☍ Nine

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"Niall.", es war der Tag nach dem Vorfall in den Jungstoiletten und eigentlich hatte der Blonde darüber nachgedacht, einfach nicht zu erscheinen, doch am Ende fand er sich - wie jeden anderen Morgen auch - vor seinem kahlen Spind wieder, welcher wie an einer großen Tafel neben den anderen hing. Beinahe den gesamten Schulflur zogen sie sich entlang und sie schienen von Tag zu Tag noch langweiliger auszusehen. Natürlich gab es Schüler, die versuchten diese Langeweile etwas mit Postern oder Stickern zu überdecken, doch wiederum gab es auch Einige, die sich dies nicht einmal mehr trauten, da Kritik und Gespött nie weit entfernt waren.

"Niall!", seufzend schlug der Blondschopf seinen Spind zu und das klatschende, kalte Geräusch von Blech auf Blech erklang, doch es war kaum zu hören, da es in der Masse an Gesprächen und Gelächter der vielen Schüler beinahe unterging. Mit drei dicken Büchern, die er an seinen flachen Oberkörper gepresst hatte, sah Niall auf und erkannte nun den Schwarzhaarigen, der ihm warm zulächelte.

Und - verdammt - wie sehr Niall dieses Lächeln liebte.

Zayn war einer dieser Menschen, indem man Schönheit in jedem Zentimeter entdeckte. Es war die Art, wie seine Augen sich verengten und wie die kleinen Lachfältchen sie noch schöner wirken ließen. Es war nur ein einzelnes Lächeln, welches Niall sich selbst fragen ließ, ob die Sonne nicht vielleicht in jedem von uns steckte und ob es nicht möglich wäre, tatsächlich zu strahlen, zu leuchten.

Niall dachte an all die vielen Lichter, in welchen die Stadt des Nachts schwamm, doch nur ein Lächeln von Zayn schien dies zu übertreffen. 

"Welches Fach hast du jetzt?", es war immer noch ungewohnt für Niall, dass jemand ihn solch unwichtige Fragen wie diese stellte, doch auf eine Art und Weise machte es ihn glücklich. Manchmal brauchte er nichts weiter als einen kleinen Smalltalk. Einige Menschen wünschten sich zwar tiefgründige und anspruchsvolle Gespräche, doch am Ende war der Blonde einfach nur zufrieden, dass jemand ganz einfache und angenehme Themen mit ihm besprach.

Niall sah einmal prüfend auf das schwerste Buch in seinen Armen und antwortete kurz und knapp: "Biologie.", bevor er anfing, mit Zayn gemeinsam den Schulflur entlangzulaufen. Einige neugierige Schüler warfen ihnen verwirrte Blicke zu, denn - seien wir doch ehrlich - hätte jemand sich vorstellen können, einen der beliebtesten Schüler mit jemanden wie ... Niall zu sehen? Seite an Seite? Und tatsächlich glücklich?

"Ich weiß, du willst sicher nicht darüber reden, aber was genau ist gestern passiert?", diese Frage ließ Niall erstarren und so blieb er inmitten des Stroms von Jugendlichen stehen und Zayns Blicke schienen so spitz, so schwer, als würden sie den Kopf des Blonden durchbohren können.

"Was- ... meinst du?", er traute sich ja kaum den Schwarzhaarigen anzusehen. Zu sehr hatte er Angst, seine Blicke - seine Augen - könnten ihn verraten. Vielleicht erzählten sie dem Älteren etwas, das Niall nie über seine Lippen bringen würde. Vielleicht baten sie um Hilfe.

Niall würde nie offen um Hilfe bitten. Er würde sich nicht noch kleiner machen, als er es so schon ist. Doch trotzdem, hoffte etwas tief in ihm, dass jemand ihm zur Hilfe kam. Jemand, der ihn aus diesem dunklen Loch heraus zog.

"Ich glaube, du weißt genau, was ich meine.", als Niall zu dem Größeren aufsah, empfingen ihn die braunen, weichen Augen seines Gegenübers, doch diesmal schienen sie nicht zu strahlen. Zayn sah besorgt aus und diesen Ausdruck kannte er sonst einzig und allein von seiner Mutter.

"Ich habe dir doch bereits gesagt, dass es ein Unfall war.", nur ein unverständliches Murmeln verließ die blassen Lippen des Blonden und er wandte seinen Blick wieder ab, um diesmal seine abgenutzten Schuhe zu betrachten.

"Das glaube ich dir nicht.", als dieser Satz über die vollen Lippen des Älteren kam, sah Niall ungläubig zurück zu ihm. In diesem Moment läutete es zum Unterricht und das laute Klingeln der Schulglocke schien an jeder einzelnen Wand abzuprallen, um dann noch stärker und schriller zu klingen. Immer mehr Schüler kamen und der ein oder andere rempelte die beiden Jungen im Gang an. Doch auch Nörgeln oder leichtes Fluchen war wahrzunehmen, da die beiden anscheinend perfekt in der Quere der vielen Jugendlichen standen.

Niall schüttelte stumm den Kopf und folgte dem Strom, doch bevor er überhaupt voran kam, hielt ihn ein fester Griff zurück. Zayn umklammerte mit starkem Griff sein Handgelenk.

"Hör' zu. Ich mache mir einfach nur Sorgen, okay? Ich will nur wissen, was passiert ist. Ich möchte dir doch nur helf-", noch bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte, traf Nialls eiserner Blick auf seinen.

"Helfen?", er schien dieses Worte förmlich auszuspucken. Als wäre es ein alter Kaugummi, der seinen Geschmack verloren hatte.

"Ja, helfen, Niall.", und der Blonde wollte dies nicht, er wollte nicht so reagieren. Er wollte doch jemanden, der ihm half, doch er wusste nicht, wie er solch eine Situation anzugehen hatte.

"Hör' du mir zu. Ich brauche deine Hilfe nicht! Ich brauche die Hilfe von Niemanden! Ich komme auch perfekt allein zurecht. Das hat bisher immer geklappt, also sag du mir nicht, du würdest dir Sorgen machen! Das macht sich Keiner und das wird sich auch niemals ändern.", er wurde wütendender und Zayn verstand die Welt nicht mehr, als er fortfuhr: "Irgendwann verschwinden sie alle. Jeder deiner ach-so-geliebten 'Freunde'-", er deutete das Wort 'Freunde' mit Gänsefüßchen an, "wird sich irgendwann von dir abwenden. Alle werden sie sich verpissen und dich in deiner grässlichen, verkorksten Welt zurücklassen. Denkst du wirklich, dass sie auf ewig bleiben, Zayn?", und der Schwarzhaarige öffnete tatsächlich den Mund, doch Niall schnitt ihm das Wort ab, ohne dass überhaupt ein Ton seine Lippen verlassen konnte. Es war ein Wunder, dass der Jüngere noch nicht in Tränen ausgebrochen war, denn normalerweise redete er so nie, ohne nicht emotional zusammenzubrechen.

"Nein. Nein, Zayn. Nichts auf dieser Welt bleibt auf ewig. Das ist eine kitschige Fantasie, die man sich einredet, nur um nicht an den Abschied zu denken. Auch das Glück und die Freude hat irgendwann ein Ende. Einige Menschen sind nur zu naiv, um das zu realisieren.", Niall versuchte sich aus dem Griff des Anderen zu lösen, doch dieser starrte ihn nur vollkommen sprachlos an.

"N-Niall ... Ich wollte nicht- Ich-", der Schwarzhaarige wusste nicht einmal mehr, wie er einen Satz richtig zu bilden hatte und in diesem einem Moment schien all die Grammatik im Deutschunterricht für die Katz.

"Lass' gut sein. Halt dich einfach bitte aus meinem Leben heraus, Zayn. Ich ... Ich bin besser allein dran.", in diesem Moment versuchte er zu lächeln, doch scheiterte dabei kläglich, als es ihm entfuhr: "Ich bin nicht so gut mit Menschen, schon vergessen?", und Zayn sah ihn nur an.

Und, ja, vielleicht bildete sich der Schwarzhaarige dies nur ein, doch er schwörte, in diesem einen Moment, nach diesen paar Worten, hörte er sein Herz brechen.

Niall hatte ihm indirekt verdeutlicht, dass er Abstand brauchte, war es nicht so? Zayn war zu viel für ihn gewesen. Er war ihm zu neugierig, zu liebevoll, gewesen.

Und manchmal machen Menschen Fehler. Manchmal wissen sie vongrundauf nicht, wie sie sich selbst zu helfen haben. Manchmal verstoßen sie die Menschen, die sie lieben. Sie wollen sich und die andere schützen, doch dabei werden sie verletzt. Manchmal sind sie vor lauter Trauer und Schmerz verwirrt, dass es ihre klaren Gedanken vernebelt. Und manchmal ist das einfach nicht zu ändern.

Zayn wollte Niall doch nur helfen. Er hatte es doch nur gut gemeint. Und jeden neuen Tag, an dem er den Blonden im Schulhaus sah, warf er sich vor, nicht hartnäckig genug gewesen zu sein. Jeden Tag, an dem der Blonde allein durch die Gänge lief, beobachtete Zayn ihn mit schwerem Herzen. Er wollte etwas tun, doch Nialls Worte hielten ihn immer noch davon ab.

Doch auch Niall warf sich so Vieles vor. Negative Gedanken plagten ihn, nagten an ihm. Er hatte den Schwarzhaarigen verstoßen, von sich gestoßen, ihm nicht einmal eine Chance gegeben.

Und nun vergingen Tage - oder waren es Wochen gewesen? Es fühlte sich an wie Monate.

Jeder Tag war wie der davor, auch wenn beide sich wünschten, es würde etwas passieren. Sie wünschten sich, dass wenigstens ein Tag sich von den anderen unterscheiden würde, aber dazu kam es nicht.

Sie setzten ihren Alltag fort. Als wären sie Fremde.

Ab und zu, beobachteten sie den jeweils anderen heimlich, doch es sich eingestehen, wollte keiner der Beiden.

Und trotzdem schienen sie in Vorwürfen zu ertrinken.

Denn manchmal machen Menschen nun mal Fehler und es liegt nur daran zu erkennen, dass es einer war.


numb  › ziallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt