Mom taucht vor meinem inneren Auge auf.

Jetzt kann ich nicht mehr glauben, dass es Dad noch gut geht. Der dicke Kloß in meinen Hals wird immer größer und ich kann kaum mehr atmen. Erneut spüre ich die Tränen in meinen Augen. Ich beginne heftig zu schluchzen.

Wird es je wieder gut werden? Dad ist bestimmt etwas passiert. Bilder von ihm, wie er tot am Boden liegt zischen durch meinen Kopf. Blut läuft aus einer tiefen Schusswunde in seiner Brust und verteilt sich auf dem Boden.

Ich schüttle den Kopf um den hässlichen Gedanken zu vertreiben. Ich will alles vergessen. Ich wünschte mein Vater wurde einen ganz normalen Beruf haben. Ich wünschte meine ganze Familie wäre normal. Ich wünschte, dass das alles hier nicht passiert wäre.

Ich werde unsanft aus dem Schlaf gerissen. Ich hatte mich hingelegt und hatte den ganzen Tag verschlafen. Das milchige Weiß der Abenddämmerung fällt in mein Zimmer. Ich reibe mir die Augen und setze mich auf.

Mom steht vor meinem Bett, ihre Augen sind weit aufgerissen und rot vom weinen. Ihre Nasenflügel blähen sich auf und sie schluchzt. ,,Was ist los Mom?", frage ich sie entsetzt. Ein leises Krächsen dringt aus ihrem Mund.

,,Ich habe gerade die Nachrichten gesehen. Sie haben etwas neues über den Anschlag berichtet!", beginnt sie. Ängstlich sehe ich zu ihr hoch. ,,Sie haben deinen Vater."

Prisoner - Die GefangeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt