nine

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Das erste was ich sah als ich wieder aufwachte, waren Lukas grüne Augen und sein breiter Oberkörper, der über mich beugte. Wie gelähmt starrte ich ihn an, während die Erinnerungen des gestrigen Abends zurückkehrten.

Ich erinnerte mich an Aras blutverschmierte Klamotten. Wie er mir im Wald gegenüber stand mit diesen glühend roten Augen. Sein Mund war geöffnet und ich konnte spitze Eckzähne sehen. Es war keine Illusion. Der Scheiß war real gewesen.

Immer wieder schüttelte ich meinen Kopf. Das konnte nicht sein. Vampire? Waren sie Vampire? Oder sollte das ganze ein schlechter Scherz sein, um mir Angst zu machen und meiner Neugier eins auszuwischen. Ja, das musste es sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Das war das einzig logische.

"Wie geht es dir? Du hattest Fieber", die Worte von Lukas ließen mich zusammenzucken. Fieber? Fassungslos blickte ich ihn an.

"Nein", war das einzige, was ich zu Stande bringen konnte. Er log. Er war nicht ehrlich zu mir. Ich hatte bestimmt kein Fieber gehabt. Was redete er da nur? Ich war gestern draußen im Wald gewesen und habe beobachtet wie sie eine Leiche entsorgten. Bei dieser Erkenntnis hielt ich mir schlagartig die Hand vor den Mund.

"Ihr seid Mörder", die eiskalte Feststellung brachte meinen Gegenüber sichtlich aus dem Konzept. Geschockt schaute er mich mit geweiteten Augen an.

"Du... du erinnerst dich?", fragte er ehrlich überrascht und es wirkte so, als würden sein Verstand nicht mehr hinterher kommen.

"Das kann nicht sein", noch während dieses Satzes erhob er sich von meinem Bett und gewann damit endlich Abstand zu mir. Ich krallte mich in meinem Bettlaken fest und versuchte meine Gedanken zu sortieren. Er hatte gerade indirekt zugegeben, diesen Mann wirklich getötet zu haben. Würde er mich nun auch ausschalten, wo ich doch ihrem Geheimnis auf die Schliche gekommen war?

Was waren das nur für Menschen in dieser Familie? Konnte man sie überhaupt noch als Menschen bezeichnen. Oder waren sie doch eher Monster? Sie hatten einen Menschen getötet. In was für einem schlechten Thriller war ich nur gelandet?

Ein Teil von mir wollte weiterhin daran festhalten, dass das alles nur ein schlechter Scherz sein konnte. Sie diesen Mann nur verprügelt hatten, er noch lebte und sie ganz normale elendige Schlägertypen waren.

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Es war als würde ich den Boden unter mir verlieren. Meine Existenz fühlte sich irreal und die Ereignisse so verdammt falsch an. Sie passten nicht in mein Weltbild. In das Bild einer ganz normalen Welt, weit weg von Fantasiewesen. Ob ich gerade wohl dabei war den Verstand zu verlieren?

Meine Gedanken verloren ihren Halt und ich konnte die wallenden Gefühle nicht mehr aushalten. Tränen liefen mir über die Wangen und es war Hilflosigkeit, die ich empfand.

"Das macht keinen Sinn", ich murmelte es nur und dennoch verstand Lukas was ich sagte. Für einen Moment sah ich zu ihm auf, wobei mir sofort klar wurde, dass auch er sich nicht wirklich zu helfen wusste.

"Was denkst du, was du da draußen gesehen hast?", er versuchte es sanft klingen zu lassen doch ich konnte nicht anders, als den blutverkrusteten Lukas immer wieder, vor meinem inneren Auge zu sehen.

Ich sollte wohl Angst empfinden, doch das einzige, an das ich nun denken konnte war, dass ich mich bereits vor zwei Jahren schon einmal genau so hilflos gefühlt hatte. Es war nicht so, dass ich die Ereignisse gleich stellen konnte, dennoch lösten sie in mir das selbe Gefühl aus.

Ein Gefühl der Taubheit und genau deshalb empfand ich, wie damals schon, in diesem Augenblick rein gar nichts, nur unendliche Machtlosigkeit.

"Ich weiß nicht ob ich mit dem, was ich gesehen habe, Leben kann", ich sprach genau das aus, was ich tief im inneren die ganze Zeit dachte. Alles in mir wollte den gestrigen Abend vergessen. Ich wollte wieder so naiv sein, wie ich es in Monaco die letzten Jahre war. Ich hasste mich und meine Neugier. Ich wollte nur, dass alles normal war und genau deshalb, akzeptierte ich nicht das was ich gesehen hatte.

"Ich würde dir gerne deine Erinnerung nehmen, aber scheinbar kann ich es nicht.", presste Lukas verbittert hervor und mein Schluchzen verstummte mit einem Mal. Was sollte das heißen? Mir meine Erinnerungen nehmen? Konnten sie so etwas tun? Dass sie wirklich keine normalen Menschen waren, traf mich erneut und mein Wimmern begann von Neuem.

"Ihr seid...", ich wagte es nicht einmal das Wort auszusprechen, weil es dann realer als zuvor sein würde.

"Vampire", beendete der Dunkelhaarige meinen Satz und blickte mich dabei finster an. Ich schluckte hart. Ich würde gerne aus diesem Albtraum erwachen.

Ich wollte nach Hause, selbst wenn ich es dort kaum noch ertrug. Doch mein Vater schien gerade das geringere Übel zu sein. Auch wenn er mir das hier niemals glauben würde. Also selbst wenn ich ihn kontaktieren könnte, er würde mich nicht nach Hause lassen.

Aber dafür würde ich sowieso niemals die Gelegenheit bekommen. Denn etwas in mir sagte mir, dass ich nicht die Chance dazu bekam, überhaupt jemals jemanden davon zu erzählen. Was machten sie wohl mit Menschen, die von ihnen wussten? Sie töten, so wie sie es mit dem Mann getan hatten? Ob er es ebenfalls herausgefunden hatte?

Sie würde mich beseitigen, da war ich mir sicher. Denn ich war eine Bedrohung. Schließlich existierten in meiner Welt keine Vampire, also merzten sie die Leute aus, die ihr Geheimnis lüfteten, oder? Das war das einzig Schlüssige, in dieser so kranken neuen Realität.

Niedergeschlagen vergrub ich meinen Kopf in den Händen. Ich atmete tief ein und zittrig wieder aus. Wie konnte es nur dazu kommen? Vor drei Tagen lebte ich noch in meiner kleinen Blase in Monaco. Und nun würde ich wohl nie wieder dorthin zurückkehren. Es würde niemals wieder so werden wie vorher. Ich könnte nie wieder das Grab von ihm besuchen. Ihn, den ich einst so sehr geliebt hatte und der dann einfach so von mir gegangen war.

Mein Weinen wurde lauter und am liebsten hätte ich geschrien. Schmerz umhüllte mich und ich verstand nicht einmal, warum ich ausgerechnet jetzt daran dachte. An diese verdammte regnerische Sommernacht. An den Unfall und die Nachricht, dass er es nicht geschafft hatte. Warum jetzt? War es, weil ich gerade die Kontrolle verlor und selbst dem Ende so nah war.

Wie erbärmlich ich doch war. Ich sollte kämpfen und fliehen. Doch ich hatte bereits aufgegeben.

Dark - I'm not afraidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt